Kim Jong-un mag ein junger Mann mit hohem Gewaltpotenzial sein. Wer Nordkorea im Griff hält, dem mangelt es bestimmt nicht an Kälte und Härte. Dieser Mensch wird gottgleich behandelt. Schüler brechen unter Tränen zusammen, wenn sie dem "Obersten Führer" leibhaftig begegnen. Nun hat Kim ein politisches Meisterwerk abgelegt. Die Zeit der Provokation und Eskalation möge vielleicht zu Ende gehen. Seine besten Tage als diktatorischer Anführer eines Verbrecherstaates aber beginnen erst.
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Jahrzehntelang haben Strategen Szenarien für einen Konflikt mit Nordkorea durchdacht. Die rhetorische Eskalation der vergangenen Tage gibt dem Undenkbaren plötzlich den Hauch von Realität.
Die politische Aufwertung verdankt Kim dem amerikanischen Präsidenten, der sich auf das Spiel von Provokation und Eskalation eingelassen und damit die strategische Gleichung in Ostasien verschoben hat. Denn wenn Donald Trump keinen Krieg führen will - und das kann man trotz aller Aufplusterei des Mannes getrost behaupten -, dann bleibt ihm jetzt nur, über das nordkoreanische Atomprogramm und Raketenarsenal zu verhandeln. Und das hat seinen Preis.
Die Region schleppt viel historischen Ballast mit sich herum
Das große Spiel um Macht und Einfluss funktioniert in Ostasien nicht anders als sonstwo auf der Welt. Allerdings kommen in dieser Weltregion ein paar Besonderheiten hinzu, die Machtspiele besonders leicht entflammbar und damit gefährlich machen: viel zu viel historischer Ballast, eine frische Großmachtrivalität, Nukleares, Nationalismus. Nordkorea hat von diesen Zutaten immer gut gelebt.
Die koreanische Halbinsel stellt eine historische Anomalie da, weil hier seit mehr als einem halben Jahrhundert ein Krieg eingefroren ist, ohne dass die Zeit neue Optionen im Zusammenspiel der Staaten eröffnet hätte. Die beiden Koreas bleiben geteilt und belagern sich militärisch, mehr oder weniger mithilfe der Kriegsparteien aus den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Dieser Antagonismus hat den Zusammenbruch der Sowjetunion überlebt und den Wandel Chinas hin zur kapitalistischen, autoritären Großmacht.
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In all den Jahrzehnten hat die Region auch nur wenig historischen Ballast abwerfen können. Das gilt besonders für Japan, das seinen brutalen Imperialismus nie glaubwürdig der Vergangenheit überantwortet hat. Nun taut in Korea also der alte Konflikt auf und spuckt Probleme aus, als würde ein schmelzender Gletscher Geheimnisse aus einem vergangenen Jahrtausend preisgeben.
Wer nach dem Scharmützel die Lager sortiert, der findet freilich keine neuen Optionen, für die es sich zu verhandeln lohnte. Ob China, die USA, Japan oder Südkorea: Keiner kann glasklare Vorteile aus einem Verhandlungsprozess ziehen. Lediglich Kim Jong-un hat gewonnen. Das Regime ist nach innen gefestigt, das Feindbild Amerika erneuert, die Entschlossenheit auch beim Nachbarn China dokumentiert. Dem Regime geht es vor allem um Selbsterhalt - traut euch nicht an uns heran, wir sind unberechenbar. Dieses Ziel ist erreicht. Nein, selbst die USA werden nicht angreifen. Zweitens will Nordkorea den Abzug der USA aus dem Süden. Wenn also jemand verhandeln möchte: Bitte, hier ist das Ziel.
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In diesem Ziel ist sich Pjöngjang fast schon einig mit China. Die Führung in Peking fürchtet nichts mehr als ein vereinigtes Korea unter dem Schutz (und gar mit der Präsenz) der USA. Das wäre noch schlimmer als ein kollabierendes Regime in Nordkorea und eine Hungerwanderung von Millionen Menschen. Dennoch wird Kim keine neuen Freunde in Peking finden: In der Abwägung aller Vor- und Nachteile muss China nun Angst haben vor einer Nuklearisierung seiner Nachbarschaft. Plötzlich finden sich sowohl in Südkorea als auch in Japan Freunde einer eigenen Atombewaffnung. Dem chinesischen Militär sind bereits die Raketenabfangstationen in Südkorea ein Gräuel, weil sie das Raketengleichgewicht zwischen China und den USA zerstören.
Die USA sind die Letzten, die ein Interesse an einer Neuordnung dieses Konflikts haben. Sie können Südkorea und Japan nicht militärisch vor Nordkorea verteidigen, sie müssen ernsthaft ein Armageddon-Szenario fürchten bis hin zu einem Nuklearkrieg, und sie riskieren vor allem, die Vorteile zu verspielen, die sie allein durch ihre Präsenz in Südkorea erhalten können. Ob sich Nordkorea Nuklearwaffen wegverhandeln lässt, darf eh bezweifelt werden.
Seit 64 Jahren ist der Koreakrieg vorbei, beendet ist er noch lange nicht. Das Scharmützel zwischen Kim und Trump zeigt, wie sensibel die politische Architektur reagiert, wenn sie auf eine historisch unruhige Tektonik gebaut ist. Der Koreakonflikt ist am besten zu kontrollieren, wenn man nicht an ihn rührt. Entscheidet sich einer wie Kim zur Provokation, helfen nur eine grimmige Miene und die Entschlossenheit zur Abschreckung.