Vereinte Nationen:Die Diplomatie hinter der Isolation

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Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock spricht bei der Notsondertagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

In einer UN-Resolution verurteilen 141 Staaten den russischen Angriffskrieg. Das Land steht nahezu allein da. Das liegt auch an den Anstrengungen der deutschen Außenministerin und ihres ukrainischen Amtskollegen.

Von Paul-Anton Krüger, New York

Es hat Vorteile, als Außenministerin vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu sprechen. In der Reihenfolge der Redner in New York spielt nämlich auch der Rang eine Rolle. Außenminister sticht Botschafter. Und so sichert sich Annalena Baerbock Platz 76 auf der Liste in der Debatte über Resolutionsentwurf A/ES-11/L.7, in dem es um Prinzipien für einen "umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine" geht. Sie hat damit am Donnerstagmittag das letzte Wort an dem mit grünem Marmor verkleideten Pult im Saal des UN-Hauptquartiers am East River.

Das ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass sie ohnehin spät dran ist wegen eines notwendigen Tankstopps ihres Regierungsfliegers auf Island, sondern einer Bitte ihres ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba. Er wollte vermeiden, dass Dai Bing, der Vertreter Chinas bei den UN, die Debatte beschließt.

Kulebas Vorahnungen bestätigen sich. Dai Bing sagt, die Priorität bestehe darin, "einen Waffenstillstand und eine unverzügliche Einstellung der Feindseligkeiten zu ermöglichen", direkte Gespräche zwischen Moskau und Kiew, so schnell wie möglich. Kein Wort, wer der Aggressor ist, wer das Völkerrecht verletzt.

Den Friedensplan, den der oberste Außenpolitiker der Kommunistischen Partei, Wang Yi, auf der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt hatte, stellt Dai Bing nicht vor. Die zwölf Punkte mit dem Aufruf zum sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen werden erst wenige Stunden nach seiner Rede veröffentlicht.

Doch dass aus Pekings Sicht die Waffenlieferungen westlicher Staaten an die Ukraine Teil des Problems sind, das macht Dai Bing klar. Sie würden keinen Frieden schaffen, sondern den Krieg nur anheizen.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba kurz nach seiner Rede bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen. (Foto: IMAGO/John Angelillo/IMAGO/UPI Photo)

Baerbock und auch Kuleba dürften das haben kommen sehen; Wang Yi hatte die Position in München schon vertreten. Und so haben sie eine Antwort vorbereitet. Die Ukraine übe ihr in der UN-Charta verbrieftes Recht auf Selbstverteidigung aus, sagt Kiews Außenminister. Wer ihr dabei mit Waffen helfe, verteidige die UN-Charta. Wer dagegen Russland unterstütze, zerstöre sie.

Das Gründungsdokument der Vereinten Nationen normiert zwar ein Gewaltverbot, über das sich Russland hinwegsetzt - aber garantiert auch das Recht auf Selbstverteidigung. "Wir haben diesen Krieg nicht gewählt", wird Baerbock später hinzufügen. "Wenn Russland aufhört zu kämpfen, dann endet dieser Krieg", sagt sie. "Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, dann ist es das Ende der Ukraine."

Die Resolution zum Jahrestag der neuerlichen russischen Invasion ist auch ein Test. 141 Staaten haben hier kurz nach dem Überfall einen Rückzug der russischen Truppen gefordert und den Angriff auf die Ukraine verurteilt. 35 enthielten sich, fünf waren dagegen - neben Russland nur Belarus, Nordkorea, Syrien und Eritrea. Wie viele würden diesmal wieder dem russischen Präsidenten Waldimir Putin zeigen, dass die Welt sich nicht seiner Logik der militärischen Gewalt beugt, sich nicht abfindet mit dem "eindeutigen Bruch" der UN-Charta, wie es UN-Generalsekretär António Guterres formulierte.

45 Sekunden Vorwarnzeit

"45 Sekunden", sagt Baerbock zum Beginn ihrer Rede. "45 Sekunden, um deine Großmutter in Sicherheit zu bringen. 45 Sekunden, um es in den Keller zu schaffen." 45 Sekunden - so lange dauert es, bis in Charkiw die russischen Raketen einschlagen, nachdem Luftalarm ausgelöst wird. Baerbock hat diese Zahl gehört, als sie Anfang Januar die Millionenstadt im Nordosten der Ukraine besuchte und mit Kuleba in einem zerbombten Umspannwerk stand, im Viertel Saljutyne.

Zentimeterdicke Stahlkabel hingen dort von verbogenen Masten schlaff zu Boden, zersplittert waren die Isolatoren eines haushohen Transformators - Zeugnisse des Raketenterrors, mit dem Putin seit Mitte Oktober die Ukraine überzieht. "Keine Chance, die abzuschießen", sagte ihr der Gouverneur der Oblast Charkiw, Oleh Synehodow - die Vorwarnzeit betrage 45 Sekunden.

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Natürlich verlässt sich die Außenministerin nicht allein auf die Kraft ihrer Worte. Sie nutzt jede ihrer Begegnungen, um den russischen Krieg gegen die Ukraine anzusprechen, um für ihre Position und die Resolution zu werben. Auch in New York hat sie ihre Liste dabei, rosa gekennzeichnet jene Staaten, bei denen noch Überzeugungsarbeit notwendig ist. Weil der Inselstaat São Tomé und Príncipe zwar für die Resolution stimmen wollte, aber derzeit nur in Washington einen Vertreter hat und nicht in New York, organisierten die Deutschen die Anreise - letztlich stand ein weißes Plus auf grünem Grund auf dem Abstimmungstableau. Vor allem aber ihre Kolleginnen und Kollegen aus Südafrika, Indien, Senegal, Äthiopien, Nigeria und Brasilien hat Baerbock in den Tagen vor der Abstimmung bearbeitet.

Auf Brasilien ist man eingegangen

Aber auch mit Kuleba hat sie lange geredet, auf der fünfstündigen Zugfahrt von Kiew nach Charkiw und zuletzt noch auf der Sicherheitskonferenz in München. Sie hat die Regierung in Kiew zusammen mit anderen Vertretern westlicher Staaten dafür gewinnen können, nicht mit dem Zehn-Punkte-Plan von Präsident Wolodimir Selesnkij in die Generalversammlung zu gehen, sondern mit einer Resolution, die möglichst viele Staaten mittragen können.

Das Ergebnis ist ein Kompromiss, der nicht in allen Punkten eins zu eins den Vorstellungen Kiews entspricht; so ist etwa die Forderung nach einem Tribunal nicht enthalten, das Putin wegen des Verbrechens des Angriffskriegs aburteilen könnte, eine Idee, die völkerrechtlich höchst umstritten ist. Aber der Text benennt klar und deutlich die "Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine".

Der Ruf nach einem Ende der Kampfhandlungen, der etwa Brasilien wichtig war, findet sich im Punkt fünf - allerdings geknüpft an die Aufforderung zum bedingungslosen Rückzug der russischen Truppen sowie die Achtung der Gleichheit, Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine in den international anerkannten Grenzen, also einschließlich der Halbinsel Krim und der Gebiete im Donbass, die Putin im Jahr 2014 bereits besetzt hat.

Russlands UN-Botschafter Wassilij Nebensja behauptet, Moskau habe keine Wahl gehabt. (Foto: John Minchillo/AP)

Russlands UN-Botschafter Wassilij Nebensja hatte es zwar versucht mit den hinlänglich bekannten Argumenten des Kreml, Russland habe "keine andere Wahl" gehabt, als eine "militärische Spezialoperation" in der Ukraine zu beginnen - das Wort "Krieg" kommt ihm nicht über die Lippen. Der Westen habe Russlands Sicherheitsinteressen ignoriert, die "Infrastruktur der Nato immer näher an unsere Grenzen vorgeschoben". Er zog Parallelen zum Zweiten Weltkrieg; wieder wolle ein verräterischer und mächtiger Feind "unser Land übernehmen und uns unterwerfen".

Überzeugen konnte er damit, neben den Staaten, die vor einem Jahr mit Moskau gestimmt hatten, nur Nicaragua und Mali. In dem westafrikanischen Land ist die russische Söldnertruppe Gruppe Wagner inzwischen zur wichtigen Stütze des Putschisten-Regimes von Oberst Assimi Goïta aufgestiegen, der sich gegen Frankreich und den Westen gewendet hat.

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Wie auch schon bei vorangegangenen Abstimmungen enthielten sich China und Indien, zwei wichtige Staaten mit großem Einfluss auf andere Regierungen im sogenannten globalen Süden. Peking hat vor allem in Afrika eine große Gefolgschaft, wo es sich viele Staaten auch nicht mit Russland verscherzen wollen. 13 Staaten beteiligten sich nicht an der Abstimmung - für einige von ihnen ein Weg, sich den Pressionen Russlands zu entziehen

Brasilien dagegen stimmte ebenso für die Vorlage wie Indonesien oder Marokko, die Türkei, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. 141 Staaten sind es am Ende, bei 32 Enthaltungen. "Russland ist mit seinem Kriegskurs genauso isoliert wie vor einem Jahr", kommentiert Baerbock das Ergebnis. "Die Welt will Frieden. Das haben die Staaten dieser Welt heute gemeinsam bei den Vereinten Nationen deutlich gemacht."

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