Knapp fünf Stunden dauerte das Schlussplädoyer von Weinstein-Verteidigerin Donna Rotunno am vergangenen Donnerstag. Ihr letztes Wort in der Sache war das allerdings nicht. Am Sonntag erschien beim Portal Newsweek ein Meinungsbeitrag der Juristin aus Chicago. Titel: "Die Juroren im Fall meines Mandanten Harvey Weinstein müssen hinter die Schlagzeilen blicken".
Der Artikel ist halb Appell an das zwölfköpfige Gremium, fair und vorurteilsfrei zu entscheiden, und halb Abrechnung mit der internationalen Presse, die - so sieht es zumindest Rotunno - ihren Klienten längst für schuldig befunden hat. Für die auf Sexualstraftaten spezialisierte Verteidigerin offenbar Rechtfertigung genug, um selbst die ethischen Grenzen ihres Berufstandes auszureizen. Der Artikel endet mit den Worten: "Harvey Weinstein ist unschuldig. Sein Schicksal steht auf der Kippe, und die Welt schaut zu."
Dem wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung angeklagten Ex-Filmmogul droht bei einer Verurteilung eine lange Haftstrafe.
Rotunnos - je nach Lesart mehr oder weniger - direkte Ansprache der Jury über die Medien, kurz bevor sich die zwölf Gremiumsmitglieder zu ihren Beratungen zurückziehen, ist mindestens ungewöhnlich. Eigentlich sollen die sieben Männer und fünf Frauen möglichst frei von äußeren Einflüssen entscheiden. Staatsanwältin Joan Illuzzi scheint es dann am Dienstagmorgen auch kaum abwarten zu können, ihre Beschwerde vorzutragen. Richter James Burke hat sich gerade die schwarze Robe übergestreift, als Illuzzi aufspringt. Rotunnos Verhalten sei "100 Prozent unangemessen", poltert die Staatsanwältin.
Die Verteidigerin impliziere in dem Newsweek-Kommentar, dass die Jury ihren Mandanten freisprechen solle. Das sei nicht nur ein direkter Verstoß gegen die Anweisungen des Gerichts, sondern verstoße auch gegen die Verhaltensregeln für Anwälte im Staat New York. "Wenn das Gericht ein solches Verhalten duldet, sind wir alle verloren."
Eine Spitze gegen Weinsteins "PR-Maschinerie"
Direkt zu Beginn des Prozesses hatte Burke beiden Seiten für die Dauer des Verfahrens eine Art Maulkorb verordnet - die Verteidigung schien das allerdings eher als Handlungsempfehlung zu interpretieren. Erst in der vergangenen Woche hatte eine Podcast-Aufzeichnung mit Donna Rotunno Schlagzeilen gemacht und für Empörung auf Seiten der Staatsanwaltschaft gesorgt.
Anwalt Damon Cheronis verteidigt den Newsweek-Kommentar seiner Kollegin Rotunno am Dienstag vor Gericht: Der Text sei eine Abhandlung über das Jury-System im Allgemeinen. Und überhaupt, so Cheronis, habe der Richter die Jurymitglieder immer wieder darauf hingewiesen, die mediale Berichterstattung im Fall Weinstein zu meiden. Es wäre ein guter Punkt - würde Cheronis an dieser Stelle nicht seiner eigenen Partnerin widersprechen: Rotunno hatte ihre Newsweek-Intervention unter anderem damit begründet, dass es für Juroren in diesem vielbeobachteten Verfahren nahezu unmöglich sei, die mediale Berichtserstattung zu dem Fall zu ignorieren.
Richter Burke scheint jedoch einmal mehr nicht gewillt, sich auf die Scharmützel von Staatsanwaltschaft und Verteidigung einzulassen. Er belässt es bei einer Spitze gegen die "PR-Maschinerie" der Verteidigung und einer abermaligen Ermahnung, sich bis zum Urteil von der Presse fernzuhalten. Dann geht er zum wichtigsten Tagesordnungspunkt über: Eine knappe Stunde lang instruiert Burke die Jurymitglieder. Es geht um die rechtliche Definition von Vergewaltigung. Darum, dass die Schuld des Angeklagten über jeden Zweifel erhaben sein muss. Und schließlich um die Modalitäten der Urteilsverkündung. Man hört Burke an, dass er seinen Vortrag nicht zum erste Mal hält. Die Männer und Frauen in den roten Jurysesseln wirken trotz seiner monotonen Ausführungen aufmerksam, einige machen sich Notizen.
Um 11.31 Uhr verlassen die Jurymitglieder hintereinander den Gerichtssaal. Nun ist es an ihnen, über Schuld und Schicksal von Harvey Weinstein zu entscheiden. Ein zeitliches Limit hat das Gremium nicht - Beobachter rechnen damit, dass sich die Beratungen über Tage ziehen könnten.