Afghanistan:Gefährliches Vakuum auf dem Terror-Spielplatz

Lesezeit: 2 min

Ein afghanischer Kalender zeigt den verstorbenen Taliban-Führer Mullah Omar (Mitte). (Foto: AP)

Der Tod von Ober-Taliban Mullah Omar wäre im Normalfall eine sehr gute Nachricht. Doch die ungeklärte Frage seiner Nachfolge könnte den IS-Terroristen nützen.

Kommentar von Tomas Avenarius

"Der König ist tot, es lebe der König!" Weil es bei den Taliban jedoch anders zugeht als einst in der französischen Erbmonarchie mit ihrer Investitur am Totenbett, herrscht an der Spitze der afghanischen Islamisten-Miliz derzeit ein Machtvakuum. Schon vor zwei Jahren war der einäugige Ober-Taliban Mullah Omar gestorben, still und heimlich in einem pakistanischen Krankenhaus. Bekannt geworden war der Tod des "Führers der Gläubigen" aber erst vor wenigen Tagen. Weshalb nun eintritt, was mit der jahrelangen Geheimniskrämerei vermieden werden sollte: Satrapen und Möchtegern-Diadochen streiten um die Macht.

Dies wäre im Normalfall eine sehr gute Nachricht. Alles, was die Taliban schwächt, bringt Afghanistan dem Frieden ein Stück näher. Und für ein Land, das seit 35 Jahren nur den Krieg kennt, zählt auch der kleinste Hoffnungsschimmer. In der Frage der Nachfolge von Mullah Omar ist es allerdings umgekehrt.

Je länger die Taliban führerlos sind, desto weniger Chancen gibt es für Friedensgespräche zwischen der jämmerlich schwachen Regierung in Kabul und ihren militärisch ziemlich starken Gegnern. Die Taliban sind in der Frage von Verhandlungen ohnehin seit Langem gespalten. Ohne einen halbwegs vernünftigen Taliban-Ansprechpartner mit Prokura kann die Regierung in Kabul niemandem ein Angebot machen.

Taliban-Führer
:Afghanischer Geheimdienst bestätigt Mullah Omars Tod

Er war der Anführer der Taliban in Afghanistan: Jetzt berichten afghanische und pakistanische Behörden, dass Mullah Omar bereits vor zwei Jahren gestorben sei.

Der Tod von Mullah Omar könnte dem "Islamischen Staat" nützen

Schlimmer noch: Die afghanischen Taliban könnten sich im Streit um einen Nachfolger des von allen respektierten Mullah Omar spalten. Dann gäbe es neben den alten afghanischen Taliban und den noch weit brutaleren pakistanischen Taliban zusätzlich noch die Neo-Taliban am Hindukusch: Der Frieden, wenn er denn je kommt, rückte in noch weitere Ferne. Das wäre nicht nur für die Kabuler Regierung ein Albtraum, sondern auch für die noch immer im Land stationierten internationalen Truppen. Zu denen zählen deutsche Soldaten, sie sollen erst Ende 2016 abziehen.

Und es kann noch übler kommen für Afghanistan, als es mit den Taliban schon ist. Von einem anhaltenden Streit in der Militanten-Führung dürfte die Terrormiliz Islamischer Staat profitieren. Die arabischen Dschihadisten in Syrien und dem Irak, die ihrer an Brutalität kaum noch zu überbietenden Gewaltherrschaft den Ehrentitel "Kalifat" verliehen haben, werben um Gefolgschaft. Sie tun es auch in Afghanistan.

Das riesige, unzugängliche Land war schon für Osama bin Laden der ideale Terror-Spielplatz. Es wäre für den Islamischen Staat ein Ort, von dem aus der arabische Terror-Krake seine Tentakeln fast ungestört in andere asiatische Muslimstaaten ausstrecken könnte. Und das geht umso leichter, je früher das von den USA geführte internationale Kontingent aus dem Land abzieht.

Nicht, dass einer Mullah Omar nachtrauern müsste. Was sich der Islamist, der schon gegen die Sowjet-Besatzer gekämpft hatte, unter einem Staat vorstellte, war zwischen 1996 und 2001 zu erleben. Die Talibanregierung über das "Emirat Afghanistan" war eine Terrorherrschaft, die Frauen jegliche Freiheit verweigerte und de facto dem Vieh gleichsetzte. Scharia-Gerichte verurteilten Menschen, die dann erschossen oder gesteinigt wurden. Weltweit einzigartige Kulturgüter wie die Bamyan-Buddhas ließen die Taliban zerstören.

Kennzeichen des modernen militanten Islamismus allerdings ist, dass er seine Umdrehungszahl immer weiter steigert. Die alten Taliban wirkten in ihrer bäuerlichen Primitivität fast schon moderat im Vergleich zu bin Ladens al-Qaida, und selbst das heutige al-Qaida-Terrornetz reicht in Sachen Gewaltexzess nicht heran an den Islamischen Staat. Das ist dann aber auch schon der einzige Grund, den Tod von Mullah Omar als einen wie auch immer gearteten Verlust zu betrachten für Afghanistan.

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Islamistischer Terror
:Libyen - Trainingslager des IS

Der Terrormiliz Islamischer Staat nützt das Machtvakuum in Libyen seit dem Sturz Gaddafis. In der Anarchie der dortigen Wüste bildet sie Dschihadisten aus, die Europa gefährlich nahe rücken.

Von Paul-Anton Krüger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: