Ägypten: Proteste in Kairo:Verführerischer Feind

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Nach zwei Wochen des Protests auf dem Tahrir-Platz müssen die Revolutionäre mit der einsetzenden Normalität kämpfen. Gleichzeitig wissen sie: Wenn der Aufstand stirbt, wird die Rache des Regimes furchtbar sein.

Sonja Zekri

Die Stadt erwacht, sie atmet auf, zum ersten Mal seit fast zwei Wochen. Die Staus, der Lärm, die Gemüsehändler mit himmelhohen Blumenkohlstapeln sind auf Kairos Straßen zurückgekehrt. Vor den wieder eröffneten Banken drängen sich Menschen. Andere gehen zur Arbeit.

Der Alltag kehrt langsam in die Stadt zurück: Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo. (Foto: dpa)

Seit Sonntag hat die ägyptische Revolution einen neuen Feind: den verführerisch vertrauten Alltag.

Gegen die übrigen Gegner sind die Protestierenden auf dem Tahrir-Platz inzwischen ziemlich gut gerüstet. Soldaten und Freiwillige filzen Taschen und Tüten und das dauert: Fast jeder bringt Decken, Wasser, Brot für die Helden auf dem Befreiungsplatz. Ein Empfangskomitee hinter den Panzern empfängt die Besucher, singend, tanzend, klatschend: "Willkommen, Gäste, willkommen Revolutionäre!" Auf dem Platz, im Herzen des Aufruhrs, haben sich die Menschen, stur wie die Maulesel, um die Panzer auf den Boden gesetzt, um sie am Abziehen zu hindern. Wenn überhaupt, garantiert die Armee die Sicherheit des Protestes.

Viele haben Verbände am Kopf, und bandagierte Arme oder Beine. Die Helden sind geschlagen, aber ungebrochen. Nach den Angriffen mit Steinen und Molotowcocktails durch Schläger des Regimes haben sie sich ausgerüstet, stabile Kopfbedeckungen aus Kochtöpfen und Plastikschüsseln gebastelt oder echte Schutzhelme auf der Baustelle neben dem Ägyptischen Museum besorgt.

Seit die Protestierenden die Bauzaunbleche für ihre Barrikaden abgeschraubt haben, liegt das Areal offen da. In der Mitte klafft ein 35 Meter tiefes Loch für die geplante Tiefgarage. Eine Filmregisseurin, nennen wir sie Mona, ist mit ihrer Tochter von Anfang an da: "Abends gehe ich zwei Stunden nach Hause, dann komme ich wieder." Wie lange sie das noch durchhält? "Bis wir erreicht haben, was wir wollen. Wir wollen weder Mubarak noch Suleiman." Omar Suleiman, Ex-Geheimdienstchef und neuer Vizepräsident, wird von den USA als verlässlicher Partner hofiert. Mona ist entsetzt: "Jeder Ägypter ist besser als die beiden."

Ägypter sind Überlebenskünstler

Noch immer herrscht bei vielen jene unerklärliche Euphorie, ein Rausch der Selbstbefreiung, obwohl der Aufstand gerade zugrunde verhandelt zu werden droht. Gegen den Nieselregen haben die Menschen Planen aufgespannt, abends sitzen sie um Lagerfeuer. Der Duft von Popcorn und Süßkartoffeln liegt in der Luft. Händler verkaufen Socken und Nationalfahnen, ein kleiner Junge hat Papiertaschentücher anzubieten. Ägypter sind Überlebenskünstler. Nun ziehen sie alle Register.

In einer Seitenstraße, auf der Rückseite des Platzes, wird besonders streng kontrolliert. Hier, in einem Gebetsraum zwischen zwei Ladenzeilen, der nur ein Dach über ein paar Teppichen ist, haben sie ein Feldlazarett eingerichtet. Im Regal für die Schuhe der Gläubigen stapeln sich Medikamente. Decken über Wäscheleinen trennen die Behandlungsräume. An den Pfosten haben die Mediziner gelbe Flaschen für die gebrauchten Spritzen angeklebt. Für Asthmakranke gibt es einen grünen Plastikinhalator.

250 Mediziner arbeiten hier in Schichten, ein Arzt aus Amerika ist gerade angekommen. Sie reanimieren, nähen Wunden, entfernen Schrotkugeln. Nach dem Überfall der Mubarak-Schläger wurden hier und auf dem Platz 1000 Menschen behandelt. "Patienten mit schweren Verletzungen übergeben wir der Armee und die bringt sie in die Krankenhäuser", sagt ein Arzt. Nicht alle wollen das: "Ein junger Mann hatte innere Blutungen, aber er wollte auf keinen Fall ins Krankenhaus. Er hatte Angst, dort wird er verhaftet."

Die Menschen wissen: Wenn der Aufstand stirbt, wird die Rache des Regimes furchtbarer sein als jeder Steinhagel. Sie können nicht zurück. Aber wie lange halten sie durch? Am Ausgang verabschieden junge Männer die Besucher: "Bis morgen, so Gott will."

© SZ vom 07.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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