Jugendwort des Jahres:Ihr Zensurensöhne!

Lesezeit: 4 Min.

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Dieses Jahr stimmen die Jugendlichen selbst über das Jugendwort des Jahres ab. Das Problem dabei sind natürlich die Jugendlichen. Denn nun kämpft "Mittwoch" gegen "Schabernack".

Von Philipp Bovermann

Man kann die Geschichte des Internetkrieges um das Jugendwort des Jahres nicht erzählen, ohne ein Wort zu benutzen, das man in seriösen Medien aus gutem Grund sehr selten liest. Es ist übel beleidigend, misogyn, es diskriminiert Sexarbeiterinnen und es ist noch nicht mal besonders neu, originell oder jugendlich, es ist einfach nur - nun ja: Hurensohn. Jetzt ist es raus.

"Hurensohn" soll das Jugendwort des Jahres werden. Zumindest wenn es nach einer Community im Netz geht, die dieses Wort liebt und feiert und ihm neue, nur ihnen verständliche Bedeutungsnuancen abgewonnen hat. Die Fans einer hässlichen Kröte hingegen, die jeden Mittwoch verkündet, dass es Mittwoch ist, kämpfen online für das Wort "Mittwoch".

Außerdem geistern auch noch die digitalen Reproduktionen des CDU-Politikers Philipp Amthor durch das Netz, um überall "Schabernack" zu verkünden. Wer glaubt, sich mit Jugendsprache auszukennen, denkt sich nun vielleicht: lol wtf? (Man ist also überrascht, amüsiert, vielleicht irritiert.) Was ist nur los mit der Jugend und ihren Wörtern?

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Das Jugendwort des Jahres, vielfach als realitäts- und auch jugendfern geschmäht, soll nach einem Jahr Pause nun nicht mehr von einem Gremium bestimmt werden, stattdessen sollen die Jugendlichen selbst es wählen. Das Problem dabei sind natürlich die Jugendlichen. "Wir haben schon erwartet, dass viele Beleidigungen einreichen", sagt eine Sprecherin des Pons-Verlags, der den Langenscheidt-Verlag geschluckt hat und statt seiner nun das Jugendwort kürt. "Aber wir haben gedacht, dass es mehr unterschiedliche Beleidigungen wären."

Als dann aber "Hurensohn" sehr stabil nach oben geht, als schließlich klar wird, dass nicht nur, aber eben auch eigens programmierte Computerbots in regelmäßigen Abständen automatisch für das Wort stimmen, macht man sich bei Pons auf die Suche, wo das herkommt - und stolpert in die Welt von "ich_iel". Der Verlag trifft also auf echte Jugendliche, dort, wo echte Jugendliche rumhängen: im Internet. "ich_iel" ist eine rund 165 000 Mitglieder große Community auf der Plattform Reddit, einer der Schmieden von sogenannten Memes, also Internetwitzen.

Die Abkürzung "ich_iel" steht für "ich im echten Leben". Ich_iel liebt es, englische Begriffe ins Deutsche zu übersetzen, das ist der Kernwitz, der die Community zusammenhält. Mit Deutschtümelei hat das nichts zu tun, es geht um den Jux. Aus Harry Potter wird "Haariger Töpfer", Instagram heißt "Sofortigram" und die "Boomer", also die Vertreter der Babyboomer-Generation, heißen "Explodierer". Wenn jemand auf ich_iel ein englisches Wort benutzt, wird er von der Community freundlich in der Sache, aber ultra drastisch in der Wortwahl aufgefordert, er möge doch bitte Deutsch sprechen, "du Hurensohn".

Wer damit begonnen hat, weiß niemand mehr, aber irgendwie wurde daraus ein Running Gag, bis sich schließlich "Hurensohn" ganz herauslöste. Aus der Beleidigung wurde eine Pointe, ein Destillat des Gruppengefühls.

Was an diesem Wort so lustig sein soll, versteht man als Außenstehender ohne den Kontext all dieser Witze nicht. Und genau darum geht es - wie wahrscheinlich immer bei Jugendsprache, oder sogar bei Sprache generell: Man möchte verstanden werden. Aber man will auch etwas für sich und die eigene Gruppe beibehalten, das nur dort verstanden wird. Linguistische Rudelbildung.

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Als andere Communitys hören, dass ich_iel "Hurensohn" zum Jugendwort des Jahres machen will, beginnen sie, eigene Vorschläge zu posten - wie verrückt. Einige Nutzer berichten stolz ihren jeweiligen In-Groups, sie hätten gerade Stunden damit verbracht, immer wieder für "ihr" Wort zu stimmen. Laut Pons-Verlag sind so inzwischen etwa 900 000 Stimmen zusammengekommen, wenn man die herausrechnet, die von Computerbots stammen.

Mit anderen Worten: Um das Jugendwort des Jahres ist ein "Meme War" entbrannt. Geführt werden solche Kriege, wie der Name vermuten lässt, mit Memes, also mit einfach herzustellenden Basteleien aus Bildern, die man im Internet gefunden hat, und ein bisschen Text, der die Pointe liefert. Je lustiger ein Meme, desto häufiger wird es geteilt. Reichweite, die Währung des Internets, ist das Ziel.

Meme Wars können durchaus ernste Anliegen haben, wie die - leicht ironisch betitelten - "Great Meme Wars" rechter Internetbastler für Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl 2016. Oder sie werden aus Spaß geführt. Meme Wars können selbst ein Meme sein, ein Witz. Wie im vergangenen Sommer, als ich_iel sich mit holländischen Nutzern eine Fehde lieferte über gegenseitige Kommentierungen, ein bisschen wie ein multimediales Rap-Battle. Jemand hatte das Meme der Holländer, einen sprechenden Vogel, darauf hingewiesen, er möge Deutsch sprechen, der Hurensohn.

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Vor Kurzem hat der Pons-Verlag entschieden, dass "Hurensohn" nicht das Jugendwort des Jahres werden kann, "da wir Begriffe dieser Kategorie nicht unterstützen möchten", wie es in einer Erklärung auf Instagram heißt. Zwar habe es daraufhin unzählige Nachrichten gehagelt, in denen der Verlag als, na klar, Hurensohn bezeichnet wurde, trotzdem seien die Reaktionen insgesamt verständnisvoll gewesen, sagt die Sprecherin. Das Ganze sei sowieso eher ein Witz gewesen, so offenbar der überwiegende Tenor der Kritiker.

Zumindest in das "Lexikon der Jugendsprache", das der Verlag herausgibt, soll "Hurensohn" nun aufgenommen werden.

Bis zum 10. August werden noch Vorschläge gesammelt, am 15. Oktober wird das Siegerwort gekürt. Ich_iel hat sich inzwischen mit den Philipp-Amthor-Memes verbündet und setzt nun auf "Schabernack", was dadurch zu einem möglichen Favoriten wird. Aus der Swaggy-Smombie-Planjugendlichkeit vergangener Jugendwörter würde es auf jeden Fall herausstechen.

Ebenfalls weit vorn sind laut dem Verlag "wyld" (wild), "no front" (nichts für ungut), "Köftespieß" (erste Mahlzeit von Rapper Xatar nach dem Knast), "Mittwoch", "Brüh" (eine Variante von "Bro", "Bruh") und "Black Lives Matter", aber es sei noch alles offen. Auf ich_iel liest man außerdem einen weiteren Vorschlag häufiger: "Zensurensohn".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusCoronavirus
:Experiment Schule

Schulen ringen seit Beginn der Pandemie damit, Lehrer und Kinder zu schützen. Allmählich zeichnet sich ab, wie das gelingen kann, ohne auf den Unterricht zu verzichten.

Von Jennifer Couzin-Frankel, Gretchen Vogel und Meagan Weiland

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: