Kommunale Krankenhäuser:Warum trotz Pandemie gestreikt wird

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An 450 kommunalen Kliniken wird es aufgrund des Streikes zu deutlichen Einschränkungen kommen. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Am Donnerstag legen Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern die Arbeit nieder. Sie fordern mehr freie Zeit - und wollen ein System verändern, das auf Kante genäht ist.

Von Benedikt Peters, München

Für Max Beyer sind das Ausschlaggebende die vielen kleinen Grenzüberschreitungen. Dass er noch in den Schockraum geht, um einen gerade eingelieferten Verletzen zu versorgen, obwohl er eigentlich schon Feierabend hat. Dass er ständig für kranke Kollegen einspringt, auch wenn dadurch die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit verletzt wird. Dass ihm die Pause vom Gehalt abgezogen wird, auch wenn er meist durcharbeitet.

Beyer ist Anästhesist in einem Krankenhaus in Baden-Württemberg und heißt eigentlich anders; aus Sorge vor Ärger mit seinem Arbeitgeber will er anonym bleiben. An diesem Donnerstag wird der Anästhesist streiken. "Denn so", sagt Beyer, "kann es einfach nicht weitergehen."

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund hat alle Mediziner an kommunalen Kliniken dazu aufgerufen, die Arbeit für einen Tag niederzulegen. In den Arztpraxen geht der Betrieb am Donnerstag normal weiter, ebenso in den Krankenhäusern, die nicht in kommunaler Trägerschaft sind, sondern zum Beispiel privat oder kirchlich finanziert werden.

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An 450 kommunalen Kliniken aber drohen erhebliche Einschränkungen, auch wenn noch nicht klar ist, wie viele der etwa 60 000 angestellten Ärzte dem Streikaufruf folgen. Viele Krankenhäuser stellen um auf eine Notversorgung, die auch am Wochenende gilt: Akute schwere Fälle, Herzinfarkte etwa oder offene Brüche, werden behandelt. Geplante Operationen aber werden verschoben, Knie- und Hüft-OPs zum Beispiel, oder Darmspiegelungen.

Es geht um mehr als um Geld

Die Patienten bekommen nun, mitten in der Corona-Pandemie, zu spüren, was Funktionäre am Verhandlungstisch nicht gelöst bekommen. Seit einem halben Jahr ringen der Marburger Bund und die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber (VKA) um bessere Arbeitsbedingungen für Ärzte wie Max Beyer. Es geht auch um mehr Geld - 5,5 Prozent mehr Lohn will die Gewerkschaft, auch wegen der hohen Inflation - aber wichtiger ist etwas anderes: Die Ärztinnen und Ärzte sollen endlich mehr freie Zeit haben.

Eigentlich hat der Anästhesist Max Beyer ein Recht auf zwei freie Wochenenden im Monat und maximal vier Bereitschaftsdienste, so steht es im Tarifvertrag. Die Bereitschaftsdienste sind extra lange Schichten, in denen Beyer zuerst einen normalen Arbeitstag absolviert und danach noch länger im Krankenhaus bleibt für die akuten Fälle: Wenn jemand in der Nacht notoperiert werden muss, dann ist er oder einer seiner Kollegen da, um die Narkose einzuleiten.

16 Stunden am Stück verbringt er dann im Krankenhaus, und immer wieder werden es bei ihm und den Kollegen mehr als vier solcher Dienste im Monat. "Wir haben einfach zu wenig Personal", sagt Beyer. Auch die Regel mit den freien Wochenenden werde nicht immer eingehalten, und wenn, dann nur durch Tricks, indem Urlaubswochen eingerechnet würden.

Der Marburger Bund versucht, genau an dieser Stelle anzusetzen. "Die aktuellen Regeln bieten zu viele Schlupflöcher", kritisiert Andreas Botzlar, der für die Gewerkschaft mitverhandelt. Er will erreichen, dass die Obergrenze von vier Bereitschaftsdiensten jeden Monat eingehalten werden muss - und nicht wie bisher nur im Halbjahresdurchschnitt. Das Gleiche gilt für die freien Wochenenden. Außerdem sollen die Rufbereitschaften, bei denen die Ärzte nicht in der Klinik sein müssen, aber in Notfällen herbeizitiert werden, auf zwölf pro Monat begrenzt werden.

Ausnahmen sollen zwar weiter erlaubt sein, nämlich dann, wenn anders die Patientensicherheit gefährdet würde. Damit werde in der Praxis aber viel zu oft argumentiert, sagt Botzlar. Dem will er entgegenwirken, indem jeder Arzt, der pro Monat zu viele Dienste oder zu wenige freie Wochenenden hat, dafür eine Ausgleichszahlung bekommen soll.

"Ein Streik, der niemandem wehtut, führt auch zu keiner Veränderung"

Die Arbeitgeber hingegen kritisieren, die Forderungen würden die Kliniken vor unlösbare Probleme stellen. "Viele von ihnen hätten gar nicht mehr die nötige Flexibilität bei der Dienstplanung und könnten die Patientenversorgung nicht aufrechterhalten", sagt ihr Verhandlungsführer Wolfgang Heyl der SZ.

Einen Kompromiss hält er dennoch für möglich, bei den Diensten, den Rufbereitschaften und den freien Wochenenden gebe es Spielraum. Eine Überschreitung der Obergrenzen müsse aber "weiterhin grundsätzlich möglich sein". Den Streik sieht er kritisch, auch angesichts der hohen Corona-Infektionszahlen. "Anstatt in dieser schwierigen Lage weiter zu eskalieren, sollten wir gemeinsam eine Lösung anstreben."

Der Anästhesist Max Beyer sieht das anders. Die Verhandlungen liefen ja nun schon ein halbes Jahr, sagt er, bewegt habe sich nichts, und in seiner Klinik werde die Lage immer angespannter. In der Pandemie hätten viele Kollegen gekündigt, noch mehr überlegten, demnächst zu gehen. "Ein Streik", sagt Beyer, "der niemandem wehtut, führt auch zu keiner Veränderung."

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