SZ-Kolumne "Bester Dinge":Ruf mich an!

Mit Schnur, Hörer und Wählscheibe: das antike W48-Telefon. (Foto: Markus W. Lambrecht/mauritius images/Alamy)

Die Deutschen nutzen das gute alte Festnetz wieder mehr. Kein Wunder: Wer hat schon Lust auf die Dauerberieselung durch digitale Sirenen?

Von Martin Zips

Dass das Festnetz dieser Tage eine Renaissance erlebt, mag für viele überraschend klingen. Laut der Umfrage eines sogenannten Vergleichsportals stieg der Anteil jener Deutschen, die gerade wieder eher durchs Kabel und nicht durch die Luft telefonieren, die also über einen stationären Anschluss verfügen, zwischen 2021 und 2022 von 73 auf 81 Prozent. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass die vor der Pandemie noch ungeheuer freie, ungebundene und coole Freiluft-Kommunikation bei manchen Endverbrauchern flugzeugähnliche Turbulenzen verursacht hat. Eine geerdete Leitung gibt da vielen neuen Halt.

Das permanente Abfragen von Profilbildern, Okcupid-Matches oder Insta-Reels kann bei der Findung des inneren Gleichgewichts eben manchmal auch recht lästig sein. Nur noch diese eine Sprachnachricht anhören! Nur diese letzte Mitteilung beantworten! Nur noch sich dies und das aufs Display wischen! Da wirkt die Benutzung eines bodenständig verkabelten Anschlusses wie ein Odysseus'scher Akt der freiwilligen Selbstfesselung. Denn so ein analoges Wählscheibentelefon kann schon ein sehr probates Mittel im Kampf gegen digitale Sirenen sein.

Und so gelangt das Gefühl von Ruhe und Zufriedenheit in unser aller Leben zurück. Eine Ruhe, wie sie dereinst der Dichter Pablo Neruda auf seiner einsamen Liparischen Insel fand: "Ich bekenne, ich habe gelebt." Man sollte also sehr rasch zugreifen, solange es noch den guten alten Bakelit-Apparat W48 für nur 42,70 Euro zu kaufen gibt. Auf Ebay übrigens. Komm schon, einmal wischen, das geht schon noch!

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