Straßenverkehr:Hausmeister der Straße

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Nicht ganz linientreu: Selbstgemalter Zebrastreifen in der Nähe einer Schule in Niepars bei Stralsund. (Foto: Polizei Stralsund)

Es gibt Menschen, die greifen gern in die Architektur des Straßenverkehrs ein. Sie verteilen Knöllchen, bauen Blitzer auf - und malen Zebrastreifen selbst. Warum tun sie das bloß?

Von Marcel Laskus

Die Täter müssen über Nacht gekommen sein, mit Farbeimern in den Händen und der Gewissheit, jetzt das Richtige zu tun. Fest steht: Im Örtchen Niepars bei Stralsund befand sich am Sonntagmorgen auf der Landstraße ein nagelneuer Zebrastreifen. Wer schon mal einen echten Zebrastreifen gesehen hat, dem muss zwar recht schnell klargeworden sein, dass hier nicht Profis malerten. Aber fehlende Linientreue schützt vor Strafe nicht, und so liegt nun der Verdacht auf einen "gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr" vor, wie die Polizei mitteilt. Die mögliche Strafe: bis zu fünf Jahre Haft.

Dass es so weit kommen wird, ist unwahrscheinlich. Falls aber doch, ist davon auszugehen, dass sich Hunderte, vielleicht auch Tausende mit den Hausmeistern der Straße solidarisch erklären könnten. Denn der irgendwie ehrenamtlich gemeinte Eingriff in die Architektur des Straßenverkehrs hat in Deutschland seine Gründe, allen voran den Fokus der Verkehrsplaner auf das Fortbewegungsmittel Auto. Und er hat viele Anhänger. Der Zebrastreifen ist da nur der zuletzt bekannt gewordene Vorfall.

Die unbekannten Täter von Niepars haben es vermutlich gut gemeint, immerhin malten sie die weißen Streifen direkt vor eine Schule. Aber irgendwie gut meinen es ja auch die anderen. Ein von der Presse "Knöllchen-Horst" genannter Mann ist 2008 bundesweit bekannt geworden, als er einen Rettungshubschrauber im Einsatz wegen Falschparkens anzeigte. Und das war nur seine berühmteste Tat. Mit scheinbar endlos viel Zeit ausgestattet soll er in seinem Wohnort Osterode tausendfach Knöllchen an Autofahrer verteilt haben. 2013 dann hat ihn ein Gericht wegen seiner "denunziatorischen Tätigkeit" verurteilt.

"Hauen Sie ab! Das ist kein Dauerparkplatz"

Skurril mag das klingen, und doch ist es nur menschlich. Der viel zu früh gestorbene Kulturanthropologe David Graeber schrieb 2018 über sogenannte "Bullshitjobs" ein gleichnamiges Buch und meinte damit Tätigkeiten, die überflüssig sind, weil ihnen der Sinn fehlt und sie keine Genugtuung bringen. Mit fatalen Folgen. Er schrieb: "Ein Mensch, der in der Welt keine sinnvolle Wirkung erzielen kann, hört auf zu existieren."

Selbstjustiz im Straßenverkehr auszuüben, ist noch kein Job. Ohnehin kann sie auch keine Wirkung im engeren Sinne erzielen, weil sie schnell rückgängig gemacht wird, sobald das echte Ordnungsamt anrückt. So wurden auch die weißen Streifen bald fachmännisch in Asphaltschwarz überpinselt. Aber wer mit erhobenem Zeigefinger in eine von Saharastaub verdreckte Autoscheibe "Hauen Sie ab! Das ist kein Dauerparkplatz!" schreibt, der wird schon ahnen, was das beim Besitzer des Autos auslöst. Entsetzen möglicherweise, oder Trotz, vielleicht auch einen Lachanfall. Auch das ist eine Form von Selbstwirksamkeit.

Andere sind so sehr strapaziert von den Verkehrsteilnehmern in ihrem Umfeld, dass sie sogar handwerklich aktiv werden. In Markdorf am Bodensee hat ein Mann im Jahr 2017 eine Regenrinne so umgebaut, dass sie wie ein Blitzer aussehen sollte. Es gelang: Manche Autos fuhren langsamer über die Straße, andere hupten vor Wut. Nur ein weiterer sehr spezieller Fall, so wie Knöllchen-Horst? Nein. In Onlineshops finden sich ohne aufwändige Suche allerlei Aufkleber, die zum Beispiel 7,99 Euro im 30er-Pack kosten und auf denen steht: "Ich parke wie ein Vollidiot."

Ein anderer Anbieter verkauft Postkarten, auf denen er auf eine direktere Ansprache setzt: "Du parkst scheiße." 4,8 von 5 Sternen erhält das Produkt von den bisher hundert Rezensenten. Ein überzeugter Kunde schreibt etwa: "Netter Gag, um dem Frust kurz Luft zum (sic!) machen." Schon klar, niemand mag Querulanten. Aber Querulanten, die sich auch mal über etwas freuen, sind immerhin ein bisschen weniger nervig.

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