Rüstungsabkommen:Jetzt sind die Europäer am Zug

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Einigkeit zeigen: Norwegische Soldaten bei einer Nato-Übung vor der deutschen Ostseeküste (Foto: AP)

Der INF-Vertrag steht vor dem Aus, Russland rüstet auf. Was tun? Die Nato muss Einigkeit und Stärke demonstrieren - nur so lässt sich Putin beeindrucken.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Am 28. Oktober 1977 hielt Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) eine denkwürdige Rede in London. Er forderte, das "Prinzip der Parität" zwischen der Nato und der Sowjetunion müsse nicht nur für strategische Atomwaffen gelten, sondern bei allen Waffen. Es war der Beginn der Nachrüstungsdebatte, die Hunderttausende in der Bundesrepublik auf die Straße trieb, und der Ausgangspunkt des Nato-Doppelbeschlusses. Darin vereinbarte die Allianz, als Reaktion auf die Stationierung nuklearer SS-20-Mittelstreckenraketen durch die Sowjetunion US-Raketen und Marschflugkörper in Westeuropa aufzustellen. Sie verband dies mit der Aufforderung an die beiden Supermächte, über die Begrenzung genau dieser Waffensysteme zu verhandeln.

Das Ergebnis war der INF-Vertrag, am 8. Dezember 1987 von Reagan und Gorbatschow in Washington unterzeichnet. Als erstes Rüstungskontroll-Abkommen verbot er den beiden Supermächten eine komplette Klasse von destabilisierenden Waffen: bodengestützte Marschflugkörper und Raketen mit Reichweiten von 500 bis 5500 Kilometern, egal ob konventionell oder atomar bestückt.

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An diesem Samstag dürfte das Ende des Vertrages eingeleitet werden: Russland bricht ihn nach Überzeugung der USA und der anderen Nato-Staaten seit Jahren mit dem neuen Marschflugkörper 9M729. Nun läuft die Frist aus, die Präsident Donald Trump Russland gesetzt hat, um zur Vertragstreue zurückzukehren. Doch weder in Moskau noch in Washington ist, trotz anderslautender Lippenbekenntnisse, das Interesse groß, ihn zu erhalten - auch weil China, Indien, Pakistan, Iran oder Nordkorea nicht an ihn gebunden sind. Es geht jetzt zuvorderst um Schuldzuweisung und die öffentliche Meinung.

Russland modernisiert seit Jahren seine Streitkräfte und sein Atomarsenal

Um Streitfälle zu lösen, waren in der Rüstungskontrolle gegenseitige Inspektionen Mittel der Wahl. Doch Transparenz lässt sich nicht durch eine Show herstellen, wie sie Russland jüngst veranstaltete, ohne aussagekräftige Daten preiszugeben oder den strittigen Flugkörper zu zeigen. Moskau hätte Jahre und Dutzende Gelegenheiten gehabt, auf die US-Vorhaltungen zu reagieren. In Washington will man sich nun nur noch mit einer kompletten Abrüstung des umstrittenen Systems, das bei den russischen Streitkräften bereits eingeführt ist, zufriedengeben. Viele Europäer haben stumm gehofft, dass diese Eskalation vermieden wird. Nun fürchten sie ein neues nukleares Wettrüsten.

Es wäre zwar töricht, heute wieder nach der Stationierung neuer nuklearer Mittelstreckenwaffen der USA in Europa zu rufen. Denn die von Reagan und Gorbatschow geprägte Formel, ein Atomkrieg könne nicht gewonnen und dürfe nicht geführt werden, hat nichts an Richtigkeit verloren. Aber es reicht nicht aus, eine zweite Nachrüstungsdebatte vermeiden zu wollen, wie es vor allem aus Schmidts Partei, der SPD, zu hören ist. Die Nato muss eine zeitgemäße Antwort finden. Denn Russland modernisiert seit Jahren seine Streitkräfte und sein Atomarsenal. Rüstungsprojekte sowie Äußerungen hoher Offiziere und von Präsident Wladimir Putin legen nahe, dass es Teil der russischen Strategie ist, bei einem regionalen Konflikt in Europa in beschränktem Umfang Atomwaffen mit geringer Sprengkraft einzusetzen. Das soll abschrecken, ohne gleich den massiven Schlagabtausch mit den USA auszulösen, der die Welt in ein nukleares Inferno verwandeln würde.

Damals trieb Schmidt die Sorge um, die USA könnten ihre Bündnisverpflichtung ignorieren und Europa preisgeben. Heute untergräbt Trump die Nato, wo er nur kann, und Putin wird versuchen, diese Schwäche zu nutzen, den Zusammenhalt der Allianz zu testen, sie politisch zu spalten. Wenn Europa ein neues atomares Wettrüsten vermeiden will, wird es sich überlegen müssen, was es im Rahmen der Nato Russland entgegensetzen will.

Deutschland sollte auf eine gemeinsame Position der Europäer hinwirken. Dabei wird man mehr auf Polen oder die baltischen Staaten eingehen müssen, die sich angesichts der russischen Annexion der Krim und des Krieges in der Ostukraine viel stärker von Russland bedroht sehen, als man es hierzulande zugestehen will. Sonst wird die Versuchung in diesen Ländern groß sein, sich als Standort für denkbare neue US-Systeme anzubieten.

Es bleiben noch sechs Monate, bis der INF-Vertrag nach der erwarteten Kündigung durch die USA seine Geltung verlöre. Die Europäer sollten in dieser Zeit in Moskau und in Washington auf weitere Verhandlungen dringen. Zugleich wird man in der Nato zusammen mit den USA über einen Ausbau defensiver Systeme wie der Luft- und Raketenabwehr nachdenken und die konventionellen Streitkräfte der Europäer selbst stärken müssen. Nur wenn die Nato Einigkeit demonstriert und sich intelligente und glaubhafte Antworten einfallen lässt jenseits einer Neuauflage der Nachrüstungsdebatte, wird Putin vielleicht doch noch einen Anreiz haben, über neue Vereinbarungen für Rüstungskontrolle in Europa nachzudenken.

© SZ vom 31.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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