Antisemitismus:Polizei-Schutz in letzter Minute

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NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) forderte nach den Ereignissen von Wermelskirchen und der Entdeckung von schwerstem Kindesmissbrauch erneut die Vorratsdatenspeicherung. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Wie kam es zu der Hass-Demo vor der Synagoge in Gelsenkirchen? Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul räumt ein, dass die Polizei die Gefahr erst verkannte - dann aber den Mob gerade noch stoppen konnte. Fünf Täter seien bisher identifiziert.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Eine polizeiliche Fehleinschätzung hat offenbar die antisemitische Hass-Demo unmittelbar vor der Synagoge am 12. Mai in Gelsenkirchen ermöglicht. Das hat NRW-Innenminister Herbert Reul am Mittwochabend im Düsseldorfer Landtag eingeräumt.

Reul berichtete, die Polizei habe am Mittwochmorgen voriger Woche zwar von einem Aufruf zu einer Anti-Israel-Demonstration im Internet erfahren, diesen aber nach Prüfung abgetan. Die "möglicherweise verbesserungsfähige Bewertung" im Polizeipräsidium Gelsenkirchen habe gelautet, so Reul wörtlich: "Da wird nichts passieren!" Dennoch lobte der Innenminister den Polizeieinsatz am frühen Abend desselben Tages: Seine Beamten hätten "klug und vernünftig gehandelt. So sei sehr schnell Verstärkung herbeigerufen und der Mob unmittelbar vor der Synagoge von einer Polizeikette gestoppt worden. Diese Schutzmaßnahme, so Reul, hätte "aber auch keine Minute später" ergriffen werden dürfen.

Videos von der Gelsenkirchener Protesten hatten vorige Woche bundesweit Empörung ausgelöst. Die Bilder zeigten eine Ansammlung von etwa einhundert Menschen, die in Sprechchören "Scheiß-Juden" brüllten und palästinensische und türkische Fahnen schwenkten.

Auf die Stunde genau eine Woche später beteuerte im Landtag auch Reul, "brennende Israel-Fahnen und zutiefst judenfeindliche Parolen" seien für ihn "eine Schande." NRW-weit, so der Minister, hätten die Sicherheitsbehörden in den vergangenen Tagen "47 Sachverhalte" mit antisemitischem Bezug registriert. Es gebe 85 Tatverdächtige, 31 von ihnen seien bereits identifiziert.

Nur mit Glück schaffte es die Verstärkung rechtzeitig vom Stadion in die Altstadt

Reul ließ klar erkennen, dass er die Entscheidung der Polizeiführung missbilligt, nach Entdeckung des Demo-Aufrufs in Sozialen Netzwerken keine konkreten Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Zwar habe der Appell keinen Bezug zur Synagoge gehabt: "Aber man muss sich schon fragen, warum trotz des Aufrufs im Internet nicht von einer Versammlung ausgegangen wurde." Immerhin sei die Jüdische Gemeinde telefonisch informiert worden. Die Polizei habe aber im Netz "kein Echo" auf den Aufruf entdeckt. Versuche, den Urheber der Nachricht zu direkt kontaktieren, seien erfolglos geblieben. Als Plan B blieb nur: Falls doch etwas passiere, sollten einige von 80 Polizisten aus einem Einsatz beim abendlichen Geisterspiel Schalke - Hertha BSC abgezogen werden.

Der Innenminister zeichnete die Gelsenkirchener Geschehnisse am frühen Abend des 12. Mai detailreich nach. Am Gelsenkirchener Bahnhof seien gegen 17.30 Uhr zunächst 20, dann schnell 40 Personen mit türkischen und palästinensischen Flaggen entdeckt worden. Gegen 17.45 Uhr sehen acht Beamte, wie mittlerweile etwa einhundert Personen durch die Fußgängerzone in Richtung Synagoge aufbrechen - ein Fußweg von nur acht Minuten. Vier Polizisten eilen zur Synagoge, vier begleiten den Marsch - und alarmieren die Kollegen mit der Bitte um "25 Unterstützungskräfte." Es habe jedoch "ein Problem" gegeben, so Reul: "Die stehen im Umfeld des Stadions, das bedeutet: bis zu 20 Minuten Fahrzeit."

Die Polizei macht Tempo, hat Glück. Innerhalb von nur sieben Minuten schaffen es die Mannschaftswagen mit Blaulicht von der Schalke-Arena in die Gelsenkirchener Altstadt. In der Gildenstraße bilden 16 Beamte eine Polizeikette vor der Synagoge. Die hundert Demonstranten werden zwar laut, skandieren "Scheiß-Juden" und "Kindermörder Israel." Aber sie fügen sich: Nach nur sechs Minuten ziehen sie wieder Richtung Bahnhof davon.

Die Demonstranten hatten Straftaten begangen, Reul zählt sie im Landtag auf: "Volksverhetzung, Beleidigung, Widerstand gegen Polizisten, Landfriedensbruch." Doch angesichts der Kräfteverhältnisse hatte die Polizei an jenem Abend auf Festnahmen verzichtet. Das will man nun nachholen: Eine 15-köpfige Ermittlungskommission beim Staatsschutz wertet Videoaufnahmen aus, hat bisher 16 Tatverdächtige ausgemacht. Die meisten, so sagt Reul, seien "junge Männer mit arabischstämmigem Hintergrund."

Fünf wurden (offenbar aufgrund früherer Vergehen) bereits namentlich identifiziert. Reul nennt ihre Nationalitäten: ein Deutscher, 30 Jahre alt, ein Deutsch-Libanese, 27, zwei Libanesen, 24 und 20, eine 22-jährige Syrerin. Die Ermittlungen gegen "diesen antisemitischen Mob" liefen nun "mit Hochdruck", versichert der Innenminister: "Ich will wissen, wer da was skandiert und gemacht hat." An diesem Donnerstag geht es weiter: Da will Reul vor dem Innenausschuss ein Bild der Lage malen - und im Plenum möchte der Landtag einmütig eine Resolution gegen jedweden Antisemitismus verabschieden.

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