Abkommen zwischen EU und Ukraine:Durchlöchert von Tausenden Ausnahmen

Lesezeit: 4 min

Vom Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine ist nicht mehr viel übrig. Grund dafür sind 2370 Änderungswünsche der Russen und Merkels Diplomatie. In Brüssel setzt sich die Überzeugung durch, dass die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Moskau und Kiew nicht ignoriert werden kann.

Von Daniel Brössler und Cerstin Gammelin, Brüssel

Es war, so sah es aus, die Unterschrift seines Lebens. "Was für ein großartiger Tag", sagte Petro Poroschenko in einer kleinen Ansprache vor den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. Es war der 27. Juni 2014 und der neue ukrainische Präsident war Ehrengast des EU-Gipfels in Brüssel. Es ging um Sanktionen gegen Russland, das die Krim annektiert hatte und im Osten der Ukraine einen Krieg befeuerte. Vor allem aber ging es um die Unterschrift. Poroschenko widmete sie "den Menschen, die ihr Leben oder ihre Gesundheit gegeben haben, um diesen Moment möglich zu machen".

Gut zwei Monate später ist nicht mehr ganz klar, wofür diese Unterschrift eigentlich steht.

Poroschenko unterzeichnete damals den wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommens mit der EU; der politische Teil war im März unterschrieben worden. Der Wirtschaftsteil sieht eine enge Verwebung der ukrainischen Wirtschaft mit der EU vor - niedergelegt in einem Abkommen über eine "tiefe und umfassende Freihandelszone". Dieses Abkommen wird zwar nächste Woche ratifiziert, aber nach Lage der Dinge zugleich durchlöchert. Bevor es in Kraft tritt, sollen Tausende Ausnahmen vereinbart werden, wie die Süddeutsche Zeitung in Brüssel erfahren hat.

Das ist Ergebnis intensiver diplomatischer Bemühungen, in denen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel eine wichtige Rolle spielte. Die Absicht war es, die russische Kritik am Freihandelsabkommen aufzunehmen und Wladimir Putin weit, notfalls sehr weit, entgegenzukommen. Abseits der viel beachteten Sanktionsbeschlüsse begann die Kompromisssuche.

Für Merkel stellte das Freihandelsabkommen mit der Ukraine schon früh ein Problem dar. Es gefiel ihr nicht, dass die Ukraine gezwungen war, sich zwischen der EU und einer Zollunion mit Russland zu entscheiden. "Es gibt heute eine Situation, in der die Mitgliedschaft in zwei Zollunionen nicht möglich ist", sagte sie bereits im Dezember bei einem EU-Gipfel in Brüssel. Sicherlich werde man mit Russland darüber sprechen müssen, "wie wir aus diesem Entweder-oder herauskommen".

Diplomatie beim Dinner im Élysée-Palast

Russlands Präsident Wladimir Putin ließ erst einmal die Waffen sprechen. Er annektierte die Krim und unterstützte die Separatisten in der Ukraine. Die Idee eines Kompromisses beim Freihandel aber gab Merkel nicht auf. Anfang Juni, als anlässlich der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Landung alliierter Truppen in der Normandie ein großes Dinner im Élysée-Palast stattfand, nutzte sie die Gelegenheit, um mit Putin und später auch mit Poroschenko über das Abkommen zu sprechen.

Danach begannen trilaterale Treffen, um eine Lösung zu suchen. Am 11. Juli traf sich EU-Handelskommissar Karel De Gucht erstmals mit den zuständigen Ministern aus der Ukraine und Russland. Sie vereinbarten, dass Moskau eine Liste machen solle, die alle Punkte im Freihandelsabkommen auflistet, die gegen die Bestimmungen der von Russland geführten Zollunion sprechen. Mit einer konkreten Liste freilich ließen sich die Russen Zeit - wofür es nach Einschätzung westlicher Diplomaten auch eine Erklärung gab. Von Anfang an war es dem Kremlchef primär nicht um wirtschaftliche Fragen, sondern um die Sicherung der russischen Einflusszone gegangen. Sein Ziel war es gewesen, das ganze Assoziierungsabkommen zu verhindern und die Ukraine für eine Eurasische Union zu sichern. Dafür freilich ist die Ukraine nach dem Grauen im Osten des Landes wohl endgültig verloren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema