Karlsruhe (dpa) - Der Staat darf muslimischen Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern nicht länger pauschal und vorsorglich verbieten. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden.
Für Verbote müssen demnach künftig konkrete Gründe vorliegen, etwa eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben an bestimmten Schulen.
Die Grundsatzentscheidung betrifft acht Länder, in denen entsprechende Verbotsgesetze gelten. Das Gericht korrigiert damit sein sogenanntes Kopftuchurteil von 2003. Damals hatte es den Ländern vorsorgliche Verbote noch erlaubt.
Der Erste Senat gab zwei muslimischen Lehrerinnen recht, die gegen das Kopftuchverbot in Nordrhein-Westfalen vorgegangen waren. Zugleich kippte das Gericht eine Vorschrift im Landesschulgesetz, nach der christliche Werte und Traditionen bevorzugt werden sollen. Das benachteilige andere Religionen und sei daher nichtig.
Ein Kopftuchverbot an Schulen ist nach Ansicht der Verfassungsrichter nur dann gerechtfertigt, wenn durch das Tragen eine „hinreichend konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ausgeht. Eine bloße abstrakte Gefahr reiche nicht aus. Eine derartig konkrete Gefahr kann demnach vorliegen, wenn die Frage nach dem Kopftuch zu erheblichen Auseinandersetzungen in einer Schule führt.
Nordrhein-Westfalen und Berlin prüfen nun, ob ihre Gesetze nachgebessert werden müssen. Auch die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Brunhild Kurth, räumte möglichen „Anpassungsbedarf“ ein. Der Vorsitzende der Lehrerorganisation VBE, Udo Beckmann, kritisierte das Urteil. Nun steige der Druck auf muslimische Mädchen, gegen ihren Willen ein Kopftuch zu tragen. Er warnte davor, die Verantwortung den Schulleitungen zu überlassen.
Der Zentralrat der Muslime (ZMD) begrüßte die Entscheidung, „auch wenn das Urteil keine generelle Erlaubnis für das Kopftuch bedeutet“. Karlsruhe habe klargestellt, dass das Tuch an sich keine Gefährdung des Schulfriedens bedeute.
Die Verfassungsrichter sehen in dem pauschalen Verbot einen schweren Eingriff in die Glaubensfreiheit der Klägerinnen. Beide hätten plausibel dargelegt, dass das Kopftuchverbot ihre persönliche Identität berühre und ihnen sogar den Zugang zu ihrem Beruf verstelle. Bei den Arbeitsgerichten waren die Frauen in sämtlichen Instanzen gescheitert.
Durch das Kopftuch der Pädagoginnen würde auf der anderen Seite die Religionsfreiheit von Schülern und Eltern nicht von vornherein verletzt, hieß es weiter. Das kann der Entscheidung zufolge erst dann eintreten, wenn die Lehrerinnen für den Islam werben. Auch der staatliche Erziehungsauftrag und die damit verbundene Verpflichtung zu weltanschaulich-religiöser Neutralität stehe dem Tragen eines Kopftuches nicht generell entgegen.
Die Richter hatten die Klagen der Frauen nicht öffentlich verhandelt. Ihr Beschluss war durch eine Computerpanne des Gerichts bereits am Donnerstag bekanntgeworden. Zwei Richter folgten der Argumentation ihrer Kollegen nicht und gaben ein Sondervotum ab.