Guide Michelin:Wer bezahlt für die Gastro-Sterne?

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Werden auch in Österreich bald wieder landesweit Michelin-Sterne verliehen? (Foto: Benoit Doppagne/AFP)

Der Guide Michelin soll nach 15 Jahren Pause wieder in Österreich erscheinen - gefördert mit Steuergeld. Die prestigeträchtige Marketing-Maßnahme für die Spitzengastronomie schmeckt allerdings nicht allen.

Von Titus Arnu

Geschmacksnerven und Nationalstolz stehen in Österreich in einem engen Zusammenhang. Wehe, es wagt jemand, Wiener Schnitzel, Grießnockerlsuppe oder Kaiserschmarrn zu kritisieren. Dann mutieren die gastfreundlichen Österreicher schnell zu beleidigten Leberwürsten. Als zum Beispiel im Jahr 2022 die auf traditionelle Gerichte spezialisierte Website " tasteatlas" die österreichische Küche im weltweiten Vergleich nur auf Platz 33 setzte, hinter Deutschland und England, hagelte es auf Social Media böse Kommentare ("Die das Ranking gemacht haben, arbeiten wahrscheinlich bei McDonald's", "Wir kochen besser als unsere deutschen Nachbarn: Schnitzel mit Tunke? Was soll denn das?").

Aber nicht nur Tadel kränkt den Nationalstolz, falsch vorgebrachtes Lob ist fast ebenso schlimm. Der Betreiber des für seine gigantischen Portionen bekannten XXL-Restaurants Leopoldauer Alm in Wien, Christian Pircher, drohte den Deutschen mit einer Watschn, falls sie nach dem XXL-Schnitzel das Wort "lecker" in den Mund nähmen. "Lecker sogt ma ned. Das gilt als Ehrbeleidigung", wetterte der XXL-Chef im Februar auf der Facebookseite des Restaurants, wer trotzdem herumleckere, riskiere, dass die "Birne wackelt".

Und was ist, wenn weder kritisiert noch gelobt wird? Auch nicht recht. Als im Jahr 2009 der Gourmetführer Michelin, die rote Bibel der Gastronomieszene, seine Österreich-Ausgabe einstellte, weil es sich für den französischen Herausgeber wirtschaftlich offensichtlich nicht lohnte, fielen unter Spitzengastronomen Wörter wie "Dolchstoßlegende" oder "Kulturwatsch'n". Danach wurden nur noch ausgewählte Lokale in Wien und Salzburg getestet, die im "Guide Michelin Main Cities of Europe" geführt wurden, der aber mittlerweile auch eingestellt ist. Und dann gibt es seltsamerweise noch ein paar von Michelin bewertete Gasthäuser im Kleinwalsertal, das politisch zu Österreich gehört, aber mit dem Auto nur von Deutschland aus zu erreichen ist.

Was bringen Michelin-Sterne heutzutage überhaupt noch?

Nun brodelt es in der gastronomischen Gerüchteküche, nachdem bekannt wurde, dass der renommierte Restaurantführer ab 2024 wieder in Österreich in gedruckter Form erscheinen soll - gefördert mit Steuergeld. "Im Moment führen wir Gespräche mit öffentlichen Partnern über mögliche kommende Aktivitäten in Österreich", bestätigt das Pressebüro von Guide Michelin in Clermont-Ferrand. Über die öffentliche Förderung schweigt sich der geheimniskrämerische Guide Michelin aus: "Aus Wettbewerbsgründen können wir nicht über die kommerziellen Bedingungen unserer Verhandlungen oder Partnerschaften sprechen." Die Spitzengastronomie freut sich.

Bewertungsportale wie Tripadvisor, Foursquare und Yelp haben zwar längst mehr Einfluss auf den kommerziellen Erfolg von Lokalen als klassische Gourmet-Führer. Doch die Michelin-Sterne haben immer noch eine große Strahlkraft. Für das potenzielle Publikum von XXL-Wirten, dem die Größe von Fleischlappen und niedrige Preise wichtiger sind als die Qualität der Zutaten und die Kreativität des Küchenchefs, mögen sie null Relevanz haben, für zahlungskräftige Feinschmecker und reiche Touristen aus Asien, den USA und den Golfstaaten dagegen schon. Gerade in Fünf-Sterne-Hotels, die auf internationale Gäste setzen, spielen Restaurants mit Michelin-Sternen und Gault-Millau-Hauben noch eine Rolle, vor allem als Marketinginstrument.

Allerdings ist die Sterne-Gastronomie ein sehr teures Unterfangen, und auch der Guide Michelin will mitverdienen. Nach Angaben des französischen Reifenherstellers, der einen Jahresumsatz von 28 Milliarden ausweist, beschäftigt der Guide Michelin in Europa für die Restaurant- und Hotelführer mehr als 80 anonym auftretende Kritiker, die grenzüberschreitend eingesetzt werden. Bewertungskriterien sind die gleichbleibende Qualität der Zutaten und deren Frische, ihre fachgerechte Zubereitung, die Harmonie der geschmacklichen Verbindung sowie die Innovation und Einzigartigkeit der Gerichte, die sich in Kreativität und persönlicher Note widerspiegelt.

Wenn ein kleineres Land wie Slowenien, Kroatien oder Österreich möchte, dass Michelin wieder seine Sterne unter den Top-Köchen verteilt, lässt sich der Reifen- und Reisekonzern das teuer bezahlen, nach Schätzungen von Branchenkennern mit bis zu einer Million Euro pro Jahr.

"Ein Lotto-Sechser für die Tourismuswirtschaft"

Der Tourismusausschuss des österreichischen Parlaments hat kürzlich einen Antrag bearbeitet, in dem es darum geht, öffentliches Geld für die Michelin-Sterne auszugeben. Das Fachmedium Kalk&Kegel hatte zuvor fleißig Lobbyarbeit betrieben und 20 000 Unterschriften von Menschen aus Gastronomie und Hotellerie gesammelt. "Ein Lotto-Sechser für die Tourismuswirtschaft", freut sich Michael Pöcheim-Pech, Herausgeber von Kalk&Kegel, der auf ein geschätztes "Nächtigungs-Plus von rund 16 Prozent" und auf "Mehreinnahmen im Tourismus von etwa 48 Millionen Euro pro Jahr" verweist.

Bei konkurrierenden Gourmet-Führern wie Gault & Millau und Falstaff ist angesichts der Neuigkeiten ein gewisser Futterneid ausgebrochen. "Für Köche ist der Michelin-Stern die wichtigste Währung", sagt Wolfgang Rosam, Herausgeber von Falstaff, "was aber gar nicht geht, ist, dass die österreichische Politik den Milliardenkonzern Michelin einseitig in Millionenhöhe fördert und die Guides im eigenen Land nicht." Das verstoße gegen jede Gleichbehandlung und sei gegenüber den bereits bestehenden Guides "extrem unfair".

Wie objektiv kann ein mit Tourismus-Förderung finanzierter Restaurantführer überhaupt sein? Befürchtungen, die "Partnerschaft mit öffentlichen Behörden und lokalen Tourismusbehörden" könne zu tendenzösen Bewertungen führen, weist Michelin kategorisch zurück: "Alle vorgestellten Reiseziele werden nach dem alleinigen Ermessen des Guide Michelin aufgrund ihres kulinarischen Potenzials und ihrer Reife ausgewählt, und die Inspektoren bleiben in ihrem Auswahlverfahren völlig unabhängig." Na dann: Mahlzeit!

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