Anschlag in Berlin:Chefermittler verbreiten Gelassenheit

Lesezeit: 3 min

  • Auf ihrer Pressekonferenz zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt beantworten die leitenden Ermittler viele Fragen, doch sie geben keine Antworten.
  • Am Abend wurde der vorläufig Festgenommene wieder freigelassen, wenig später reklamierte der IS den Anschlag für sich. Zum Täter bleiben kaum mehr als Vermutungen.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Frage um Frage um Frage wird gestellt. Seit mehr als einer Stunde schon. Am Tag nach dem - ja was eigentlich? Anschlag? Zwischenfall? Terrorakt? An dem Tag jedenfalls, nachdem am Montagabend um 20.02 Uhr ein Sattelschlepper in die Menschenmenge des Weihnachtsmarktes an der Berliner Gedächtniskirche raste.

Am Dienstagnachmittag kommen in der Bundespressekonferenz jene Männer zusammen, die den Stand der Ermittlungen wiedergeben sollen. Die Antworten haben sollen, auf all die Fragen nach dem Warum und dem Wieso.

Generalbundesanwalt Peter Frank, Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamtes, der Berliner Generalstaatsanwalt Ralf Rother und der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt, diese vier sitzen da und haben im Grunde keine Antworten.

Bilder
:Berlin gedenkt der Opfer vom Breitscheidplatz

Zahlreiche Menschen legen Blumen am Weihnachtsmarkt nieder und zünden Kerzen an. Das Brandenburger Tor leuchtet in den Nationalfarben: Bilder aus Berlin.

Eine Stunde nach der Tat wurde an der Siegessäule ein Tatverdächtiger festgenommen. Nur, er war es offenbar nicht. Am Abend wurde der Mann wieder freigelassen.

Im Grunde haben die Ermittler, am Tag nach der Tat, nun ja, nichts. Sie kennen grob den Ablauf der Tat. Aber sie kennen das Motiv nicht. Wissen nicht, ob es Hinterleute gibt, Komplizen. Oder ob es die Tat eines Einzelnen war. Der IS ließ über sein Propaganda-Sprachrohr Amak verlauten, er reklamiere den Anschlag für sich. Doch da der IS im Verdacht steht, sich zu allen möglichen Anschlägen nur aus Propagandazwecken zu bekennen, hilft auch das noch nicht wirklich weiter.

Die Ermittler können aus der Tat im Moment also nur Vermutungen ableiten. Die Symbolik eines Weihnachtsmarktes und die Tatwaffe Lkw, das spricht eher für einen terroristischen Anschlag. Der Tathergang spricht womöglich für einen Einzeltäter. Zumindest sei das Ganze "logistisch nicht so anspruchsvoll" gewesen, sagt der Berliner Polizeichef Kandt.

Aber sonst? Nichts. Außer einer bemerkenswerten Gelassenheit, die auf der Presskonferenz verbreitet wird. "Man tappt immer dann nicht im Dunkeln, wenn man einen konkreten Täter hat", sagt Generalbundesanwalt Frank. Es sei jetzt Teil der polizeilichen Ermittlungsarbeit, alle Puzzleteile in diesem Fall zu finden. Aber das "Puzzle zusammensetzen ist manchmal nicht in einem Tag geschehen".

Über den zwischenzeitlich Tatverdächtigen hätte es etwas zu berichten gegeben. Ein Pakistaner, der wohl sein Asylverfahren selbst verschleppt hat und wegen kleinerer Delikte der Polizei bekannt gewesen, aber nicht vorbestraft sein soll.

Doch die Auswertung seines Handys hat offenbar keine neuen Erkenntnisse ergeben. Womöglich war der Mann einfach nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, als ihn eine Polizeistreife am Dienstagabend an der Siegessäule festnahm.

Nun, da diese einzige Spur nicht nur kalt, sondern eingefroren ist, bleibt nicht viel. Ein Bekennervideo oder -schreiben liegt nicht vor. Und für ein gutes Fahndungsfoto reichen wohl die Zeugenaussagen noch nicht - aber es werde daran gearbeitet.

Läuft also womöglich der Täter mit geladener Waffe in Berlin herum? Und was heißt das für die Sicherheitslage?

In jeder freien Gesellschaft gebe es eben das Risiko für einen Anschlag

Sicherheit bei Lastwagen
:Vierzigtonner als Waffe

Ohne Lkw würde die Wirtschaft zusammenbrechen. Aber trotz verbesserter Sicherheitstechnik und GPS-Tracker können sie leicht in falsche Hände geraten.

Von Thomas Harloff

Um die stehe es nicht besser oder schlechter als vor der Tat, sagen die Herren vor der Bundespressekonferenz. Es sei ja vorher schon bekannt gewesen, dass es ein hohes Risiko gebe, dass terroristische Täter es auch in Deutschland auf sogenannte "weiche Ziele" abgesehen haben: Weihnachtsmärkte, Fußgängerzonen, Menschenansammlungen aller Art. Alles, wo ein Lkw hindurchfahren kann, ist auch ein potenzielles Anschlagsziel.

Und wäre dann die Tat vom Breitscheidplatz nicht zu verhindern gewesen? Mit dicken Betonsperren etwa? "Wir können nicht jeden Weihnachtsmarkt zu einer Burg ausbauen", sagt BKA-Chef Münch. So ein Terroranschlag, das sei eben ein Risiko, dass es in jeder freien Gesellschaft gebe.

Ob sie selbst morgen wieder auf einen Weihnachtsmarkt gehen würdem, werden die Herren von einem Journalisten gefragt.

Der Generalbundesanwalt zögert. Er sei am Dienstagabend vor Ort gewesen, er habe die Bilder im Kopf. Nein, er würde wohl nicht hingehen. Frank holt etwas aus. Das Ziel des Terrorismus sei es, Angst und Schrecken zu verbreiten. Der Terrorismus siege dann, "wenn aus einer freien Gesellschaft eine unfreie Gesellschaft wird". Er verstehe jeden, der jetzt nicht hinaus will. Aber das sollte auf keinen Fall ein Dauerzustand werden.

Das mag stimmen. Aber vielleicht wäre einem weniger mulmig, wenn zumindest der Täter als gefasst gelten könnte.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: