Tod von schwarzem Teenager in Ferguson:Täglich wächst die Wut

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Die Stimmung in Ferguson ist nach dem Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown sehr angespannt - nun soll die Nationalgarde die Polizei vor Ort unterstützen. (Foto: AFP)

Hat Michael Brown vor seinem Tod Zigarren im Wert von 49 Dollar gestohlen? Ein von der Polizei veröffentlichtes Überwachungsvideo soll genau das beweisen - lässt die Situation in der amerikanischen Kleinstadt allerdings weiter eskalieren.

Von Jana Stegemann

Die Menschen auf den Straßen von Ferguson feierten ihn wie einen Messias. Am vergangenen Freitag kam Ron Johnson - Afroamerikaner, angesehener Polizist seit 27 Jahren - als Friedensstifter in die US-Kleinstadt. Statt Tränengas und Gummigeschosse verteilte der 51-Jährige Umarmungen und Trost. Seine Worte, bedächtig gewählt, gingen der Menge ans Herz: "Wir sind nicht hier, um Angst zu verbreiten. Wir sind hier, um den Menschen zu dienen und sie zu beschützen", sagte Johnson, "Ich bin mit dem Herzen bei Euch und sage Euch, dass es mir leid tut."

Johnson brachte für einen Tag Ruhe in den aufgewühlten Vorort von St. Louis. Seine erste Amtshandlung: Er wies seine Leute an, ihre Atemschutzmasken abzulegen. Jene Masken, die die Polzisten wie Soldaten im Kriegseinsatz wirken lassen. "Es bedeutet mir persönlich eine Menge, dass wir die Spirale der Gewalt durchbrechen", sagte Johnson.

Am Samstag, 9. August, war der Teenager Michael Brown erschossen worden, am Sonntag kam es zu ersten gewaltsamen Protesten und Ausschreitungen. Nach fünf Tagen Ausnahmezustand mit Plünderungen, brennenden Supermärkten, Rauchbomben, Gummigeschossen und Trängengaseinsätzen gelang es Johnson und seinem Team Ferguson zur Ruhe zu bringen. Für knapp einen Tag.

Das heikle Video

Dann veröffentlichte die Polizei ein Video - und zerstörte damit jäh den fragilen Frieden. Das Überwachungsvideo soll zeigen, wie Michael Brown wenige Minuten vor seinem Tod einen Ladendiebstahl begeht. Seine Eltern sind empört, sagen, die Veröffentlichung habe nur den Zweck, ihren toten Sohn zu diskreditieren und ihm ein kriminelle Vergangenheit anzudichten. Keine der vorgelegten Fakten könne "die hinrichtungsartige Tötung ihres Kindes durch einen Polizisten rechtfertigen, während er die Hände hoch hielt, was weltweit das Zeichen des Sich-Ergebens ist", erklären die Anwälte der Familie. Zahlreiche andere Demonstranten sagen, die Polizei versuche mit der Veröffentlichung eine Rechtfertigung für die Tat zu präsentieren.

Auf der kurzen Sequenz ist zu sehen, wie ein sehr großer und bulliger Mann mit Khakishorts, Shirt und Sandalen - nach Polizeiangaben Michael Brown - den viel kleineren Verkäufer grob am T-Shirt packt und schüttelt. Dieser hatte kurz zuvor versucht, ihn am Verlassen des Ladens zu hindern. Brown habe eine Packung Zigarren im Wert von 48,99 Dollar (etwa 37 Euro) gestohlen, teilte die Polizei mit. Beweise für den Diebstahl seien bei Browns Leichnam gefunden worden.

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Todesschütze vor sechs Monaten geehrt

Bei einer Pressekonferenz am Freitag bemüht sich Fergusons Polizeichef Thomas Jackson, den Schützen Darren W. als vorbildlichen Beamten darzustellen. Der 28-jährige Weiße habe eine "angenehme, ruhige" Persönlichkeit und sei ein "exzellenter Polizist". W., ist aus Angst vor Lynchjustiz aus Ferguson geflohen. Im Netz kursiert ein Foto, das ihn vor sechs Monaten zeigt, während er eine Urkunde für "besondere Verdienste" als Polizist entgegenimmt.

Wie es nach dem mutmaßlichen Diebstahl zu den umstrittenen Todesschüssen kam, ist auch neun Tage später immer noch unklar. Polizeichef Jackson sagte, die Begegnung zwischen dem Jugendlichen und dem Polizisten stehe nicht im Zusammenhang mit dem Vorfall. Demnach liefen Brown und ein Freund "mitten auf der Straße" und blockierten den Verkehr. Wilson habe dies auf dem Rückweg von einem anderen Einsatz gesehen und sei eingeschritten. Ein Augenzeuge berichtet hingegen, dass W. auf den unbewaffneten Brown gefeuert habe, obwohl der die Arme hochgehoben und "Nicht schießen" ("Don't shoot") rief.

Weil mittlerweile ein ganzes Land Gewissheit will und der Tod Browns eine landesweite Diskussion um Rassendiskriminierung und die Unterdrückung von Minderheiten durch weiße Polizisten ausgelöst hat, hat sich sogar Präsident Barack Obama aus seinem Urlaub zu Wort gemeldet. Es gebe zwar keine Entschuldigung für Vandalismus, Plünderungen und Gewalt gegen Polizisten, sagte Obama. Er fand jedoch auch deutliche Worte in Richtung der örtlichen Polizei: "Es gibt genauso wenig eine Entschuldigung für exzessiven Gewalteinsatz gegen friedliche Proteste."

Proteste im Vorort von St. Louis
:Eine getrennte Stadt

Der Vorort Ferguson im US-Bundesstaat Missouri kommt nach dem gewaltsamen Tod von Michael Brown nicht zur Ruhe. Mehrere Studien zeigen: Die Stadt St. Louis gehört zu jenen in den Vereinigten Staaten, in denen noch immer starke Rassentrennung vorherrscht.

Von Jürgen Schmieder

Obwohl seit einigen Tagen die Autobahnpolizei unter Leitung von Ron Johnson das Kommando in Ferguson übernommen hat, sieht sich Missouris Gouverneur, Jay Nixon, nach heftigen Krawallen jetzt gezwungen, die Nationalgarde zur Unterstützung von Johnsons Team zu senden. Die friedlichen Proteste am Sonntag seien überschattet worden von "gewaltsamen kriminellen Handlungen einer organisierten und wachsenden Zahl von Menschen, viele von außerhalb der Gemeinde und des Staates", so Nixon.

Die Polizei hatte in Ferguson für Sonntagnacht die zweite Ausgangssperre in Folge verhängt. Drei Stunden vor deren Beginn um Mitternacht schritt die Polizei ein, als ein nach Medienberichten gewalttätiger Mob die Oberhand über einen bis dahin friedlichen Protestmarsch gewann. Die mit gepanzerten Fahrzeugen angerückten Sicherheitskräfte trieben die Menschenmenge mit Tränengas auseinander. Zwei Menschen seien durch Schüsse aus der Menge der Demonstranten verletzt worden, hieß es. Als Hunderte Demonstranten in Richtung der Polizeizentrale marschiert seien, seien die Sicherheitskräfte mit Molotow-Cocktails, Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen worden. "Ich hatte keine andere Wahl, als unsere Antwort zu verschärfen", sagte Johnson. Eine der Teilnehmerinnen des Marsches, Lisha Williams, sagte dagegen: "Sie haben ohne Anlass Tränengas auf uns abgefeuert." Diese Einschätzung äußern zahlreiche Demonstranten in US-Medien.

Schon länger wird kritisiert, dass die Einsatzkräfte in vielen amerikanischen Städten immer stärker aufgerüstet würden und mit gepanzerten Fahrzeugen oder Tarnuniformen zu martialisch aufträten.

25-jähriger Schwarzer in Los Angeles erschossen

Das US-Justizministerium kündigte aufgrund der "außergewöhnlichen Umstände" des Falls Michael Brown an, dass nach den Behörden von Missouri nun auch zusätzlich Experten der Bundesebene eine Autopsie vornehmen sollen. Es wäre die dritte Untersuchung dieser Art, da Browns Eltern ebenfalls eine eigene forensische Analyse bei dem Pathologen Michael Baden in Auftrag gaben, der bereits im OJ-Simpson-Prozess als Gutachter auftrat und auch bei den Untersuchungen zum Mord an US-Präsident John F. Kennedy zu Rate gezogen wurde. Dieser kam nach einem Bericht der New York Times zu dem Schluss, dass Brown von mindestens sechs Kugeln getötet wurde. Zwei Projektile hätten den Kopf und vier den rechten Arm des 18-Jährigen getroffen.

Was die Empörung in Ferguson zusätzlich verstärkt: Zwei Tage nach Browns Tod wurde auch in Los Angeles ein Schwarzer von der Polizei erschossen. Nach Darstellung seiner Familie leistete der 25-Jährige, der an einer psychischen Erkrankung gelitten haben soll, keinen Widerstand gegen die Beamten. Die Polizei erklärte dagegen, er habe versucht, einem Polizisten die Dienstwaffe zu entreißen. Gegen den Vorfall protestierten vor dem Sitz der Polizei in Los Angeles etwa 500 Menschen. Bislang friedlich.

In Ferguson hingegen haben Johnson und seine Mitarbeiter ihre Atemschutzmasken längst wieder angelegt.

#IfTheyGunnedMeDown zu Michael Brown
:Was, wenn er Anzug getragen hätte?

Wäre Michael Brown auch erschossen worden, wenn er weiß gewesen wäre? Oder ein Sakko getragen hätte? Sicher nicht, glauben Hunderte Afroamerikaner - und twittern eindrucksvolle Fotos, um ihre Zweifel zu belegen.

Von Violetta Simon

Mit Material von AFP und dpa

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