Afghanistan:Frauen fordern Freiheit, Arbeit und Bildung

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Afghanische Studierende protestieren in Pakistan gegen die Taliban und die pakistanische Führung. (Foto: Manjunath Kiran/AFP)

Die Taliban-Regierung sorgt international für Skepsis und Ablehnung. Im Land trifft ihre Herrschaft auf weit mehr zivilen Widerspruch als bei der ersten Machtübernahme 1996. Vor allem Proteste von Frauen waren damals undenkbar.

Von Tomas Avenarius, Berlin

Die von den radikal-islamischen Taliban vorgestellte Regierung stößt weltweit auf Skepsis und Ablehnung. Die neuen Machthaber in Afghanistan haben am Dienstag ein Übergangskabinett vorgestellt, in dem Taliban-Veteranen und andere als radikal betrachtete Persönlichkeiten Schlüsselpositionen im Sicherheitsbereich übernehmen, in dem andere politische Gruppen keinen Platz haben und in dem keine einzige Frau sitzt.

Als eine Art Regierungschef wurde Mullah Hassan Achund ernannt. Achund war während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 Außenminister und Vize-Premier. Als alter Kämpfer und Weggefährte des Taliban-Gründers Mullah Omar verfügt er über eine Taliban-gemäße Legitimität. Ihm weichen musste der eigentlich als Regierungschef gehandelte Mullah Abdul Ghani Baradar. Dieser hatte in Doha mit den USA verhandelt und gilt als eher weltoffen. Er wird nun Achunds Stellvertreter.

Aufsehen erregt der neue Innenminister: Mit Siradschuddin Hakkani übernimmt die Verantwortung für die innere Sicherheit ein Mann, auf den die USA ein Kopfgeld von bis zu zehn Millionen Dollar ausgesetzt haben. Sein Hakkani-Netzwerk wird von Washington als Terrorgruppe eingestuft. Es hat engste Verbindungen zur al-Qaida sowie zum pakistanischen Geheimdienst und wird für einige der brutalsten Anschläge der vergangenen Jahre verantwortlich gemacht.

Ebenso besorgniserregend ist, dass mit Mullah Jakub ein Sohn von Taliban-Gründer Mullah Omar Verteidigungsminister wird. Jakub gilt als radikal und als Stratege des Blitzkriegs, mit dem die Taliban vor wenigen Wochen die Macht übernommen hatten. Mit ihm und Hakkani an der Spitze sicherheitsrelevanter Ministerien bekommen zwei extrem antiwestlich und dschihadorientierte Personen Zugriff auf die riesigen Waffenbestände, die die Taliban von der in die Flucht geschlagenen afghanischen Armee erbeutet haben: Panzer, Helikopter, Jets, Geschütze, große Mengen an Sturmgewehren und Munition. Gleichzeitig stehen diese beiden Männer den Ministerien vor, die Terrorgruppen wie al-Qaida in Schach halten könnten, falls dies denn gewollt wäre.

Zudem haben Angehörige des Hakkani-Netzwerks das Ministerium für Telekommunikation und das Ministerium für Flüchtlinge übernommen. Im gesamten Kabinett sitzen neben zwei Tadschiken und einem Usbeken nur Paschtunen und keine Hazaras. Die Regierung ist daher eine reine Hardliner-Regierung.

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Der oberste Taliban-Führer Mullah Haibatullah Achundsada erklärte, alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan seien den Gesetzen der Heiligen Scharia unterworfen. Man stehe zu allen internationalen Gesetzen, Verträgen und Verpflichtungen, die nicht im Widerspruch mit den islamischen Gesetzen stünden.

Unterdessen gingen Menschen - vor allem Dutzende Frauen - auf die Straße und protestierten gegen die neue Führung. Die Demonstrationen wurden von den Taliban aufgelöst. Die Milizionäre schlugen die Menschen und feuerten in die Luft. Im Kabuler Stadtteil Dascht-e Bartschi forderten Frauen Freiheit, eine Regierungsbeteiligung sowie ungehinderten Zugang zu Arbeit und Bildung. Sie geißelten das neue Kabinett, in dem keine einzige Frau sitzt.

Kritik an Einfluss aus Pakistan

Neben Frauenrechten steht die Einmischung Pakistans in die afghanische Politik im Zentrum; die Taliban gelten als Zöglinge Islamabads. Wut erregt bei den Taliban-Gegnern zudem, dass die Machthaber das nördlich von Kabul gelegene Pandschir-Tal eingenommen haben. Die Taliban haben so die Frage des Umgangs mit dem von ehemaligen Regierungsmitgliedern und dem Milizenführer Ahmad Massud geführten "Nationalen Widerstand" militärisch gelöst, statt über eine Regierung der nationalen Einheit zu verhandeln.

Allerdings erklärte der Botschafter der abgesetzten afghanischen Regierung am Mittwoch, Reste der afghanischen Armee und Milizen setzten die Kämpfe gegen die Taliban in Pandschir fort. Ahmad Massud und der ehemalige Vizepräsident Amrullah Saleh seien nicht geflohen, sondern noch im Pandschir-Tal, sagte Sahir Aghbar in Duschanbe bei einer Pressekonferenz.

Die von Mut geprägten Straßenproteste müssen die Taliban beunruhigen: Ihre Herrschaft trifft auf weit mehr zivilen Widerspruch als bei ihrer ersten Machtübernahme 1996; Frauenproteste waren damals undenkbar. In den Provinzen Ghasni und Ghor verhinderten die Islamisten laut dpa Kundgebungen. In Herat gab es gewaltsame Zusammenstöße, die Taliban sollen zwei Menschen erschossen haben. Alle lokalen Fernsehsender sollen die Berichterstattung über die Proteste eingestellt haben - erkennbar auf Druck der Machthaber.

In der ersten offiziellen Erklärung des Innenministeriums heißt es nun, niemand solle versuchen, Proteste zu organisieren. Bei Verstößen wird mit ernsthafter Strafverfolgung gedroht.

Unterdessen gab Katar bekannt, dass der Flughafen Kabul "schon sehr bald wieder arbeiten wird". Katar ist den USA verbunden, hat aber auch sehr gute Kanäle zu den Taliban. Der Betrieb des Flughafens ist Voraussetzung für die Rettung der im Land zurückgebliebenen Menschen, die mit den Nato-Mächten gearbeitet haben und sich nun bedroht fühlen. Allein Deutschland will 40 000 Menschen aufnehmen.

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