Klimagipfel in Glasgow:Wie die Atomkraft spaltet

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Befürworter der Kernkraft glauben, dass Klimaneutralität nur mithilfe von Atomstrom erreichbar ist: die Reaktoren von Cattenom in Lothringen. (Foto: Jean-Christophe Verhaegen/AFP)

Bei der Konferenz von Glasgow wurde diesmal ziemlich vehement über eine Renaissance der Kernkraft gestritten. Warum das einige Folgen für den Klimaschutz haben könnte.

Von Thomas Hummel, München

Auf dem Gelände der Weltklimakonferenz haben die Befürworter der Atomkraft einen Stand aufgebaut. Er heißt "Net Zero needs nuclear" - eine emissionsfreie Welt braucht Atomkraft. Deutschland genießt hier keinen guten Ruf. Im Gegenteil wird den Besuchern das Land als böses Beispiel vorgeführt. Wenn Deutschland 2022 seine letzten Atommeiler abschalte, drohe Millionen Haushalten der Stromausfall, erklärt ein Mitarbeiter aus Kanada. Es sei denn, die klimaschädliche Braunkohle würde hochgefahren, eine andere Chance gebe es nicht. Deutschland auf einem Irrweg?

Umweltministerin Svenja Schulze sieht das ganz anders. Am Donnerstagmittag sitzt sie mit ihren Kollegen aus Österreich, Luxemburg und Portugal im deutschen Pavillon und erklärt, warum der Atomausstieg der richtige Weg sei. Die Kernkraft "ist zu risikobehaftet und zu teuer", sagt die SPD-Politikerin. Zudem dauere es sehr lange, Atommeiler zu bauen, zu lange, um das akute Klimaproblem noch lösen zu können. Die Allianz, der auch Dänemark angehört, will verhindern, dass Atomkraft in der sogenannten Taxonomie der Europäischen Union als nachhaltig eingestuft wird. Das würde ihrer Ansicht nach bewirken, dass viel Geld in diese Technologie fließe, das dringend für den Ausbau der Erneuerbaren Energien gebraucht werde.

"Wir haben eine großartige atomare Zukunft vor uns."

Der Glaubenskrieg um die Atomkraft hat in Glasgow neue Fahrt aufgenommen. Die einen berichten mit Glanz in den Augen von der goldenen Lösung des Klimaproblems durch die Kernspaltung. Frankreich kündigt den Bau neuer Reaktoren an. Andere drehen sich mit Grausen ab. Und verweisen etwa auf die Probleme Großbritanniens. Dort waren mehrere Neubauten geplant, doch wegen der betriebswirtschaftlichen Risiken zogen sich Investoren zurück. Derzeit werden noch die Reaktoren für Hinkley Point C im englischen Somerset fertiggestellt. Die Planungen begannen 2008, das Kraftwerk soll 2026 ans Netz gehen. Die Kosten liegen inzwischen bei etwa 27 Milliarden Euro. Der französische Konzern EDF setzt das Projekt um, allerdings nur, weil die britische Regierung garantierte, den Strom zu einem hohen Festpreis für 35 Jahre abzunehmen. Es deuten sich Subventionen in Milliardenhöhe an.

Dennoch erklärt Greg Hands, britischer Minister für Wirtschaft und Energie, bei einer Pressekonferenz am Stand der Atomfreunde: "Wir haben ein stolzes nukleares Erbe. Und wir haben, Ladies and Gentlemen, eine großartige atomare Zukunft vor uns." Seine Regierung investiere mehrere Hundert Millionen Euro in die Forschung und versuche, den Bereich für private Investoren interessanter zu machen. Neben Hinkley Point C soll ein weiterer Großreaktor gebaut werden. Denn von den 13 laufenden Meilern, so Hands, müsse man zwölf im Laufe dieses Jahrzehnts aus Altersgründen abschalten.

Großbritannien teilt damit das Problem der meisten europäischen Länder, ein Großteil der Reaktoren erreicht die 40-Jahre-Altersgrenze. Nun wollen Atombefürworter die Laufzeiten verlängern, Rafael Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO, spekulierte zuletzt über Kernkraftwerke, die hundert Jahre am Netz bleiben. Er räumte dabei selbst ein, dass dieser Vorschlag "eine Provokation" sein könnte. Denn wie lange die Druckbehälter, in denen die Kernspaltung stattfindet, die extremen Bedingungen aushalten, ist unklar.

Hands und auch Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagentur IEA, hoffen auf neue Innovationen. Etwa den Smart Modular Reactor SMR, ein Kernkraftwerk im Kleinformat, das quasi wie ein Fertighaus in der Fabrik hergestellt und in relativ kurzer Bauzeit installiert werden soll. Der Triebwerkshersteller Rolls-Royce ist in das Geschäft eingestiegen. Damit soll es in einigen Jahren auch Entwicklungs- und Schwellenländern möglich sein, die zivile Kernkraft zu nutzen.

Trägt der Atomausstieg etwa zum Artensterben bei?

In Deutschland ist man davon nicht überzeugt. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung BASE urteilt, dass die technischen Nachteile der Kernkraft auch bei kleinen Meilern bestehen. Da wäre die Sicherheitsfrage durch Unfälle oder Terrorangriffe, die mögliche Nutzung von spaltbarem Kernmaterial für militärische Zwecke sowie die ungelöste Frage der Endlagerung des Atommülls. Jochen Ahlswede, Leiter der Abteilung Forschung und Internationales, beteuert, das Bundesamt prüfe den technologischen Fortschritt, der angeboten werde. "Wir analysieren kontinuierlich, auf welchen Fakten diese vermeintlich neuen Konzepte beruhen." Doch bislang müsse er feststellen, dass es keinen fachlichen Grund für eine Neubewertung der Lage gebe.

Damit bleibt Deutschland ein Hauptgegner der Atombefürworter. Aus Glasgow wollen Mitarbeiter von "Net Zero needs nuclear" am Samstag nach Berlin aufbrechen. Dort findet eine Pro-Atom-Demonstration statt, Hauptredner ist der renommierte Klimaforscher James Hansen aus den USA. Seine Botschaft: Der Atomausstieg trage zum Artensterben bei. Deutschland solle erst seine Kohlekraftwerke abschalten und dann die Kernkraft.

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