Reaktionen auf EU-Asylreform:"Historischer Schritt" bis "beschämend"

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Der Kern der Reform: Ankommende sollen in Lagern unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht und registriert werden. (Foto: Yara Nardi/Reuters)

Kanzler Scholz lobt die Solidarität unter den europäischen Staaten, Amnesty International ist von der beschlossenen Asylreform tief enttäuscht. Die Reaktionen im Überblick.

Einigung nach jahrelanger Debatte: Am Mittwoch hat das Europäische Parlament für eine umfassende Reform des Europäischen Asylsystems gestimmt. Erstmals wird es damit einheitliche Asylverfahren an den EU-Außengrenzen geben. Der Kern der Reform: Ankommende sollen in Lagern unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht und registriert werden. Wer aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent kommt und nicht minderjährig ist, soll innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden.

Für einzelne Länder ist es künftig zudem möglich, Geld zu bezahlen, statt Flüchtlinge aufzunehmen. Der Rat der 27 Mitgliedstaaten muss die ausgehandelten Kompromisstexte nun noch bestätigen. Bis sie in Kraft treten, wird es bis zu zwei Jahre dauern.

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Die Reaktionen auf die Asylreform gehen dabei weit auseinander. Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, schreibt auf der Plattform X: "Die EU-Migrationspolitik wird auf neue und bessere Beine gestellt. Die EU ist handlungsfähig. Ein guter Tag für Europa." Der migrationspolitische Sprecher der FDP im EU-Parlament, Jan-Christoph Oetjen, wertet den Migrationspakt als "großen Gewinn für ganz Europa". EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola nennt die Beschlüsse auf X einen "robusten Gesetzesrahmen für den Umgang mit Migration und Asyl in der EU".

Scholz spricht von einem historischen Schritt

Aus Sicht der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wird mit der Einigung eine tiefe Spaltung Europas überwunden. "Wir schützen weiterhin die Menschen, die aus furchtbaren Kriegen, vor Terror, Folter und Mord zu uns fliehen. Aber diese Verantwortung für Geflüchtete wird künftig auf mehr Schultern verteilt sein." Lob kommt auch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Mit der Zustimmung zur Asylreform "beweist die EU in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit", schreibt die Grünen-Politikerin auf X. Europa bekomme verbindliche Regeln mit Humanität und Ordnung. "Die verpflichtende Solidarität ist ein Meilenstein. Das ist auch eine gute Nachricht für Kommunen in Deutschland."

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnet die EU-Asylreform als historischen und unverzichtbaren Schritt. Auf der Plattform X schreibt Scholz zu der Entscheidung des EU-Parlaments, die Reform stehe für die Solidarität unter den europäischen Staaten. "Sie begrenzt die irreguläre Migration und entlastet endlich die Länder, die besonders stark betroffen sind."

Scharfe Kritik kommt dagegen von den Linken, den Grünen und von Sozialverbänden. Die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Cornelia Ernst, wirft dem Parlament "historisches Versagen" vor. Die Reform stelle "die massivste Verschärfung des Europäischen Asyl- und Migrationsrechts seit Gründung der EU" dar und ebne den Weg für einen beispiellosen Rechtsruck in der Asylpolitik.

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Laut der Ko-Vorsitzenden der Grünen im Europaparlament, Terry Reintke, werde der Asyl- und Migrationspakt "die unerträgliche Situation an den EU-Außengrenzen nicht lösen und kaum dazu beitragen, Migration besser zu steuern, stattdessen aber mehr Bürokratie schaffen". Die Verantwortung müsse gerechter verteilt werden. Die Grünen hatten fast geschlossen gegen die Kompromisstexte gestimmt. Die innenpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Europaparlament, Birgit Sippel (SPD), sagt: Zwar schaffe das Paket klare Regeln, welche die Mitgliedstaaten in die Verantwortung nehmen. Sie räumt aber ein, die Einigung habe "hohe Zugeständnisse" verlangt, insbesondere in der Frage der Inhaftierung in den Grenzverfahren.

Amnesty International: Asylreform als "verpasste Chance"

Die Organisation Pro Asyl nennt das Paket einen "Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa". Zu den schon bestehenden Zäunen, Mauern, Überwachungstechniken und Pushbacks kämen nun "absehbar noch mehr Inhaftierung und Isolierung Schutz suchender Menschen an den Außengrenzen und neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen dazu", so die rechtspolitische Sprecherin Wiebke Judith.

Nach Worten von Ärzte ohne Grenzen wird das System bestehende Dynamiken verschärfen und Menschen dazu zwingen, noch gefährlichere Fluchtrouten zu wählen. Caritas Europa bewertet besonders die beschleunigten Asyl- und Rückführungsverfahren an den Grenzen als problematisch, einschließlich der Inhaftierung von Familien und Kindern, eine diskriminierende Vorsortierung Schutzsuchender und die Auslagerung der Asylfrage in Drittstaaten.

Amnesty International kritisiert die gebilligte Asylreform als "verpasste Chance" und "beschämend". Die europäischen Institutionen verständigten sich damit auf ein Abkommen, von dem sie wüssten, dass es zu noch größerem menschlichen Leid führen werde, erklärt Eve Geddie, bei der Menschenrechtsorganisation zuständig für EU-Institutionen. Dabei nennt sie gewaltsame Pushbacks, willkürliche Inhaftierung und Diskriminierung durch Sicherheitskräfte. "Europa hat eine wichtige Gelegenheit verpasst, ein Migrations- und Asylsystem aufzubauen, das die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt und das Menschenrecht auf Asyl bedingungslos anerkennt."

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