Regierungserklärung zum Atomausstieg:Schwarz redet sich grün, Grün ärgert sich schwarz

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Statt demütig die Laufzeitverlängerung vom Herbst als Fehler zu benennen, tut Kanzlerin Merkel so, als wäre der Atomausstieg ihre Idee. SPD-Fraktionschef Steinmeier findet: "Das zieht einem doch die Schuhe aus!" Als dann Umweltminister Röttgen spricht, hält es Grünen-Fraktionschefin Künast nicht länger auf ihrem Platz. Der Atomkonsens rückt in weite Ferne.

Thorsten Denkler, Berlin

Frank-Walter Steinmeier stapft ziemlich geladen ans Rednerpult im Deutschen Bundestag. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gerade ihre Regierungserklärung zur Energiepolitik beendet, in der sie erklärte, warum ihre schwarz-gelbe Regierungskoalition bis 2022 aus der Kernkraft aussteigen möchte. Nichts, was die SPD grundsätzlich zu kritisieren hätte. Steinmeier aber ist dennoch fassungslos: "Dass ausgerechnet Sie sich hinstellen als Erfinderin der Energiewende", empört er sich und richtet seinen Blick auf die Kanzlerin: "Das zieht einem doch die Schuhe aus!"

Vor einem halben Jahr erst hat Schwarz-Gelb unter Führung von Angela Merkel schon mal ein Energiekonzept beschlossen. Merkel sprach damals von einer "Revolution" für die Energieversorgung. Umweltminister Norbert Röttgen bezeichnete das Konzept als "weltweit unübertroffen". Und Guido Westerwelle, damals noch FDP-Chef, dichtete dem Konzept eine "epochale Bedeutung für den Klimaschutz" an.

Nach der Atomkatastrophe von Fukushima-1 aber brachte dieser Beschluss die Koalition in größte Bedrängnis. Union und FDP hatten damit eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke von bis zu 14 Jahren durchgeboxt. Die Quittung gab es bei den Landtagswahlen, die nach Fukushima stattgefunden haben.

"Damals war Ihnen kein Wort zu groß", höhnt Steinmeier. Und schiebt süffisant hinterher: "Meine Damen und Herren, so schnell können Epochen vorbei sein."

Merkel verliert zu den unseligen Beschlüssen kein Wort. Sie beschränkt sich darauf, die Energiewende der Koalition allein aus Fukushima heraus zu begründen. Das sei ein Einschnitt gewesen, sagt sie, "auch für mich ganz persönlich".

Dahinter stehe die Erkenntnis, dass "selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan die Risiken der Atomkraft nicht beherrschbar" seien. Weshalb die einstige Umweltministerin jetzt erklärt: "Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert."

Dezidiert erläutert sie in ihrer Regierungserklärung den Ausstiegsplan bis 2022. Als sie die sofortige Abschaltung der sieben älteren Atommeiler plus Krümmel anspricht, erntet sie stürmischen Applaus. Nicht von den eigenen Leuten. Die klatschen nur, wenn Merkel über Arbeitsplatzsicherheit und günstige Strompreise spricht. Es sind die Abgeordneten der Grünen, die begeistert Beifall spenden.

Ins Gegenteil aber kippt die Stimmung bei den Grünen, als Merkel ihre persönliche Energiewende zum Maß aller Dinge hochjubelt: "Das hat es so in Deutschland noch nicht gegeben", frohlockt sie, als hätte Rot-Grün den Ausstieg nie beschlossen. Grüne und Sozialdemokraten sind empört. Es hagelt Zwischenrufe.

Steinmeier lässt das nicht auf sich sitzen. "Ich hätte mir ein Wort des Bedauerns gewünscht", sagt er. Jetzt aber werde die Parteizentrale der CDU, das Konrad-Adenauer-Haus, "innen und außen grün angestrichen". Und CSU-Chef Horst Seehofer "tut so, als wäre er Gründungsmitglied der Grünen gewesen".

Was die Koalition aber tatsächlich vorlege, sei keine Energiewende, "das ist ein Irrtumsbereinigungsgesetz!".

Wirtschaftsminister und FDP-Chef Philipp Rösler versucht gegenzuhalten und wirft Rot-Grün "Unaufrichtigkeit" vor, weil die damalige Regierung mit dem Atomausstieg nur "ihre Ideologien befriedigt" hätte. Als wenn die FDP seit jeher Garant für den Ausbau der erneuerbaren Energien wäre, lädt er die Grünen ein "ihre Fehler zu korrigieren".

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi wird danach sagen: "Herr Rösler, manchmal imponiert mir auch Dreistigkeit. Aber ich finde, Sie haben Grenzen überschritten. Sie sind dabei, Ihre Fehler zu korrigieren, das hätten Sie zumindest mal erwähnen können."

Vorher aber brüllt gut hörbar einer aus den Reihen der Grünen dazwischen: "Da redet sogar Westerwelle besser!" Merkel schaut spontan Westerwelle an, der jetzt zwei Plätze neben ihr sitzt. Westerwelle, der geschasste FDP-Chef, lässt sich nichts anmerken. Als aber Rösler auf seinen Platz neben Merkel zurückkehrt, gibt es von seinem Vorgänger im Parteiamt keinen Handschlag, keine Geste der Unterstützung.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin reibt sich mit einem Lächeln im Gesicht die Hände, als er seine Rede mit einer wohlüberlegten Retourkutsche eröffnet: "Herr Rösler, jetzt hab ich Verständnis für die Kanzlerin, dass die Sie bei ihren Entscheidungen übergangen und ignoriert hat."

Merkel und Rösler sind nicht die Letzten, die in dieser Debatte den Eindruck vermitteln, Schwarz-Gelb habe jetzt die wahre Energiewende erfunden. Umweltminister Norbert Röttgen setzt noch einen drauf. Er versucht sogar, Merkels Atomwende einen Röttgen-typischen philosophisch-moralischen Überbau zu geben. Er spricht von Bewahrung der Schöpfung, von der Fehlbarkeit des Menschen, von demokratischer Konsensbildung, von neuen Wachstumsbegriffen.

Vor einem halben Jahr hat er mit ähnlich überhöhten Worten die Laufzeitverlängerung verteidigt. Und jetzt tut auch er so, als wäre er immer schon Atomgegner gewesen.

Irgendwann reicht es Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Sie hält es nicht mehr auf ihrem Platz, wandert wild gestikulierend durch die Reihen von Grünen und SPD. Sie geht sogar zu Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs von der CDU, Spitzname "Atom-Fuchs". Der hatte in seiner Rede Skepsis angemeldet hat, ob das mit dem Atomausstieg so schnell klappt, wie Merkel jetzt plant. Ihm höre sie lieber zu als dem Röttgen, sagt sie ihm. Bei ihm wisse sie wenigstens, woran sie sei.

Dass Merkel, Rösler und Röttgen wirklich den Konsens mit den Grünen suchen, ist nach dieser Debatte mehr als fraglich. Dabei haben die Grünen durchaus Signale in diese Richtung gesendet. Für Trittin kommt die neue energiepolitische Linie von Union und FDP zwar spät, aber sie sei "richtig". Bärbel Höhn bietet Röttgen sogar an, sofort einem Termin mit ihm zu machen. "Wir sind gesprächsbereit", sagt sie.

Röttgen aber lächelt nur. "Wir machen gerne einen Termin", sagt er. "Aber wir sind keine Verhandlungspartner." Jetzt käme die Phase der parlamentarischen Beratungen. Da könnten sich die Grünen gerne einbringen. Deutlicher lässt sich kaum sagen, dass die Regierung auf einen Konsens mit den Grünen pfeift.

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