Tarifabschluss im öffentlichen Dienst:"Das geht an die Substanz"

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"Viele Kommunen sind mit diesem Abschluss überfordert": Die Schließung von Schwimmbädern würde aber wenig an der schlechten Finanzlage vieler Gemeinden ändern. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Arme Kommunen fragen sich, wie sie die hohen Gehaltssteigerungen für Erzieher, Busfahrer und andere bezahlen sollen. Werden jetzt Müllgebühren erhöht und Schwimmbäder geschlossen? Ganz so einfach ist es nicht.

Von Alexander Hagelüken und Benedikt Peters

Irgendwer ist immer unzufrieden, aber die meisten Beschäftigten im öffentlichen Dienst dürften sich jetzt freuen. 380 Euro brutto mehr für die Busfahrerin, 430 mehr für den Erzieher, 360 Euro mehr für den Müllwerker - der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst beschert den 2,5 Millionen Beschäftigten deutlich mehr Geld. Wie viel genau, das kommt auf das jeweilige Gehalt an, im Durchschnitt gibt es in den nächsten zwei Jahren etwa zwölf Prozent mehr.

Die Frage ist allerdings, was das für die Kommunen heißt, die einen Großteil des Geldes bezahlen müssen. 17 Milliarden Euro an Mehrausgaben kommen nun auf die Städte und Landkreise zu, prognostiziert deren Verhandlungsführerin Karin Welge, es handle sich um den "teuersten Abschluss aller Zeiten". Auszahlen müssen den Lohn Kämmerer, Bürgermeister und Landräte, deren Kassenlage allerdings höchst verschieden ist. Finanzieren müssen den Lohn am Ende, da die Kämmerer das Geld nicht herbeizaubern können, die Steuerzahler.

"Wenn das so weitergeht, dann geht bei uns bald das Licht aus."

In Deutschland herrscht, vereinfacht gesagt, ein Süd-Nord-Gefälle: Während in Bayern und Baden-Württemberg viele Kommunen gut dastehen, weil dort die Wirtschaft brummt und die Unternehmen viel Gewerbesteuer zahlen, ächzen viele Kommunen etwa in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter Schulden. Auch im Osten geht es einigen nicht gut. Es stellt sich daher die Frage, woher diese Kommunen das Geld nehmen sollen. Ob sie künftig Müll- oder Bibliotheknutzungsgebühren erhöhen und die Eintrittspreise für Museen und Schwimmbäder heraufsetzen werden. Oder, auch das wäre ja denkbar, das Schwimmbad oder die Musikschule gleich ganz dichtmachen.

Ralf Hänsel ist einer, der bei der Suche nach einer Antwort helfen kann. Hänsel ist CDU-Politiker und Landrat im sächsischen Meißen, in den Verhandlungen im öffentlichen Dienst vertrat er die sächsischen Arbeitgeber. Hänsel lehnt den Abschluss ab, er sagt: "Wenn das so weitergeht, dann geht bei uns bald das Licht aus." Schon jetzt, sagt Hänsel, gebe sein Landkreis jeden Tag 60 000 Euro mehr aus, als er einnehme - weil der Bund den Kommunen immer neue Aufgaben aufbürde, ohne sie ausreichend zu finanzieren; weil die Zuwendungen des Freistaats Sachsen einfach nicht ausreichten. Durch den Lohnabschluss kämen in den nächsten beiden Jahren 7,2 Millionen Euro mehr an Personalkosten auf den Landkreis zu, die im Haushalt nicht vorgesehen seien. Und jetzt? "Werden wir versuchen, das rauszuschwitzen", sagt Hänsel.

Er hofft, das meint er damit, dass sich im Haushalt noch ein wenig Spielraum ergibt. Dass vielleicht die Sozialausgaben niedriger ausfallen als gedacht; dass sich irgendwo noch genug Geld findet. Bei der Musikschule oder der Ehrenamtsförderung will Hänsel hingegen nicht kürzen, auch wenn er darüber schon einmal laut nachgedacht hat. Und wenn das Geld am Ende doch nicht reicht? "Dann müssen wir einen Kassenkredit aufnehmen", sagt Hänsel, "das ist, wie wenn ein Privathaushalt sein Konto überzieht." Er will das unbedingt verhindern, weil ihm, wie er sagt, dann kein Geld mehr für Investitionen in die Infrastruktur bleibt, für die Reparatur von Straßen zum Beispiel. "Das geht an die Substanz."

Hänsel ist nicht der Einzige, der das befürchtet. "Viele Kommunen sind mit diesem Abschluss überfordert", sagt Martin Beznoska, Experte für Finanzpolitik beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Er rechnet damit, dass viele Städte und Landkreise nun Gebühren, etwa für die Müllentsorgung, und Ticketpreise für den Nahverkehr erhöhen werden. Auch Kürzungen bei den sogenannten freiwilligen Ausgaben hält Beznoska für denkbar, darunter fallen etwa Schwimmbäder, Bibliotheken oder Musikschulen. Sie könnten ihr Angebot einschränken oder auch ganz schließen. Problematisch für viele verschuldete Kommunen sei, dass derzeit wieder die Kreditzinsen stiegen. "Das kann sehr brenzlig werden."

Wäre ein Altschulden-Schnitt eine Möglichkeit?

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, betont allerdings, dass nicht der Abschluss im öffentlichen Dienst für die prekäre Lage verantwortlich sei. "Den finanzschwachen Kommunen geht es schon seit über zwei Jahrzehnten sehr schlecht", sagt Fratzscher. Viele ächzten unter hohen Sozialausgaben und hätten auf der anderen Seite wenig Möglichkeiten, mehr Geld einzunehmen. "Sie können die Gewerbesteuer nicht einfach immer weiter heraufsetzen, weil dann die Unternehmen abwandern." Höhere Gebühren oder Schwimmbad-Schließungen brächten aus Fratzschers Sicht außerdem wenig; die Summen, die dadurch frei würden, seien viel zu gering.

Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst hätten angesichts der hohen Inflation ein berechtigtes Interesse an höheren Löhnen, sagt Fratzscher. "Man sollte ihnen das nicht verwehren, nur weil die Politik es nicht hinbekommt, die Kommunen vernünftig zu finanzieren." Das Geld sei in Deutschland da, es müsse nur richtig verteilt werden. Fratzscher fordert einen Altschulden-Schnitt für die betroffenen Kommunen und eine Reform des Länderfinanzausgleichs.

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Wie genau es gehen könnte, dazu hält Achim Truger von der Universität Duisburg-Essen einen Vorschlag parat: Der Ökonom fordert, Städten und Gemeinden mehr Einnahmen zu verschaffen und dabei gerade den ärmeren zu helfen. Möglich wäre dies, indem die Kommunen einen höheren Anteil der Umsatzsteuer erhalten und dafür weniger von der schwankenden Gewerbesteuer. Zudem will er die Gewerbesteuer weniger abhängig von den Gewinnen einzelner Firmen machen, die gerade in finanzschwachen Städten fehlen und große Unterschiede zwischen den Kommunen erzeugen. Bei einer solchen Reform würden auch freie Berufe wie Anwälte und Ärzte die Steuer zahlen.

Landrat Ralf Hänsel aus Meißen würde eine Reform auch begrüßen, und er hat entschieden, nicht mehr zu warten. Er kämpft gerade bei der sächsischen Landesregierung um mehr Geld für die Kommunen - und er will nicht aufhören, bis sich endlich etwas bewegt.

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