Afghanistan:Hat die US-Führung deutsche Bedenken ignoriert?

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Die Amerikaner sollen in Afghanistan Warnungen der deutschen Einsatzleitung in den Wind geschlagen haben. Die Folge: vier Bundeswehrsoldaten kamen ums Leben.

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der vergangenen Woche in Washington mit US-Präsident Obama zusammentraf, wurde deutlich: Die Staatsoberhäupter verstehen sich - nach Anlaufschwierigkeiten - manchmal auch mit wenigen Worten. Die deutsch-amerikanische Kommunikation in Afghanistan scheint indes problematisch.

Als im September 2009 bei einem von dem deutschen Oberst Georg Klein befohlenen Luftangriff bei Kundus US-Kampfjets auch Zivilisten töteten, sollen die Amerikaner Zweifel an dem Feuerbefehl angemeldet haben. Diese wurden jedoch von deutscher Seite ignoriert. Nun wurde bekannt, dass es auch vor der Operation, bei der am vergangenen Donnerstag vier deutsche Soldaten ums Leben gekommen sind, zu deutsch-amerikanischen Differenzen gekommen sein soll.

Deutsche Bedenken wurden ignoriert

Die Bild am Sonntag berichtet von schweren Bedenken der deutschen Einsatzleitung in Nordafghanistan gegen die Operation, die der Kommandeur des Regionalkommandos für Nord-Afghanistan, Brigadegeneral Frank Leidenberger, schriftlich beim Joint Command in Kabul geltend gemacht habe. Die Einsatzzentrale, die dem Kommandeur der internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf), US-General Stanley McChrystal, untersteht, soll jedoch auf einem zeitnahen Beginn der Operation bestanden haben.

Das Bundesverteidigungsministerium bestätigte im Grundsatz die Differenzen. Ein Sprecher von Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sagte der Bild am Sonntag: "Der Kommandeur des Isaf-Regionalkommando-Nord hat darauf hingewiesen, dass aufgrund eines Kontingentwechsels keine maximale Unterstützung für die Operation zu diesem Zeitpunkt möglich wäre und sie durch andere Kräfte von Verbündeten ausgeglichen werden müsse."

Offenkundig sah nach dem Bericht der Zeitung General Leidenberger seine Truppe, die gerade einen alle paar Monate fälligen Komplettaustausch bewältigt hatte, dem Auftrag nicht gewachsen. Die deutschen Bedenken gegen den Beginn der Operation Taohid richteten sich nicht nur gegen den Zeitpunkt, sondern auch gegen die Zuverlässigkeit der verbündeten afghanischen Armee (ANA).

Statt der zugesagten 1300 ANA-Soldaten waren zu Beginn der Operation nach Bild am Sonntag-Informationen nur einige Hundert verfügbar. Ein deutscher Offizier sagte der Zeitung: "Das ist immer so. Wir wissen nie, wie viele ANA-Soldaten wirklich kommen."

Unverständnis herrscht im deutschen Kontingent nicht nur über das Vorgehen des Joint Command in Kabul in der Operation Taohid. Wenig Verständnis habe man dort auch für die Vorschrift, dass alle größeren Operationen der Isaf-Truppen 24 Stunden vorher den afghanischen Behörden gemeldet werden müssen. Damit soll die Zivilbevölkerung die Chance erhalten, sich in Sicherheit zu bringen. Doch häufig seien dadurch auch die radikalislamischen Taliban-Kämpfer über den Verbleib der deutschen Soldaten informiert.

Um Verständigung bemüht scheint indes Afghanistans Präsident Hamid Karsai und kommt dem Westen in einer anderen Streitfrage entgegen: Er will die umstrittene Wahlkommission des Landes neu besetzen. So gehören künftig neben einem ehemaligen Richter und einem Gelehrten aus Afghanistan auch zwei ausländische Vertreter der Kommission an, teilte ein Sprecher Karsais mit. Das Gremium soll die für September vorgesehenen Parlamentswahlen überwachen.

Bei der Wiederwahl Karsais im Vorjahr war es zu Unregelmäßigkeiten gekommen: Geberländer hatten damit gedroht, Hilfsgelder für die Parlamentswahl zurückzuhalten, wenn nichts gegen eine mögliche Wiederholung getan würde.

Karsais Sprecher forderte die Länder dazu auf, die vorgesehenen Hilfen nun so bald wie möglich freizugeben. Der UN-Sondergesandte für Afghanistan, Staffan de Mistura, kündigte nach der Entscheidung Karsais an, er werde den Geberländern die Auszahlung der Gelder empfehlen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) nicht von einem Krieg in Afghanistan sprechen will.

Die Trauerfeier für die vier in der nordafghanischen Provinz Baghlan getöteten deutschen Soldaten verzögerte sich indes. Weil der Flieger mit den Bundeswehrsoldaten wegen schlechten Wetters nicht vom Feldlager Kundus zum Isaf-Hauptquartier in Masar-i-Scharif starten konnte, wurde die Zeremonie kurzfristig auf Sonntagnachmittag verschoben. Ursprünglich war sie für 10 Uhr Ortszeit (7.30 Uhr MESZ) vorgesehen.

Die vier Soldaten waren am Donnerstag bei schweren Kämpfen mit den radikalislamischen Taliban getötet worden. Fünf ihrer Kameraden wurden zum Teil schwer verletzt. Die Verwundeten waren bereits am Freitag nach Istanbul ausgeflogen worden, wo sie in einem US-Militärkrankenhaus behandelt werden. Ihr Weitertransport nach Deutschland wird bislang durch den gesperrten Luftraum verhindert.

Westerwelle will nicht von Krieg sprechen

Doch nicht nur zwischen Deutschland und den USA gibt es Unstimmigkeiten in Afghanistan-Fragen: In der schwarz-gelben Koalition ist man uneins, mit welcher Begrifflichkeit die Situation in Afghanistan zu bezeichnen ist. Im Gegensatz zu Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will Außenminister Guido Westerwelle (FDP) im Zusammenhang mit dem Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan nicht von Krieg sprechen.

Er verstehe zwar jeden Soldaten, der die Zustände als Krieg empfinde, sagte der FDP-Vorsitzende der Bild am Sonntag. Gleichwohl sei die Lage als bewaffneter Konflikt präzise beschrieben. Krieg sei traditionell eine militärische Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehr Staaten mit der Absicht der Eroberung oder Unterdrückung, sagte Westerwelle: "Das ist in Afghanistan erkennbar nicht der Fall. Wir sind auf Bitten der Vereinten Nationen, auf Wunsch der gewählten Regierung und der übergroßen Mehrheit der Afghanen dort."

Guttenberg hatte dagegen zuletzt mehrfach betont, dass die Kämpfe in Afghanistan Krieg genannt werden sollten. Es handele sich zwar um einen Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung, aber auch wenn es nicht jedem gefalle, könne man "umgangssprachlich von Krieg reden". Es dürfe nicht sein, dass man sich bei der Beschreibung des Afghanistan-Einsatzes in Worthülsen ergehe.

"Wir müssen so schnell wie möglich raus"

Mit Wortklauberei hält sich die Opposition dagegen gar nicht mehr auf: In der SPD wird der Ruf nach einem raschen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan immer lauter. Nach Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering stellt jetzt auch Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner die Forderung nach einem raschen Abzug der deutschen Truppen auf. "Wir müssen so schnell wie möglich raus", sagte er Spiegel Online und ergänzte: "Je früher, desto besser. Die militärische Logik geht nicht auf."

Es sei richtig gewesen, dass die SPD vor der Mandatsverlängerung im Februar auf einen Abzugszeitraum bis zum Jahr 2015 gedrängt habe, sagte Stegner. Er bezeichnete diesen Termin allerdings als "den spätestmöglichen Zeitpunkt".

Auch der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Jürgen Trittin, fordert von der Regierung "einen verbindlichen Plan" zum Abzug der Bundeswehr. "Die Bundesregierung muss endlich gegenüber der Öffentlichkeit die Risiken benennen. Das ist eine saugefährliche Strategie für die, die das am Boden umzusetzen haben." Forderungen nach einer besseren Ausrüstung der Bundeswehr in Afghanistan bezeichnete Trittin teils als "reine Symbolik".

Zudem drängte Trittin auf eine neutrale Experten-Kommission zur Überprüfung des Afghanistan-Einsatzes. "Wir brauchen eine Bewertung dieses Afghanistan-Einsatzes von unabhängiger Seite." Der Bundestag solle damit eine Kommission mit drei Fachleuten beauftragen.

© sueddeutsche.de/dpa/apn//Reuters/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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