Premier Dombrovskis will sparen:Lernen vom Letten

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Ausnahme in Europa: Kein Politiker musste mehr kürzen als Valdis Dombrovskis. Doch obwohl ihre Löhne um ein Fünftel sanken, bestätigten die Letten den Premier im Amt - dabei verspricht dieser weitere Grausamkeiten. Eine Begegnung in Riga.

Matthias Kolb, Riga

Er ist nicht einer dieser strahlenden Helden, sondern wirkt eher wie ein Buchhalter: die Brille ein eckiges Kassengestell, das Haar kurz geschnitten, die hellblaue Krawatte zum dunklen Anzug sorgt für einen Farbtupfer. Valdis Dombrovskis spricht meist in der selben Tonlage, ohne große Leidenschaft und auch ohne das Bemühen mancher Politiker, ihr Gegenüber zu umschmeicheln.

Ein Auftritt wie ein Heiliger im März 2009: Mit diesem Bild, das kurz nach seinem Amtsantritt gemacht wurde, illustrierte das Magazin "Ir" seine Titelgeschichte über das "Phänomen Dombrovskis". Der lettische Premierminister wurde trotz seines harten Sparkurses Anfang November wiedergewählt (Foto: afp)

Dabei hat der 39 Jahre alte Lette etwas geschafft, worum ihn wohl jeder der 26 EU-Regierungschefs beneidet: Dombrovskis hat Löhne gekürzt, Schulen und Krankenhäusern geschlossen und trotzdem die Wahl gewonnen. Sein Parteienbündnis "Einheit" kam im Oktober auf 33 von 100 Sitzen in der Saeima. Seinen Erfolg erklärt Dombrovskis in der Staatskanzlei am Freiheits-Boulevard so: "Die Bürger haben sich für Stabilität entschieden und gemerkt, dass populistische Rezepte unbezahlbar sind."

Niemand in Lettland leugne, dass man tief in der Krise stecke und mit dem Sanierungsprogramm noch nicht am Ziel sei. Und Dombrovskis hatte im Wahlkampf nie Zweifel aufkommen lassen, dass er nach der Vereidigung des neuen Kabinetts am morgigen Dienstag weiter konsolidieren werde: 2011 will er zwischen 490 und 554 Millionen Euro sparen.

Der drastische Schritt ist alternativlos, denn Lettland muss die Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der EU und der Weltbank erfüllen, die die Baltenrepublik im Dezember 2008 mit einem Notkredit von 7,5 Milliarden Euro vor dem Staatsbankrott retteten. In den Boomjahren hatte sich Lettland am höchsten Wachstum der EU berauscht, schwedische Banken heizten mit billigen Krediten die Immobilienspekulation an, viele der 2,3 Millionen Letten kauften sich Autos und Konsumgüter mit geliehenem Geld und die Inflation stieg auf 18 Prozent.

Dombrovskis erinnert sich gut an jene "verrückten Jahre" bis zur Lehman-Pleite, in denen alles möglich schien und fast jeder ein schlimmes Ende befürchtete. "Ökonomen aus dem In- und Ausland, die EU-Kommission, die Opposition - alle warnten vor der Überhitzung, doch die Regierung ignorierte dies." Dombrovskis saß zu jener Zeit im EU-Parlament, nachdem er von 2002 bis 2004 Finanzminister gewesen war und zuvor als Chefvolkswirt der Lettischen Zentralbank gearbeitet hatte - diesen Posten hatte der Physiker und Ökonom mit 30 übernommen.

Kühler Stratege

Insofern war es wenig überraschend, dass Präsident Valdis Zatlers bei der Suche nach einem Sanierer bei Dombrovskis anrief. Im Winter 2009 flog er nach Riga - und wäre am liebsten nach Brüssel zurückgekehrt, nachdem er das Budget geprüft hatte. Aber Dombrovskis blieb und wurde im März zum Premier gewählt. "Niemand konnte wissen, ob unser Programm funktionieren und die Menschen die Schritte mittragen würden", gibt der 39-Jährige zu.

Er profitierte davon, dass seine Partei zuvor in der Opposition war und nicht für das Chaos verantwortlich gemacht werden konnte. Für den Politologen Viktors Makarovs steht fest: "Die Popularität von Dombrovskis hängt mit der Unbeliebtheit seiner Vorgänger zusammen." Der junge Unternehmer Indulis Berzins begründet das Wahlergebnis mit der Tatsache, dass die Letten Dombrovskis vertrauten.

Ähnlich urteilt Andris Brutans, Direktor der Glasfaserfabrik Valmiera: "Der Premier wurde gewählt, weil er für Ruhe und Stabilität steht. Man kann vorhersagen, was er tun wird und was nicht." Dies sei nicht nur für sein Unternehmen wichtig, das 95 Prozent der Produktion exportiere. Es ist nicht leicht, außerhalb der Opposition einen Kritiker von Valdis Dombrovskis zu finden. Für das Wochenmagazin IR, Lettlands neues publizistisches Flagschiff, analysierte Pauls Raudseps das "Dombrovska fenomens" und nennt weitere Faktoren: "Die Menschen halten ihn für ehrlich und glauben, dass er seine Machtposition nicht ausnutzt, um sich selbst zu bereichern."

Damit bildet er eine Ausnahme in der politischen Elite Lettlands, die viele Bürger mit Korruption und Gier verbinden - lange Zeit beeinflussten drei Oligarchen das Geschehen auf ungesunde und unappetitliche Art. Zudem, so Raudseps, habe der Premier während der bewegten Zeiten stets einen kühlen Kopf bewahrt und diese Fähigkeit werde weiter gebraucht. Für das Titelbild platzierte IR den Premier vor ein Schachbrett - eine klug gewählte Symbolik.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Letten nur selten wegen die Sparmaßnahmen demonstriert haben.

Dombrovskis hat Erfolg, weil er sich nicht zu emotionalen Aussagen verleiten lässt und keine Ausnahmen zulässt: Der Kulturetat wurde um sechzig Prozent gestrichen, die Gehälter der Lehrer mussten im Winter 2009 sogar um 50 Prozent gekürzt werden. Den Einwand, ob Lettland damit nicht seine Zukunft gefährde, kontert er so Leider hätten die Vorgängerregierungen den aufgeblähten Apparat in den guten Jahren nicht angepasst, weshalb nun gehandelt werden müsse - zudem habe sich die Zahl der Schüler seit 1990 halbiert.

Viele Schritte sind überfällig: Lettland leistet sich 18 Universitäten und staatliche Institute, während Dänemark mit fünf auskommt - und bessere Bildung vermittelt. Auch im Gesundheitswesen wurde massiv gespart: 59 Krankenhäuser sind für die Menschen im vergleichbaren Großraum Hamburg unvorstellbar. Und nicht nur ausländische Journalisten merken schnell, dass Dombrovskis bestens eingearbeitet ist und alle Zahlen kennt: "Im Frühjahr 2010 haben die Lehrer wieder 30 Prozent mehr erhalten, so dass sie ähnlich hart getroffen wurden wie andere im öffentlichen Dienst."

Kaum Proteste auf Rigas Straßen

Dass es anders als in Frankreich oder Griechenland nur selten zu Protesten und Streiks gekommen ist, obwohl dort weniger gekürzt wurde, erklärt der Premier mit der Einsicht in die Notwendigkeit sowie mit der nordischen Mentalität seiner Landsleute. Zudem habe man ein Sozialprogramm für die Ärmsten aufgelegt: Arbeitslosengeld wird länger ausbezahlt, die Notfallversorgung in den Klinken ausgeweitet und mit dem 100-Lats-Programm sollen Arbeiter neue Jobs finden.

Der dänische Ökonom Morten Hansen, der an der Stockholm School of Economics in Riga lehrt, nennt noch weitere Faktoren: Gewerkschaften seien in Lettland kaum existent und zudem hätten viele ihr Glück in Großbritannien oder Skandinavien gesucht. Wichtig sei auch die historische Erfahrung der früheren Sowjetrepublik: "Natürlich geht es den Leuten schlechter und viele haben Schulden, aber niemand muss mehr Hunger leiden. Als ich 1993 hier anfing, erzählten mir einige Studenten, dass sie wenige Jahre zuvor manchmal hungrig ins Bett gehen mussten. An so etwas kann sich in Griechenland keiner mehr erinnern."

Auch Dombrovskis beschönigt die Lage nicht: "Unser Kurs der internen Abwertung ist nicht sehr kreativ und natürlich sind wir weiterhin stark von der Weltwirtschaft abhängig." Nach einer Berechnung der schwedischen Bank SEB sind die Bruttolöhne seit dem Rekordhoch 2008 im Schnitt um 19 Prozent gesunken - allerdings waren sie zuvor oft um ein Viertel gestiegen. Durch die Lohnkürzungen soll die Wettbewerbsfähigkeit steigen und auch der Einstieg in die Eurozone gelingen: 2011 soll das Budgetdefizit von 8,5 auf sechs Prozent sinken. 2012 sollen dann die Maastricht-Kriterien erfüllt werden, um zwei Jahre später die Gemeinschaftswährung einzuführen.

Dombrovskis' Pragmatismus zeigte sich in den Tagen nach der Wahl: Er versuchte, die zweitgrößte Partei in die Regierung zu holen, um genug Unterstützung für sein Sanierungsprogramm zu bekommen. Damit hätte er eine Zeitenwende ausgelöst: Das Harmoniezentrum, das 29 von 100 Abgeordneten stellt, wird mehrheitlich von den russisch-sprachigen Letten gewählt, die ein Drittel der Bevölkerung bilden. Ernsthaft war noch nie mit einer "russischen" Partei verhandelt worden.

Ein Denkmal für Dombrovskis

Schließlich scheiterte eine mögliche Koalition, weil das Harmoniezentrum ohne Vorbedingungen verhandeln wollte - während Dombrovskis' Parteiblock die Anerkennung des Lettischen als Amtssprache sowie der Besetzung Lettlands durch die Sowjetunion forderte.

Man kann sich gut vorstellen, dass sich Kanzlerin Angela Merkel und Dombrovskis, der einst an der Mainzer Uni als Assistent arbeitete, gut verstehen. Ab und an blitzt sein feiner Humor auf. Lettland sei 2009 immerhin einer der größten Autoexporteure Europas gewesen, spottet er: "All die Luxuswagen wurden ihren Inhabern, die ihre Leasingraten nicht bezahlen könnten, weggenommen und ins Ausland gebracht."

Morten Hansen, der dänische Ökonom, ist überzeugt, dass die Letten in zwanzig Jahren ein Denkmal für Valdis Dombrovskis bauen werden: "Er ist der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort und ein Glücksfall für das Land." Solche Aussagen sind Dombrovskis offensichtlich unangenehm. Er weiß genau, dass man umso schneller abstürzen kann, je höher man gestiegen ist. Auch das Lob, Lettland mache Ländern wie Griechenland, Rumänien oder Ungarn nun vor, wie man IWF-Vorgaben erfülle, hält er für eine fragwürdige Ehre: "Mir wäre es lieber, wenn Lettland dies erspart geblieben wäre."

Er möchte sich nicht zum Lehrmeister für andere Regierungschefs aufschwingen, doch er gibt einen Rat: "Ziehen Sie die Sparmaßnahmen schnell durch." Ansonsten mahnt der 39-Jährige zur Ruhe: Frühestens Ende 2012 könne man seriös beurteilen, ob Lettland die Krise bewältigt habe. Über seine persönlichen Zukunftspläne hat Dombrovskis bisher geschwiegen, auch wenn sich der Stratege sicher schon Gedanken gemacht hat. Vielleicht geht er ja unter die Berater - und erklärt später einmal Politikern in Südeuropa, wie man mit wenig Charisma wegen angekündigter Kürzungen aussichtlos erscheinende Wahlen gewinnt.

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