Bürgergeld:"Vielen Dank für die Unterlagen"

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Sozialhilfe und Bürgergeld sind gleich hoch. Unter anderem im Landkreis Fürstenfeldbruck gibt es dazu noch einen Aufstockungsbetrag, der allerdings jetzt eingefroren wird. (Foto: IMAGO/Sascha Steinach)

7, 4 Millionen Mal hat die Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr allein eine "Aufforderung zur Mitwirkung" versendet. Ein Musterbrief, dessen Sprache die Empfänger verzweifeln lässt. Das soll anders werden.

Von Roland Preuß, Berlin

Ohne Worte geht gar nichts. Das wissen Bibelkundige seit jeher. "Am Anfang war das Wort", heißt es im Johannes-Evangelium. Das gilt in Deutschland ganz besonders. Hier haben "Worte ein ganz anderes Gewicht", sangen Wir sind Helden schon vor Jahren. Wer einmal mit dem Jobcenter zu tun hatte, wird die Bedeutungsschwere der Worte ermessen können. Sie müssen mit besonderer Sorgfalt gewählt sein, denn es geht um das Bürgergeld, das Existenzminimum der Menschen.

Wenn die "Kunden", wie die Antragsteller im Jobcenter heißen, schon den Antrag nicht verstehen, wenn sie deshalb falsche Angaben machen und die Stütze ausbleibt, so geraten sie schnell in Not. Andererseits sollen die Jobcenter-Mitarbeiter alles juristisch abgesichert formulieren, damit ihnen das Sozialgericht nicht die Bescheide kassiert. Das Ergebnis sind bürokratisch-kryptische Briefe, die die Kunden eher selten verstehen. Vielen sind die Schreiben vom Jobcenter Qual und Rätsel zugleich.

Nun macht sich die Bundesagentur für Arbeit (BA) auf, die mehr als 300 Musterbriefe der Zentrale, mit denen die Jobcenter beim Bürgergeld arbeiten, in verständliches Deutsch zu übersetzen. Einer der ersten Musterbriefe ist die "Aufforderung zur Mitwirkung"; 7,4 Millionen Mal ging er vergangenes Jahr raus. Ein Vergleich mit dem neuen Musterschreiben, das der SZ vorliegt, zeigt, was man da vorhat.

Nicht nur der Empfänger profitiert, sondern auch die Behörde. Sie muss weniger nachfragen

In der alten Briefvorlage heißt es zur Begrüßung: "Sie haben Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beantragt. Es ist zu überprüfen, ob und inwieweit für Sie ein Anspruch auf Leistungen besteht beziehungsweise bestanden hat." Die neue Vorlage heißt nun "Bitte um Mithilfe" und beginnt den Dialog mit einem "Dank für die eingereichten Unterlagen". Wo bisher aus Bürokratenperspektive der Vorgang beschrieben wurde ("es ist zu prüfen...") wird der Antragsteller persönlich angesprochen. "Sie beziehen Bürgergeld-Leistungen", heißt es da. Dann schreibt die Behörde, was sie selbst tun wird: "Wir überprüfen, ob und in welcher Höhe Sie einen Anspruch auf Leistungen haben oder hatten." Geht doch.

Von Juristen erschaffene Bandwurmsätze werden zerlegt. Wo bisher referiert wird, dass "alle Tatsachen anzugeben" sind, "die für die Leistung erheblich sind", wird die Botschaft in drei Teile aufgespalten und es werden Beispiele genannt, wann man reagieren muss, etwa bei einem Umzug. "Wir machen die Briefe verständlicher, strukturierter und freundlicher", sagt die BA-Vorständin Vanessa Ahuja. Beide Seiten hätten davon einen Vorteil. "Die Jobcenter müssen weniger nachfragen, etwa nach fehlenden Unterlagen, die Antragsteller bekommen so schneller ihre Bewilligung."

Jeden Werktag schicken Deutschlands Jobcenter im Schnitt 190 000 Schreiben raus, oft erstrecken sich die Bescheide über zig Seiten. Das lässt erahnen, welche Lebenszeit hier verzehrt wird. Bisher endeten die Schreiben mit einem Auszug aus dem Sozialgesetzbuch, die Paragrafen im Original. Das wird so bleiben, denn auch die neuen Briefe sollen rechtssicher sein. Die Sprache im Jobcenter wird zwar leichter, aber die Worte behalten ihr Gewicht.

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