Bundestag:Warum die anderen Fraktionen sich der AfD nicht in den Weg stellen

AfD im Bundestag

Es hat Tradition, dass die größte Oppositionspartei den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses bestimmt. Im Falle der AfD und ihrer Kandidaten aber wird dieses Vorgehen infrage gestellt.

(Foto: AFP)
  • Die AfD darf die Vorsitzenden im Haushalts-, Rechts- und Tourismusausschuss des Bundestags stellen.
  • Die von den Rechtspopulisten vorgeschlagenen Kandidaten sind selbst für AfD-Verhältnisse auffällige Abgeordnete.
  • Aber die anderen Fraktionen tun sich gleich aus mehreren Gründen schwer sie abzulehnen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Man kann nicht sagen, dass sich die drei Männer große Mühe geben, ihre Gesinnung zu verstecken. Die AfD darf im neuen Bundestag in drei Ausschüssen die Vorsitzenden stellen - die Rechtspopulisten haben dafür die Abgeordneten Stephan Brandner, Peter Boehringer und Sebastian Münzenmaier vorgeschlagen. Brandner hat Angela Merkel als "Kampf-Fuchtel" beschimpft, die für 15 Jahre in den Knast gehöre. Boehringer beklagt eine angebliche "Umvolkung in der BRD", in einer E-Mail nannte er die Kanzlerin wegen ihrer Flüchtlingspolitik "Merkelnutte". Und Münzenmaier soll an einem Angriff von Hooligans des 1. FC Kaiserslautern auf Fans von Mainz 05 beteiligt gewesen sein. Er wurde deshalb - allerdings noch nicht rechtskräftig - zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.

Brandner, Boehringer und Münzenmaier sind also selbst für AfD-Verhältnisse unangenehme Kameraden. Umso erstaunlicher ist für viele, wie gelassen die anderen Parteien ihre Nominierung bisher hinnehmen. Immerhin soll Boehringer (der mit der "Merkelnutte") Vorsitzender des wichtigen Haushaltsausschusses werden. Und ausgerechnet Brandner, also der mit dem Knast für die Kanzlerin, ist als Chef des Rechtsausschusses vorgesehen.

Normalerweise ist das politische Berlin ein Ort enormer Aufgeregtheit. Kaum etwas ist klein genug, um nicht groß kritisiert zu werden. Aber in diesem Fall herrscht bei Union und SPD, die mit ihrer Mehrheit die Wahl der Rechtspopulisten verhindern könnten, Ruhe. Unionsfraktionschef Volker Kauder und sein parlamentarischer Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer wollen auch auf Nachfrage nichts dazu sagen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, lässt ausrichten, er werde sich vor der Sitzung der SPD-Fraktion am kommenden Dienstag "nicht zu einzelnen Personen äußern".

Es stellen sich also gleich zwei Fragen: Warum haben Union und SPD der AfD neben dem nachrangigen Tourismus- auch den Haushalts- und den Rechtsausschuss überlassen? Und warum verhindern sie nicht wenigstens die Wahl der von der AfD vorgeschlagenen Kandidaten?

Es gibt die Sorge, dass sich die AfD-Abgeordneten als Märtyrer darstellen könnten

Die Antwort auf die erste Frage ergibt sich weitgehend aus den Gepflogenheiten im Bundestag. Demnach steht der Vorsitz im Haushaltsausschuss der größten Oppositionsfraktion zu, das wird bei einer großen Koalition die AfD sein. Es gab in der Union zwar Überlegungen, den Rechtspopulisten dieses Anrecht zu verwehren. Vor allem aus Sorge, die AfD könnte sich dann erneut erfolgreich als Märtyrer darstellen, ließ man davon ab.

Dabei spielte auch eine Rolle, dass sich die AfD bei einer Verweigerung des Haushaltsausschusses den Verteidigungsausschuss hätte greifen können. Die Rechtspopulisten gerieren sich bereits jetzt als Vertreter der Interessen der Bundeswehrsoldaten. Ein Verteidigungsausschuss-Vorsitzender aus den Reihen der AfD hätte bei einer Tournee durch Deutschlands Kasernen vermutlich reüssieren können, auch wegen der desolaten Lage bei der Bundeswehr.

Aber warum musste die AfD ausgerechnet den Vorsitz im Rechtsausschuss bekommen? Für die Antwort hilft ein Blick auf das Vergabeverfahren. Entsprechend der Stärke der Fraktionen im Bundestag wird eine Zugriffsliste erstellt. Sie gibt die Reihenfolge an, in der die einzelnen Fraktionen aus den noch nicht vergebenen Ausschüssen frei auswählen dürfen. Bevor die AfD nach ihrem Griff nach dem Haushaltsausschuss das zweite Mal wählen durfte, konnte die Union viermal und die SPD zweimal zugreifen. Die Sozialdemokraten entschieden sich für ihr zentrales Thema, den Ausschuss für Arbeit und Soziales, sowie für den Verteidigungsausschuss. Die Union griff nach den Ausschüssen für Außen, Europa, Innen und Landwirtschaft.

Wären die Ausschüsse für Außen, Europa oder Innen der AfD überlassen worden, wäre der Schaden noch viel größer als beim Rechtsausschuss. Und zur Landwirtschaft griff die Union, weil das Thema für sie in vielen Bundesländern von enormer Bedeutung ist. Außerdem ist es Usus, dass die Verantwortung für den Innen- und den Rechtsausschuss nicht bei einer Partei liegt, auch das Innen- und das Justizministerium sind ja traditionell nicht in einer Hand.

Kurzum: Den Zugriff der AfD auf den Haushalts- und den Rechtsausschuss konnten Union und SPD praktisch nicht verhindern. Aber warum protestieren sie dann nicht wenigstens gegen die Kandidaten, die die Rechtspopulisten als Vorsitzende vorgeschlagen haben?

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