Unterstützung für rechtes Netzwerk:AfD-Politikerin brachte "Reichsbürger" in den Bundestag

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Einst saß Birgit Malsack-Winkemann für die AfD im Bundestag, nun sitzt sie wegen Terrorverdacht in Haft. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Wie sehr die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann in ein rechtes Netzwerk verstrickt war, zeigen Unterlagen des Bundesgerichtshofs, die jetzt öffentlich wurden.

Mutmaßliche Mitglieder der sogenannten "Reichsbürger"-Szene haben sich wohl im vergangenen Jahr mit Unterstützung einer ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten auf eine bewaffnete Erstürmung des Reichstagsgebäudes vorbereitet. Das geht aus Ermittlungsunterlagen des Bundesgerichtshofes (BGH) hervor, die jetzt öffentlich einsehbar geworden sind.

Der Hintergrund des Falls: Im Dezember hat es eine Großrazzia in der "Reichsbürger"-Szene gegeben. Etwa 3000 Ermittler aus der ganzen Bundesrepublik waren damals beteiligt. Der Verdacht gegen die Beschuldigten: Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens.

Die Gruppe, deren Planungen weit fortgeschritten waren, habe sich zum Ziel gesetzt, das bestehende politische System in Deutschland zu zerstören. Was das rechte Netzwerk in den Augen der Fahnder so gefährlich machte: Ihm sollen mehrere pensionierte Offiziere, darunter ehemalige Angehörige der Bundeswehr-Spezialkräfte KSK angehört haben, Männer also, die hervorragend mit Waffen umgehen können und kampferprobt sind.

AfD-Abgeordnete Malsack-Winkemann im Fokus

Im Fokus der Ermittler ist auch die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die früher Richterin am Landgericht Berlin war. Vor einigen Wochen hatte der BGH die Fortsetzung der Untersuchungshaft für 22 Mitglieder der Gruppe zu prüfen, so wie es in der Strafprozessordnung vorgeschrieben ist. Aus den Beschlüssen der Richter geht auch hervor, welche Rolle Malsack-Winkemann in dem Netzwerk hatte.

Sie gehörte dem Bundestag von 2017 bis 2021 an, wurde dann nicht mehr gewählt und schied aus dem Bundestag aus, hatte aber als ehemalige Abgeordnete noch das Recht, das Bundestagsgebäude und andere angrenzende Verwaltungsgebäude zu betreten. Außerdem konnte sie jederzeit bis zu sechs Personen als Begleitung mitnehmen.

Malsack-Winkemann habe Mitglieder der Gruppe durch das Regierungsviertel geführt. Einer der Männer machte dabei Fotos und Videos vom Paul-Löbe-Haus, in dem Büros und Sitzungssäle der Abgeordneten sind, dessen unterirdischen Zugängen zu anderen Gebäuden einschließlich des Reichstags sowie vom Inneren des Plenarsaals des Bundestages.

Die AfD-Politikerin brachte zudem mehrere der Beschuldigten in das Innere des Reichstagsgebäudes. Einer der Männer, der im September 2022 von Malsack-Winkemann durch den Reichstag geführt wurde, soll 50 000 Euro beigesteuert haben, um die Umsturzpläne umzusetzen. Ein anderer verschaffte sich den Angaben zufolge mehrere Hundert Schuss Munition, sechs Gewehrmagazine, Nachtsichtgeräte, Fesselungsmaterial, weitere Militärausrüstung und einen Totschläger.

Bis zu 16 Menschen sollten das Reichstagsgebäude stürmen

Etwa drei Wochen später war die AfD-Politikerin erneut mit einem der Männer im Regierungsviertel. Er habe eine Liste mit Namen zahlreicher Mitglieder der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung sowie von weiteren Politikern, Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens erstellt. Ferner habe Malsack-Winkemann eine Chatnachricht verschickt und erläutert, wo Mitglieder der Bundesregierung im Gebäude zu finden sind - eine Information freilich, die jeder erhalten kann, der ab und zu eine Plenardebatte am Fernseher verfolgt: "Die Fuehrungscrew sitzt uebrigens bei den BT-Sitzungen auf der Regierungsbank. Wenn man auf das Rednerpult schaut, auf der linken Seite. Da sitzen sie dann geschlossen", heißt es in den BGH-Unterlagen.

An der Spitze des rechten Netzwerks soll, als eine Art graue Eminenz, der 71-Jährige Heinrich XIII. Prinz Reuß gestanden haben. Den Planungen zufolge sollten bis zu 16 Menschen das Reichstagsgebäude erstürmen, vornehmlich aus den Reihen aktiver oder ehemaliger Angehöriger des Kommandos Spezialkräfte (KSK) oder anderer Spezialeinheiten der Bundeswehr und Polizei. Dafür hätten die Beteiligten auch Tote in Kauf genommen.

Rund 23 000 Mitglieder der "Reichsbürger"-Szene

Die Bundesanwaltschaft hatte Anfang Dezember bei der Razzia 25 Verdächtige in Deutschland, Österreich und Italien festnehmen lassen. Einige von ihnen wurden zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen. Weitere Beschuldigte gerieten nach und nach ins Visier, inzwischen wird gegen mehr als 60 Menschen - überwiegend Deutsche - ermittelt.

"Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zweifeln die Legitimität der Bundesrepublik an. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht von rund 23 000 Menschen aus, die dieser Szene angehören. Im Jahr 2021 sind in der Statistik mehr als 1000 extremistisch motivierte Straftaten registriert worden, bei denen ein Zusammenhang zur "Reichsbürger"-Szene naheliegt. Außerdem wurden seit dem Jahr 2016 mutmaßlichen "Reichsbürger" in mehr als 1000 Fällen waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen.

Bei den Ermittlungen helfen Videos und Fotos, die bei Beschuldigten gefunden wurden, Observationsmaßnahmen und überwachte Telekommunikation sowie Geständnisse von Verdächtigen. Auch Malsack-Winkemann habe eingeräumt, Mitglied eines sogenannten Rates in der Gruppe - dem mutmaßlichen Führungsgremium - gewesen zu sein. Dort sei sie für das Justizressort zuständig gewesen, heißt es in den BGH-Unterlagen. Sie bestätigte zudem, in zwei Fällen Beschuldigte durch das Reichstagsgebäude geführt zu haben, wobei diese Fotos und Videos gemacht hätten.

Die "terroristische Zwecksetzung" der Gruppierung habe sie jedoch abgestritten. Weder sei ein Umsturz noch ein gewaltsames Eindringen in das Reichstagsgebäude geplant gewesen. Auch als Reaktion auf diesen Vorfall hat der Bundestag im Mai die Hausordnung sowie Zugangs- und Verhaltensregeln geändert: So wurde etwa beschlossen, ehemaligen Abgeordneten nur auf Antrag und nach einer Zuverlässigkeitsüberprüfung einen Ausweis für den Bundestag mit einer Gültigkeit nur für die aktuelle Wahlperiode auszustellen. Die Kontrollen vor der Einfahrt in die Tiefgarage wurden intensiviert.

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