Rheinland-Pfalz:Mögliches Mordmotiv: beim Wildern erwischt

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Kerzen und Blumen vor dem Gebäude des Polizeipräsidiums Westpfalz und der Polizeiinspektion Kusel. (Foto: Thomas Frey/dpa)

Nach den tödlichen Schüssen auf zwei Polizisten bei Kusel erlässt ein Richter gegen die Verdächtigen Haftbefehl wegen gemeinschaftlichen Mordes. Die beiden Getöteten suchten eigentlich einen Einbrecher.

Von Oliver Klasen und Kassian Stroh

Einen Tag nach den tödlichen Schüssen auf zwei junge Polizisten in der Pfalz ist gegen die beiden Tatverdächtigen Haftbefehl erlassen worden. Gegen sie werde wegen Jagdwilderei und gemeinschaftlichen Mordes ermittelt, teilte die zuständige Staatsanwaltschaft mit. Im saarländischen Sulzbach wurden am Montagabend ein 38-Jähriger und ein 32-Jähriger festgenommen. Die Ermittler gehen davon aus, dass beide auf die Polizisten geschossen haben.

Zudem hat die Polizei offenbar ein großes Arsenal an Waffen sichergestellt, die sie bei mehreren Hausdurchsuchungen fand. Vermutlich seien auch die Tatwaffen darunter. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete von fünf Kurzwaffen, einem Repetiergewehr, zehn weiteren Langwaffen, einer Armbrust sowie einem Schalldämpfer und Munition.

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Was über die Tat bekannt ist

Die Tat sei noch nicht ganz rekonstruiert, teilten die Ermittler bei einer Pressekonferenz mit. Klar ist: Einer Polizeianwärterin und einem Oberkommissar wurde am Montag gegen 4.20 Uhr bei einer Kontrolle bei Kusel, nahe der Grenze zum Saarland, in den Kopf geschossen. Die Frau wurde wohl mit einem Schuss aus einer Schrotflinte getötet, der Mann mit vier Schüssen aus einem Jagdgewehr.

Nach Angaben der Ermittler hatten die beiden Polizisten an einer Kreisstraße einen Kastenwagen kontrolliert. Sie setzten noch während der Kontrolle einen Funkruf ab, dass geschossen werde. Auch der Polizist zog seine Waffe und schoss 14 Mal zurück - bis auch er getroffen wurde. Etwa zehn Minuten später kam am Tatort Verstärkung an. Die Beamten fanden ihre Kollegin tot vor ihrem Polizei-Zivilfahrzeug, den Kollegen schwer verletzt und nicht mehr ansprechbar dahinter in einer Böschung.

Das mögliche Motiv

Durch einen Funkspruch wissen die Ermittler, dass die beiden Polizisten in dem Kastenwagen viele tote Wildtiere entdeckt hatten. Sie vermuten, dass die beiden Verdächtigen die Polizisten töteten, um zu verdecken, dass sie gewildert hatten. Damit sei das Mordmerkmal der Verdeckung einer anderen Straftat erfüllt.

Die beiden Verdächtigen

Der 38 Jahre alte Wildhändler aus dem Saarland ist nicht rechtskräftig vorbestraft, der Polizei aber wegen diverser Ermittlungen bekannt - wegen Jagdwilderei und einer Fahrerflucht, wie am Dienstag mitgeteilt wurde. Laut Staatsanwaltschaft hat er sich zur Sache bisher nicht geäußert. Der Deutsche Jagdverband erklärte, der 38-Jährige sei nicht im Besitz eines gültigen Jagdscheins gewesen. Nach derzeitigem Kenntnisstand habe die zuständige Behörde im Saarland seinen Antrag, erneut einen Jagdschein zu lösen, wegen fehlender Zuverlässigkeit abgelehnt. Wie die Saarbrücker Zeitung berichtet, soll der 38-Jährige nicht nur Jäger gewesen sein, sondern auch Mitglied in einem Schützenverein. Demnach sei er ein guter Schütze gewesen und versiert im Umgang mit Waffen. Die Ermittler auf der Presskonferenz sprachen von wirtschaftlichen Problemen, die der Mann gehabt habe. Er habe von seiner Familie getrennt gelebt. Gegen den 38-Jährigen lief im Saarland ein Verfahren wegen möglicher Insolvenzverschleppung. Es gebe außerdem Hinweise darauf, dass die Wilderei möglicherweise in gewerblicher Form betrieben worden sei.

Der 32-Jährige wiederum habe bei den Vernehmungen eingeräumt, gewildert zu haben, auch die Schießerei habe er bestätigt, teilte die Polizei mit. Er habe aber bestritten, selbst geschossen zu haben. Wegen Betrugsdelikten sei er bereits auffällig geworden, allerdings nicht wegen Gewaltdelikten. Die Ermittler gehen inzwischen davon aus, dass es keine weiteren Tatverdächtigen gibt. Über politische Hintergründe der Tat, etwa über Verbindungen zur sogenannten Reichsbürger-Szene, gebe es "keinerlei Erkenntnisse".

Die Fahndung

Am Tatort fanden Ermittler den Führerschein und den Personalausweis des 38-jährigen Saarländers; nach ihm wurde am Montag schließlich auch öffentlich mit Bild gefahndet. Laut Polizei wurde er vor dem Wohnhaus des 32-Jährigen im saarländischen Sulzbach festgenommen. Auf dieses war sie aufmerksam geworden, weil davor ein Wagen mit Einschusslöchern stand. Die Polizei hatte mehrere Adressen und Fahrzeuge überprüft, die sich mit dem 38-Jährigen in Verbindung bringen ließen. Selbst hatte er keine Fahrzeuge angemeldet. Er wurde nach Angaben der Ermittler gefasst, als er das Haus verließ.

Danach durchsuchte die Polizei das Haus, fand dort den 32-Jährigen und nahm ihn ebenfalls fest. In beiden Fällen geschah dies laut Polizei ohne Widerstand. Beide wurden am Dienstagvormittag einem Richter vorgeführt, der einen Haftbefehl gegen sie erließ.

Der Polizeieinsatz in der Nacht

Der Tatort nahe der Kreisstadt Kusel ist sehr ländlich gelegen, eine größere Polizeipräsenz dort ist eher ungewöhnlich. Dennoch waren in jener Nacht zwischen den Orten Ulmet und Blaubach gleich drei Polizeifahrzeuge unterwegs, ein Zivilwagen und zwei Streifen. Die Beamten, erklärt Ermittlungsleiter Heiner Schmolzi, seien in jener Nacht auf der Suche nach einem Einbrecher gewesen. Ihr Einsatz habe zunächst nichts mit den beiden nun festgenommenen Männern zu tun gehabt. Während dieser Ermittlungen wurden die Polizistin und ihr Kollege in dem Zivilfahrzeug offenbar auf das Fahrzeug der beiden Saarländer aufmerksam, das sie dann kontrollierten, woraufhin die Schüsse fielen.

Die toten Polizisten

Die 24 Jahre alte Frau war noch in der Ausbildung. Sie studierte an der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz, machte ein Praktikum in der Polizeiinspektion Kusel und stand kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung. Ihr 29-jähriger Kollege war Polizeioberkommissar. Beide stammen aus dem Saarland.

Die Anteilnahme für die Polizei

Bereits kurz nach der Tat zeigten sich Politiker und Vertreter der Polizeigewerkschaften geschockt von der Tat und bekundeten ihre Anteilnahme. "Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen der beiden jungen Opfer. Und ich denke an die vielen Polizist*innen, die jeden Tag ihr Leben riskieren, um uns Bürger*innen zu schützen", twitterte etwa Bundeskanzler Scholz. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ordnete Trauerbeflaggung für das Land an, auch im Saarland wurden die Flaggen auf halbmast gesetzt. In vielen Bundesländern hängt Trauerflor an den Streifenwagen der Polizei.

Dass zwei Männer völlig unerwartet zu schießen beginnen und aus einem vergleichsweise nichtig erscheinenden Grund - dass sie beim Wildern erwischt wurden - töten, "das passt nicht zu unserer Vorstellung von Deutschland", sagte der leitende Oberstaatsanwalt Udo Gehring. Die Polizei in Kaiserslautern, so berichtete es Polizeipräsident Michael Denne, habe eine "Welle der Solidarität" erfahren. Privatpersonen aus dem ganzen Land hätten sich gemeldet und ihr Mitgefühl zum Ausdruck gebracht. "Wir sind schockiert und zutiefst ersetzt über diese Tat. Und wir sind in Gedanken bei den Familien", sagte Denne.

Der Tod der beiden sei allen Kolleginnen und Kollegen sehr nahe gegangen. Er habe am Morgen die Mutter eines der beiden Opfer besucht. "Man hat da schon Tränen in den Augen", sagte Denne. Er habe den getöteten Beamten persönlich gekannt, es sei ein sehr sympathischer Kollege gewesen.

Die Lehren aus dem Fall

Bei der Pressekonferenz wird Ermittlungsleiter Schmolzi gefragt, ob die Polizei ihre Vorgaben oder Konzepte für Kontrolleinsätze wie diesen ändern müsse. Nein, sagt der stellvertretende Polizeipräsident. "Da ist nichts falsch gemacht worden." Eine solche Tat sei ein "ganz seltenes Ereignis", 50 Jahre liege es zurück, dass im Zuständigkeitsbereich seines Präsidiums ein Polizist erschossen worden sei. "Wir können das, glaube ich, nicht verhindern", sagte Schmolzi. Die beiden Polizisten trugen Schutzwesten - getötet wurden sie durch Schüsse in den Kopf.

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