Asyldebatte:CDU für neuen Kurs im Asylrecht

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Um die Migration über das Mittelmeer einzuschränken, schloss die EU kürzlich ein Abkommen mit Tunesien. (Foto: Pau de la Calle/AP)

Christdemokraten wollen den Individualanspruch auf Asyl kippen und stattdessen ein Kontingent einführen. Kritik daran kommt von SPD, FDP und den Grünen.

Von Georg Ismar und Robert Roßmann, Berlin

Ein beliebter Vorwurf der Ampelkoalitionäre Richtung Union lautet, sie kritisiere und polemisiere nur - mache aber keine eigenen Lösungsvorschläge für die großen Herausforderungen unserer Zeit. Nun hat der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, einen Vorschlag für eines der umstrittensten Themen überhaupt vorgelegt. Aber dieser Vorschlag würde das europäische Asylrecht auf den Kopf stellen. Statt in eine Debatte einzusteigen, kommt von der Ampelkoalition deshalb: harte Ablehnung.

Frei argumentiert, dass das geltende Asylrecht wegen seiner Ausgestaltung zu einer zutiefst inhumanen Auswahl führe: "Wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist, ist chancenlos", könne sich nicht auf den Weg aus Afghanistan oder durch die Wüsten Afrikas und über das Mittelmeer machen, schreibt Frei in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Deshalb würden vor allem junge Männer nach Europa kommen.

Jährlich solle ein Kontingent von bis zu 400 000 Schutzbedürftigen aufgenommen werden

Frei fordert deshalb, dass aus dem Individualrecht auf Asyl eine Institutsgarantie werden muss. "Eine Antragstellung auf europäischem Boden wäre nicht länger möglich, der Bezug von Sozialleistungen und Arbeitsmöglichkeiten umfassend ausgeschlossen", schreibt er. Stattdessen schlägt Frei vor, jährlich ein Kontingent von 300 000 oder 400 000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland aufzunehmen und auf die teilnehmenden Staaten zu verteilen - für alle, die trotzdem flüchten, gäbe es keine Chance mehr auf eine Aufnahme in Europa.

Mit einem solchen Asylrecht könne Europa sich nicht nur an die Schwächsten wenden, sondern sehr genau dort helfen, wo Staaten durch große Flüchtlingsströme destabilisiert werden, sagt Frei. "Die illegale Migration wäre unterbunden, der Staat würde die Kontrolle über die Migrationsströme zurückerlangen, und Rechtspopulisten der Boden entzogen." Doch ob es wirklich so einfach wäre?

Dirk Wiese, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, nennt den Vorschlag "realitätsfremd". Er gehe zudem ins Leere, da er illegale Migration nicht stoppen werde. "Institutslösung klingt geordnet, ist es aber ganz und gar nicht. Welcher vor Gewalt und Verfolgung Flüchtende verharrt schon, wo er ist, und meldet sich ordentlich an", fragt Wiese. Und wer solle in Bürgerkriegsländern über das Kontingent entscheiden? Wieses Gegenvorschlag: "Wir müssen endlich wirksam und nachhaltig die Fluchtursachen bekämpfen."

Die Europäische Union ist bereits dabei, Asylregeln drastisch zu verschärfen

Die Europäische Union ist bereits dabei, Asylregeln drastisch zu verschärfen. Ankommende Menschen aus als sicher eingestuften Staaten sollen in abgeriegelte Aufnahmeeinrichtungen kommen, in denen innerhalb weniger Wochen über die Asylanträge entschieden wird. Bei abschlägigem Entscheid sollen die Menschen direkt in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Außerdem wurde mit Tunesien ein Abkommen unterzeichnet, um die Migration nach Europa zu erschweren.

Thorsten Frei verlangt in bestimmten Lagen sogar einen generellen Aufnahmestopp, auch im Rahmen seiner Institutslösung. Käme es zu einer Massenflucht wie der aus der Ukraine, würde Europa kein Kontingent aus dem entfernteren Ausland mehr aufnehmen, schlägt er vor. Frei räumt aber selbst ein: "Auf diesem Weg gibt es enorme politische Hürden. Aber wenn wir sie nicht überwinden, führt die Überforderung unserer Gesellschaften zur Zerstörung dessen, was das Asylrecht gewähren will: ein Europa als Zufluchtsort für schutzbedürftige Menschen."

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SPD-Fraktionsvize Wiese kritisiert, der Frei-Vorschlag schleife vor allem das individuelle Recht auf Asyl - "eine wichtige humanitäre Errungenschaft, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes aus gutem Grund nach dem Zweiten Weltkrieg dort installiert haben". Was es aber brauche, seien mehr Migrationsabkommen, national und europäisch, auch um wieder deutlich zwischen Asyl- und Arbeitskräfte-Zuwanderung trennen zu können. "Dazu klare Regeln, wer bleiben darf und wer Europa wieder verlassen muss, kombiniert mit einem sicheren Außengrenzschutz und mobilen Kontrollen an den Binnengrenzen."

Auch die FDP lehnt den CDU-Vorstoß als nicht realistisch ab. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte der Süddeutschen Zeitung, nach "ihrer katastrophalen Flüchtlingspolitik von 2015" sei die CDU offenbar auf der Suche nach einem Kurs in der Migrationsdebatte. "Die CDU hat es in ihrer Regierungszeit nicht vermocht, die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik zu ordnen", sagt Djir-Sarai. Es sei ein richtiger Schritt, dass auf europäischer Ebene nun das Gemeinsame Europäische Asylsystem reformiert werde. Er würde sich wünschen, dass "die CDU mit Ernsthaftigkeit diese Bemühungen unterstützen würde".

Die Migrationsexpertin der Grünen, Filiz Polat, betonte, die Forderung von Frei sei nicht nur verfassungswidrig, "sondern höchst gefährlich". Der Schutz von Geflüchteten werde damit erst Recht zum Spielball aktueller politischer Stimmungen. "In Zeiten, in denen Autokraten die Menschenrechte und das Völkerrecht mit Füßen treten, ist es unverantwortlich, das individuelle Recht auf Schutz neu zu verhandeln." Mit solchen Debatten befeuere die Union die Forderungen rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien nach einer faktischen Abschaffung des Flüchtlingsschutzes. Das individuelle Recht auf Asyl sei entstanden aus den Erfahrungen zweier Weltkriege - verankert in der Genfer Flüchtlingskonvention. "Diese ist eine der zivilisatorischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts", betonte Polat. Die EU habe eine Vorbildfunktion in Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit.

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