UN-Resolution:Starkes Signal an Russland

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"Wir haben diesen Krieg nicht gewählt": Annalena Baerbock am Donnerstagabend vor den Vereinten Nationen. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Die UN-Vollversammlung fordert erneut mit großer Mehrheit einen Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine. Es ist ein Erfolg für Kiews Unterstützer im Westen - Russland findet nur sechs Verbündete.

Von Paul-Anton Krüger und Frank Nienhuysen, New York/München

Ein Jahr nach Beginn des vollständigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben 141 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen einer Resolution zugestimmt, die Russland zum sofortigen Ende der Angriffe und zum Rückzug aus der Ukraine auffordert. 32 Staaten, darunter Indien, Südafrika und Äthiopien, enthielten sich am Donnerstagabend. Neben Russland stimmten in der Vollversammlung nur Belarus, Eritrea, Mali, Nicaragua, Nordkorea und Syrien mit Nein. Damit erreichte ein Bündnis von fast 60 Staaten das Ziel, ein starkes Zeichen zur Unterstützung der Ukraine und für einen Weg zum Frieden zu setzen.

Nach der Abstimmung sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock: "Russland ist mit seinem Kriegskurs genauso isoliert wie vor einem Jahr." Dies hätten die Staaten dieser Welt gemeinsam deutlich gemacht und sich "gemeinsam gegen den Bruch des Völkerrechts" gestellt. Baerbock hatte in der UN-Vollversammlung zuvor als letzte Rednerin vor dem Votum für den Entwurf geworben, der auch die international anerkannten Grenzen der Ukraine betont. Eingeschlossen sind damit also die von Russland illegal annektierten Gebiete, zu denen auch die Halbinsel Krim gehört. "Wir haben einen Friedensplan hier vor uns: die Charta der Vereinten Nationen", sagte Baerbock.

Die Resolution war auch dazu gedacht, ein möglichst deutliches Signal der Unterstützung an die Ukraine zu senden und zugleich Russland vor der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass eine breite Mehrheit den Krieg verurteilt und sich gegen Moskau stellt. Nachdem im Oktober 143 Mitgliedstaaten Russlands Angriff verurteilt hatten, war befürchtet worden, dass die Solidarität wegen Kriegsmüdigkeit sowie der wirtschaftlichen Auswirkungen und weltweit gestiegener Preise schrumpfen könnte.

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Der unter anderem von Deutschland eingebrachte Resolutionsentwurf war deshalb möglichst grundsätzlich formuliert worden und enthält als eine der zentralen Forderungen auch den Schutz der ukrainischen Zivilbevölkerung. Es galt: Je allgemeiner der Text, desto größer die Chancen auf viel Zustimmung. Ein ähnlich überwältigendes Abstimmungsergebnis wie im Herbst war lange als unwahrscheinlich erschienen. Das wochenlange Werben vieler EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich sowie ihrer Partner Großbritannien und USA um Länder in Afrika, Lateinamerika oder der arabischen Welt hatte nun offenbar Erfolg. So stimmten etwa Brasilien, Nigeria und Senegal mit Ja.

Am Freitag will China eine Friedensinitiative vorstellen

Ein deutlicher Rückhalt für die Resolution war den Initiatoren besonders wichtig, weil von China noch für diesen Freitag eine eigene Friedensinitiative zum Krieg erwartet wird. Diese wird jedoch im Westen sehr kritisch gesehen. China, das noch am Mittwoch in Moskau die "strategische Partnerschaft" mit Russland verdeutlichte, hat den klaren Bruch des Völkerrechts bisher nicht verurteilt. Um die Einhaltung dieses Rechts geht es aber in der angenommenen Resolution. Am Donnerstagabend enthielt sich die Volksrepublik.

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Einzelheiten des von seiner Regierung angekündigten Friedensplans stellte Chinas Vertreter Dai Bing nicht vor; er kritisierte aber westliche Staaten für ihre Waffenlieferungen an die Ukraine. Diese würden keinen Frieden schaffen, sondern den Krieg nur anheizen. Baerbock entgegnete in ihrer Rede: "Warum um alles auf der Erde sollten wir das tun? Wir wollten diesen Krieg nicht. Wir haben diesen Krieg nicht gewählt." Vor Journalisten führte sie später aus, die Waffenhilfe für die Ukraine unterstütze das in der UN-Charta verbriefte Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine. Wenn die westlichen Staaten die Unterstützung einstellen würden, wäre die Welt noch unsicherer, sagte sie. Denn der russische Präsident werde nicht von seinem Ziel ablassen, die Ukraine zu vernichten. Wörtlich sagte sie: "Wenn Russland aufhört zu kämpfen, endet dieser Krieg. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, ist es das Ende der Ukraine."

Die UN-Mitgliedstaaten beraten in einer Notstandsondertagung, weil der Sicherheitsrat blockiert ist - durch ein Veto des ständigen Mitglieds Russland. Dieses Format wurde seit 1945 erst elf Mal einberufen. Auf der Vollversammlung sind einmal mehr die Sorgen sichtbar geworden, dass Russland den Krieg weiter verschärfen könnte. UN-Generalsekretär António Guterres warnte zu Beginn der Sitzung vor einem Einsatz von Atomwaffen. Es sei höchste Zeit, vom Abgrund zurückzutreten. "Der sogenannte taktische Einsatz von Atomwaffen ist absolut inakzeptabel", sagte Guterres.

Moskau, allen voran Präsident Wladimir Putin und sein Vorgänger, der Vizechef des russischen Sicherheitsrats, Dmitrij Medwedjew, haben immer wieder unverhohlen mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht und damit ihre offensichtlichen militärischen Schwierigkeiten verdeutlicht. Auch am Donnerstag, dem Tag des Vaterlandsverteidigers, betonte Putin in Moskau, dass er die russischen Atomstreitkräfte stärken werde.

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In New York wiederum behauptete der russische Botschafter bei den UN, Wassilij Nebensja, der Westen wolle sein Land "zerstückeln und zerstören". Wieder einmal würden deutsche Panzer Russen töten, sagte er und zielte auf die international abgestimmte Rüstungshilfe, mit der sich die Ukraine gegen die täglichen Angriffe durch Russland wehrt. Die Ukraine hat seit dem russischen Einmarsch die Kontrolle über mehrere Gebiete im Osten und Süden verloren, Städte wie Mariupol sind zerstört, Zehntausende Zivilisten getötet worden. Immer wieder greift die russische Armee gezielt die kritische Infrastruktur an, trifft Strom- und Wasserversorgung. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sind mehr als acht Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer vor dem Krieg geflüchtet.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erinnerte in der UN-Generalversammlung daran, dass Russland in dem Krieg viele ukrainische Kinder verschleppt habe. Er sprach von mehreren Tausend Kindern, die nach Russland gebracht würden, um sie dort von russischen Familien adoptieren und umerziehen zu lassen. "Das ist Völkermord, und dem stehen wir heute gegenüber", sagte Kuleba. Nach der Abstimmung zeigte er sich ebenfalls zufrieden: "Es spielt keine Rolle, was Russland versucht und wie es versucht, die internationale Ordnung und die Koalition zur Unterstützung der territorialen Integrität der Ukraine zu untergraben - es scheitert ein Mal nach dem anderen", sagte er.

Die ukrainische Bevölkerung sieht trotz der dauerhaften Gewalt und der vielen Opfer derzeit keinen Grund für Zugeständnisse an Russland. Die Zeitung Kyiv Independent berichtete am Donnerstag, dass nach einer Umfrage des Kyiv International Institute of Sociology 87 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer dagegen seien, auch nur irgendeines der ukrainischen Gebiete an Russland abzutreten. Damit entsprechen sie auch der Haltung ihres Präsidenten Wolodimir Selenskij. Dieser sagte am Donnerstag bei einer Pressekonferenz mit dem spanischen Premierminister Pedro Sanchez in Kiew, er habe noch keinen chinesischen Plan zur Beendigung des Krieges gesehen. Gespräche mit Peking wären aber wünschenswert.

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