Koalitionssuche:Eine Minderheitsregierung - warum nicht?

Lesezeit: 3 min

Große Koalition oder Neuwahlen - darauf verengt sich derzeit die politische Debatte in Berlin. Dabei hätte eine Minderheitsregierung aus CDU, CSU und Grünen durchaus Vorteile.

Kommentar von Marc Beise

Große Koalition oder Neuwahlen - auf diese Alternative spitzt sich die politische Debatte in Berlin zu. Die dritte Möglichkeit, eine Minderheitsregierung der Kanzlerin Angela Merkel, wird meist nur kurz erwähnt, dafür aber um so entschiedener verworfen. Es klingt dann fast wie ein Naturgesetz: Das kann nicht funktionieren und ist für Deutschland und die Probleme in der Welt nicht akzeptabel. Wirklich nicht?

Eine Minderheitsregierung, die sich also nicht von vornherein auf eine eigene Mehrheit im Bundestag stützen kann, sondern sich in jedem Einzelfall - womöglich wechselnde - Partner suchen muss, bringt Unruhe in den politischen Betrieb, klar. Die Risiken sind in den vergangenen Tagen ausführlich beschrieben worden, die Chancen eher nicht. Dabei sind sie überaus deutlich zu erkennen, erst recht vor dem Hintergrund der Alternativen.

Sozialdemokraten
:Schulz' Nein zum Mitregieren löst Unruhe in der SPD aus

In Bundestagsfraktion und Parteiführung regt sich Skepsis. Der SPD-Chef habe sich bei seiner strikten Absage an eine große Koalition zu stark auf Neuwahlen festgelegt.

Von Christoph Hickmann

Eine werbende Regierung wäre eine Aufwertung des Parlaments

Im Falle einer großen Koalition wird die SPD erneut in eine Konstellation gezwungen, die ihr zutiefst zuwider ist und die ausweislich des Wahlergebnisses immer weniger Bürger wollten. Warum eine solche Not-Gemeinschaft, deren Partner sich vor allem gegenseitig belauern und blockieren werden, stabiles Regieren ermöglichen soll, ist schleierhaft. Bei Neuwahlen sind die Probleme erst recht offensichtlich: Was, wenn das Ergebnis die gleiche Pattsituation ist? Was, wenn die Rechtspopulisten von der AfD erst so richtig zulegen? Dieses Risiko sollte man wohl nur eingehen, wenn es gar keine Alternative gibt. Aber es gibt sie ja.

Für das Grundgesetz ist eine Minderheitsregierung eine zwar ungeliebte, aber zulässige Regierungsform. Erst im dritten Wahlgang kann der Kanzler mit einfacher Mehrheit gewählt werden, damit wollten die Verfassungsväter 1949 wegen der Erfahrungen aus Weimar das Parlament zwingen, Verantwortung zu übernehmen. Aber weder hat der Präsident heute die Macht wie damals, noch ist die Lage überhaupt vergleichbar. Die Republik zwischen den Weltkriegen war zerrüttet, heute ist das Land politisch stabil, die Volkswirtschaft erlebt einen langen und robusten Aufschwung. Wann, wenn nicht jetzt, kann Deutschland sich einen lebendigen politischen Wettbewerb leisten?

Wenn es also stimmt, was die von der FDP versetzten Jamaika-Restverhandler nun hartnäckig behaupten, dass nämlich zwischen CDU, CSU und Grünen mittlerweile eine Atmosphäre des Vertrauens entstanden sei und man inhaltlich ganz knapp vor dem Ziel stand: Dann können diese Parteien doch auch wunderbar koalieren. Eine solche Konstellation wäre, anders als die gegenwärtige geschäftsführende Regierung, voll legitimiert und international handlungsfähig.

Die schwarz-grüne Minderheit würde sich im Parlament je nach Thema Mehrheiten suchen - und dafür bräuchte sie noch nicht einmal die AfD. Geht es um Bildung und Digitalisierung, wird die FDP schon mitstimmen. Geht es um Europa und soziale Gerechtigkeit, wäre die SPD dabei. Denkbar wären auch lockere Absprachen, die über den Tag hinausweisen - weder Sozial- noch Freidemokraten könnten das vernünftigerweise verweigern. Nicht so einfach, aber denkbar wäre sogar eine Alleinregierung der Union, die in diesem Fall auch noch von den Grünen gelegentlich unterstützt werden müsste.

Minderheitsregierungen können gut arbeiten

Übrigens sind Minderheitsregierungen weder im In- noch im Ausland so problematisch, wie nun der Eindruck erweckt wird. Skandinavische Länder und Kanada haben in der Summe gute Erfahrungen gemacht, und auch in Deutschland hat es wiederholt auf Zeit funktioniert: in ostdeutschen Bundesländern, aber auch in Berlin und im Saarland, in Hessen und in Nordrhein-Westfalen.

Das stärkste Argument für eine Minderheitsregierung ist die Aufwertung des Bundestags. Denn der Vorwurf, dass das Parlament in den vergangenen Euro-Krisenjahren geschwächt worden sei, war ja nie ganz falsch. Viele der entscheidenden Fragen sind in der Regierung zwischen den Spitzen von CDU und SPD ausgekungelt worden, ehe die Einpeitscher das dann in den Fraktionen durchgedrückt haben; mancher Abgeordnete hat nur mit Groll zugestimmt. Wenn aber die Regierung immer wieder im Parlament um Mehrheiten werben muss, schafft das eine neue, bessere Debattenkultur. Die Verschwörungsfantasien der AfD würden öffentlich eindrucksvoll widerlegt.

Wenn man dann noch bedenkt, dass über den Bundesrat ohnehin eine weitere Kontrolle eingebaut ist, sollte dieser Lösung nichts mehr im Wege stehen. Sie ist ungewöhnlich, anstrengend, überraschend, und alle Akteure müssten neue Wege gehen. Aber warum sollen sich in wandelnden Zeiten immer nur Arbeitnehmer neu orientieren - warum nicht auch die Politik?

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Umfrage
:Wähler bedauern Scheitern der Sondierungen

Das zeigen erste Umfragen nach dem Ende der Jamaika-Gespräche. Für die Befragten ist zudem klar, wer schuld ist. Ein Überblick in Grafiken.

Von Katharina Brunner und Moritz Zajonz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: