Schweden:Drei Tote in einer Nacht

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Mitten in der Nacht explodierte in einem Vorort von Uppsala eine Sprengladung, die so stark war, dass zwei Häuser komplett zerstört wurden. Eine junge Frau starb. Hier ein Polizist am Tatort. (Foto: Anders Wiklund/AFP)

Der Bandenkrieg auf Schwedens Straßen eskaliert. Der Drahtzieher der Gewalt sitzt in der Türkei und schickt von dort aus seine Befehle. Nun will der Premierminister das Militär zur Bekämpfung der Kriminellen einbinden.

Von Alex Rühle, Stockholm

Mittwochabend um 18.45, in Mälarhojden, einem beschaulichen Vorort im Süden von Stockholm. Auf der weitläufigen Sportanlage hatten gerade mehrere Jugendteams Training, als aus einem vorbeifahrenden Toyota das Feuer eröffnet wurde; ein 18-Jähriger starb. Um Mitternacht kam im Vorort Jordbro wiederum ein 18-Jähriger bei einer Schießerei um, zwei Männer wurden verletzt. Nachts um vier explodierte dann in einem Vorort von Uppsala eine Sprengladung, die so stark war, dass zwei Häuser komplett zerstört wurden. Eine junge Frau starb.

Die Nachrichten über Schießereien, Tote und sonstige Bandengewalt bilden in Schweden ein derart permanentes Hintergrundrauschen, das man es, ähnlich wie bei einem Tinnitus, irgendwann ausblendet. Aber drei Tote in einer Nacht, dazu die Verwüstungsbilder aus Uppsala, die eher an Bürgerkriegsszenen erinnern als an rivalisierende Drogenclans - "Die letzten 24 Stunden übersteigen das Schlimmste, was man sich in einer anständigen Gesellschaft vorstellen kann", sagte Justizminister Gunnar Strömmer am Donnerstagmorgen. Am Abend kündigte Premierminister Ulf Kristersson an, er werde nun das Militär zur Bekämpfung der Banden einbinden.

Jugendlichen bieten ihre Dienste als Mörder an

Grund für die heftige Eskalation ist ein Dreifrontenkrieg zwischen rivalisierenden Drogengangs, in dessen Zentrum Rawa Majid steht, der in Schweden unter seinem selbst gewählten Spitznamen "kurdischer Fuchs" mittlerweile bekannter ist als jeder Popstar. Der Vergleich mag zynisch klingen, aber ein Polizist aus Järva sagte am Donnerstag im Fernsehen, er wisse von vielen Kindern und Jugendlichen, die den Banden ihre Dienste als Mörder anböten, schließlich stärke so ein Attentat innerhalb dieser Gruppen den Status enorm.

Majid war in Uppsala in den Drogenhandel involviert. Nach einer langjährigen Gefängnisstrafe verschwand er 2018 aus Schweden, erst in den Irak, später in die Türkei, wo er sich als Reeder ausgab und so die türkische Staatsbürgerschaft erwarb. Seither soll er von dort aus seine mörderischen Anweisungen geben oder gleich ganze Todeslisten verschicken. Die Türkei weigert sich, ihn auszuliefern, obwohl er mittlerweile auch von Interpol gesucht wird.

Es geht bei den Attentaten einerseits um die üblichen Verteilungskämpfe zwischen Drogenkartellen, andererseits scheint eine interne Rachedynamik immer weiter zu eskalieren: Ismail Abdo, einer seiner ehemaligen Kumpane, hat sich von Majids sogenannter "Foxtrot"-Vereinigung getrennt und eine eigene Gang gegründet. Anfang September wurde dann Abdos Mutter erschossen. Kurz darauf wurde ein Haus in Stenhagen beschossen, in dessen Nähe Majids Schwiegermutter lebt. Anscheinend hatten die Attentäter die falsche Adresse, was typisch ist.

Laut der Tageszeitung Dagens Nyheter waren allein in diesem Jahr weit über 100 Außenstehende von der Gewalt betroffen, sei es, dass ihre Hausfassaden beschossen oder mit Sprengsätzen beworfen wurden, sei es, dass sie bei Schießereien aus Versehen verletzt oder getötet wurden. Auch die 25-Jährige, die in Uppsala starb, hatte wohl nichts mit den Gangs zu tun. Allein im September starben elf Menschen, darunter auch ein 13-jähriger Junge. Anders Thornberg, Chef der schwedischen Polizei, sprach davon, dass gezielt 13- und 14-Jährige mit Mordaufträgen losgeschickt werden, weil sie noch nicht strafmündig seien.

Magnus Jacobsson, der für die Christdemokraten im Reichstag sitzt, twitterte am Donnerstagnachmittag: "Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir, die wir in der Politik auf der rechten Seite stehen, uns für die Rhetorik entschuldigen, die wir in der Vergangenheit verwendet haben, und demütig alle Parteien, Behörden, betroffenen Gemeinden und Forscher zu einem bescheidenen Gespräch darüber einladen, was wir gemeinsam tun können, um das Töten zu beenden."

Jacobsson bezog sich dabei auf die jahrelangen Schuldzuweisungen der konservativen Parteien den Sozialdemokraten gegenüber, die darauf hinauslaufen, dass man zu lange weggeschaut habe und dadurch die Banden erst ihre Macht gewinnen konnten. Ein Stockholmer Polizist fasste die Stimmung vieler Schweden in seinem Antwort-Tweet gut zusammen: "Das ist der absolut richtige Ansatz. Ich finde es so furchtbar ermüdend mit den sinnlosen Anschuldigungen, wer politisch schuld ist, die beide Seiten erheben. Konzentrieren Sie sich bitte auf Lösungen!" Auch die Polizeigewerkschaft rief wiederholt die Parteien dazu auf, sie mögen endlich aufhören mit ihren Positionierungen. "Im Allgemeinen reden Sie darüber, was die anderen nicht getan haben. Damit kommen wir nicht weiter", sagte eine Sprecherin der Gewerkschaft schon im Sommer.

Premierminister Kristersson kündigte unbeeindruckt davon härtere Strafen, auch bei Waffendelikten und bei Sprengstoffdelikten, sowie erweiterte Befugnisse der Polizei an. Außerdem versprach er, sich mit dem Chef der Landespolizei und dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu treffen, "um zu sehen, wie die Streitkräfte die Polizei bei ihrer Arbeit gegen die kriminellen Banden unterstützen können". Einen ähnlichen Schritt hatten zuvor sowohl die rechtspopulistischen Schwedendemokraten als auch die Sozialdemokraten ins Spiel gebracht.

Von einer parteiübergreifenden Ansprache an die gesamte Bevölkerung konnte aber keine Rede sein. Eher hatte es den Anschein, als wollte Kristersson, der Vorsitzende der liberal-konservativen Moderaten ist, bei den Stammwählern der xenophoben Schwedendemokraten punkten, als er die langjährige "unverantwortliche Einwanderungspolitik" anprangerte und damit Jimmie Åkesson, den mächtigen Vorsitzenden der Schwedendemokraten zitierte.

Die Frage ist nun, inwieweit das Militär der Polizei bei deren Arbeit helfen könnte. Anders Thornberg, der Chef der schwedischen Polizei, betonte am Freitag, es gehe nicht darum, die Streitkräfte mit direkten Aufgaben zur Verbrechensbekämpfung vor Ort einzusetzen. Vielmehr hoffe man auf Unterstützung der Polizei bei Überwachungsmissionen und Hilfe bei Logistik, Fahrzeugen und Ausrüstung.

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