Wort des Jahres:Ich well nicht mehr

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Riesenwelle in Hong Kong. In Deutschland wurde der "Wellenbrecher" zum Wort des Jahres gewählt, dabei geht es aber nicht um Wasser, sondern um Corona. (Foto: Anthony Kwan/Getty Images)

Und wieder nicht das Lastenrad: Doch das Wort des Jahres ist nur auf den ersten Blick öde. Der Begriff "Wellenbrecher" ermutigt in lähmenden Zeiten.

Von Marcel Laskus

Die nun allerorten verkündeten Wörter des Jahres sagen im besten Fall etwas Klitzekleines über die Gesellschaft aus, immer aber etwas über jene, die diese Wörter küren. Das Jugendwort des Jahres zum Beispiel war lange ein bisschen unglaubwürdig, worüber man sich dann auf den Schulhöfen des Internets lustig machte. Schließlich entschied der zuständige Verlag, dass die Jugendlichen selbst darüber abstimmen sollten. Im ersten Jahr rangierten Hurensöhne und Mittwoch eine Weile recht weit oben, diesmal schlug "cringe" (fremdschämen) "sus" (verdächtig). Beim österreichischen Wort des Jahres schwingt dagegen oft etwas süffisant Politisches, irgendwie Österreichisches mit. "Schattenkanzler" ist es diesmal geworden, gemeint ist der möglicherweise nicht für immer a. D. bleibende Sebastian Kurz. Ganz anders das gekürte Wort des Jahres von der Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfdS). In der brutalen Nüchternheit ist ihre Wahl meist kaum zu toppen.

Wie ein Schachcomputer schnappt die Jury sich Jahr für Jahr exakt die Option, der wirklich kein Mensch etwas entgegensetzen kann. 2013 war es die "GroKo", 2017 das "Jamaika-Aus". Schwer vorstellbar, dass sich die Jury je an einen Begriff wie das seit diesem Sommer sehr politische Lastenfahrrad wagen könnte. Überboten hätte sich die GfdS in ihrer Sachlichkeit nur noch selbst, indem sie das Wort aus dem letzten Jahr, nämlich "Corona-Pandemie", in diesem Jahr einfach demonstrativ recycelt hätte. Hat sie aber nicht, trotz weit verbreiteter Murmeltier-Stimmung. Stattdessen wurde es: der "Wellenbrecher".

Gewohnt sachlich begründet die Jury ihre Entscheidung so: "Das aus Küstenschutz und Schiffbau bekannte Wort nahm durch das auch 2021 beherrschende Thema - die Corona-Pandemie - eine Reihe von neuen Bedeutungen an." Gemeint sind damit all die Maßnahmen gegen Covid-19, die Kontaktbeschränkungen, die geschlossenen Fitnessstudios, die Ausgangssperren, aber auch Menschen, die sich danach richten. Mit dem Bekenntnis "Ich bin Wellenbrecher*in" rief etwa das Staatsministerium von Baden-Württemberg zum bewussten Wellenbrechen auf. Wenn sogar schon Ministerien damit werben, mag man nun meckern, ist das auch irgendwie öde. Aber immerhin: Wellenbrecher, das ist nur auf den ersten Blick ein nüchtern-beschreibendes Wort, auf den zweiten Blick ist es ein Begriff der Selbstwirksamkeit.

Bis zum Beginn der Ära Corona war der Wellenbrecher aus schwerem Material errichtet, schützte Bauwerke an den Küsten und Schiffe vor den Gewalten des Wassers. Und vielleicht wäre es nur tröstlich gewesen, hätte man sich diese ursprüngliche Bedeutung des Wellenbrechers viel früher vor Augen geführt. Wie man heute weiß, war die Annahme falsch, im Frühjahr 2020 naiv darauf zu hoffen, dass es bei dieser einen Corona-Welle bleiben würde, wenn man nur zwei Wochen lang daheim die Füße stillhält. Genauso wie es falsch war, daran zu glauben, dass die zweite Corona-Welle im Herbst 2020 bitteschön die letzte sein würde. Wie auf dem weiten Meer schwappen auch die Virus-Wellen munter weiter.

Aber man kann etwas gegen sie tun, sie brechen, auch wenn es vieler Entbehrungen bedarf. Das, liebe GfdS, wäre wiederum auch so ein mögliches Wort des Jahres gewesen, dem kein Mensch etwas entgegensetzen kann.

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:"Wellenbrecher" ist Wort des Jahres

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