Sicherheit bei Lastwagen:Vierzigtonner als Waffe

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Lastwagen als Mordwaffe: Mit diesem Scania wurde der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt verübt. (Foto: dpa)
  • Nach dem Anschlag in Berlin fällt ein Schlaglicht auf die Sicherheitsvorkehrungen von Lastwagen.
  • Schlösser und Wegfahrsperren sind auf einem ähnlichen technischen Stand wie bei Pkw. Hinzu kommen umfangreiche GPS- und Telematik-Technologien.
  • Experten sagen, dass sich die Technik zwar verbessert habe, aber die Sicherheit auf den Rastplätzen und Parkflächen zu wünschen übrig lasse.

Von Thomas Harloff

Lastwagen sind ein elementarer Bestandteil des Straßenbildes und fest in unserem Leben verankert. Ohne sie ist unser Alltag nicht denkbar. Ohne sie funktioniert unsere Wirtschaft nicht. Doch bei dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin zeigte sich schon zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres, welch zerstörerische Kraft von einem Lkw ausgehen kann. Zwölf Menschen sind tot, fast 50 wurden verletzt. Zum zweiten Mal seit dem 14. Juli in Nizza, als bei einem Terrorakt 86 Menschen starben und viele hundert verletzt wurden, ist ein Nutzfahrzeug als Mordwaffe missbraucht worden.

Der Anschlag führt dazu, dass die Sicherheitsvorkehrungen im Zusammenhang mit diesen Fahrzeugen jetzt Teil der Debatte werden. Wird genug getan, damit Sattelschlepper, die bis zu 40 Tonnen Gewicht haben, nicht in falsche Hände geraten und für einen Terrorakt missbraucht werden können?

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Schlösser und Verriegelungen haben sich verbessert

Lkw-Schließsysteme befinden sich auf einem ähnlichen technischen Stand wie jene von Personenwagen. Neuere Modelle haben meist Zentralverriegelungen mit Funkfernbedienung, Alarmanlagen sind ebenso Standard wie elektronische Wegfahrsperren.

Doch wie beim Auto gilt: Wer in das Fahrzeug gelangen und es starten möchte, kann das mit dem nötigen Know-how und der entsprechenden Ausrüstung auch tun. "Wir haben mittlerweile bessere Schlösser und Verriegelungen als früher", sagt Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). "Aber wenn wir aufrüsten, dann macht das die Gegenseite auch", sagt Schmidt. Allerdings zeige die Tatsache, dass vor der Todesfahrt mehrfach vergeblich versucht wurde, den Lkw zu starten, dass die Wegfahrsperre des Scania vergleichsweise schwer zu überwinden war.

Es gibt weitere Maßnahmen, mit denen Speditionen versuchen, ihre Fahrer und die Lastwagen vor Einbruch und Diebstahl zu schützen. "Eine relativ primitive Möglichkeit ist, Querverbindungen von Tür zu Tür zu spannen. Man kann zum Beispiel eine Eisenstange zwischen den Türen verankern, damit sie sich von außen nicht öffnen lassen", sagt Schmidt.

Telematiksysteme können fast alles erfassen

Immer mehr Fahrzeuge sind zudem mit GPS-Trackern ausgerüstet. Damit lässt sich aus großer Entfernung auf wenige Meter genau bestimmen, wo sich ein Lastwagen befindet. Das ist zwar nicht Vorschrift, wird aber von vielen Fuhrunternehmen eingesetzt. Hinzu kommen weitere Telematiksysteme, die genaue Daten über die Technik des Lastwagens liefern: Läuft der Motor oder nicht? Welche Drehzahl liegt gerade an? Welcher Gang ist eingelegt? Wie ist der aktuelle Beladungszustand? Nach Auskunft des polnischen Spediteurs, dessen Fahrzeug für den Anschlag in Berlin missbraucht wurde, war dieser Scania mit solcher Technologie ausgerüstet. So konnte er von Polen aus erkennen, dass mehrfach vergeblich versucht wurde, den Motor zu starten.

Doch das ist noch nicht alles. Schon heute ist es technisch möglich, den Motor eines Lastwagens aus der Ferne auszuschalten. "Sie können das Fahrzeug aber nicht stoppen, ohne zu wissen, wo es ist", sagt Schmidt. Die Gefahr, einen schweren Unfall zu verursachen, sei bei voller Fahrt viel zu groß. Denkbar sei aber, den Motor beim Halt an einer roten Ampel auszuschalten. "Das kann man aber dadurch unterbinden, indem man die Antennenanlage zerstört", erklärt der Verbandschef.

Bleibt die Frage, warum der Notbremsassistent den Scania nicht rechtzeitig zum Stehen gebracht hat. Neu zugelassene Lastwagen müssen diese Technik an Bord haben, und es ist wahrscheinlich, dass das relativ neue Modell der polnischen Spedition über das Assistenzsystem verfügte. Allerdings lässt es sich leicht per Tastendruck ausschalten, was Lkw-Fahrer auch oft tun - beispielsweise dann, wenn sie vor einem Überholvorgang auf der Autobahn dicht auf das Fahrzeug vor ihnen auffahren, um den Schwung auszunutzen.

Es ist jedoch sehr fraglich, ob das System bei dem sehr speziellen Szenario in Berlin viel bewirkt hätte. Erstens sind Notbremsassistenten dafür optimiert, Auffahrunfälle auf andere Fahrzeuge zu vermeiden, etwa an Stauenden. Fußgänger oder andere Hindernisse zu erkennen, bereitet ihnen dagegen Probleme. Außerdem können sie die Geschwindigkeit in der Regel nur um zehn Kilometer pro Stunde verringern. "Durch die schiere Masse eines Lastwagens reicht schon eine Aufprallgeschwindigkeit von 30 km/h aus, um verheerenden Schaden anzurichten", sagt Herbert Fuss vom ADAC. Es mache deshalb kaum einen Unterschied, ob der Notbremsassistent aktiviert war oder nicht.

Es ist trotzdem leicht, Zugriff auf einen Lkw zu bekommen

BGL-Geschäftsführer Karlheinz Schmidt hält die Technik der derzeit eingesetzten Lastwagen trotz aller Einschränkungen für sicher genug. Viel größere Sorgen bereitet ihm die Sicherheit auf den Rastanlagen und Parkplätzen. Dort sei die Kriminalität besonders hoch: "Wir fühlen uns verlassen, wir fühlen uns unsicher." Immer wieder würden Fahrer mit K.-o.-Tropfen außer Gefecht gesetzt, um ihre persönlichen Dinge oder gar die Ladung zu stehlen. Wer den Fahrer überwältigt habe, habe auch den Fahrzeugschlüssel in seiner Gewalt. Schmidt sieht die Politik in der Pflicht, die Sicherheit zu erhöhen: "Wir brauchen erstens mehr Polizeistreifen und zweitens beleuchtete Parkflächen. Wenn es so leicht ist, Zugriff auf einen Lkw zu bekommen, muss man sich nicht wundern, dass er als Waffe eingesetzt wird."

Beim Terrorakt in Nizza wurde der Lastwagen allerdings nicht gestohlen, sondern gemietet. Das scheint auf den ersten Blick die einfachste Variante zu sein, einen Lkw als Waffe zu missbrauchen. Dem widerspricht Michael Schittenhelm vom Lastwagen-Verleih KLV Rent: "Wir vermieten nur an gewerbliche Kunden, die ihr Geschäft schon lange Jahre ausüben." Die Kunden seiner Firma müssten die entsprechenden Nachweise und ihre Bonität offenlegen, bevor sie einen Lkw mieten könnten. "Je kürzer jemand sein Geschäft betreibt, desto genauer schauen wir hin." Drei bis fünf Jahre seien die Mindestanforderung.

Auch Miet-Lkw können erfasst werden

GPS-überwacht sind seine Fahrzeuge zwar nicht, aber die Technik sei grundsätzlich dafür vorbereitet. "Der Kunde kann an unser Fahrzeug seine Telematiksysteme anschließen und das überwachen lassen. Ob er das tut oder nicht, entscheidet er allein." Das liege auch daran, dass viele Speditionen aus Wettbewerbsgründen nicht wollten, dass der Vermieter jederzeit die Position des Lastwagens kennt. Wenn gewünscht, kann das Fahrzeug aber alle möglichen Daten an die Spedition übertragen.

Sowohl die Spediteure als auch die Vermieter schätzen ihre Möglichkeiten, Anschläge wie jenen in Berlin zu verhindern, jedoch als sehr begrenzt ein. Schittenhelm sagt: "Wenn ein Fahrzeug missbraucht wird, um eine solche Art von Anschlag zu verüben, können wir nichts mehr unternehmen."

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