Prozesse - Hanau:Prozess gegen Sekten-Chefin: Junge wurde laut Zeugin gequält

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Hanau (dpa/lhe) - Im Mordprozess gegen eine Sekten-Chefin hat eine Zeugin von Misshandlungen des späteren Opfers berichtet. Der kleine Junge, der von der Anführerin im August 1988 getötet worden sein soll, sei einige Monate vorher im Badezimmer des Hauses von der Angeklagten gequält worden. Das Kind sei komplett in einen Sack eingeschnürt und zusätzlich mit einer Binde fixiert gewesen. Es habe ausgesehen wie eine Mumie, die sich auf und ab senke. Womöglich sei es geknebelt gewesen, weil kein Ton zu hören gewesen sei. "Das Bild werde ich nie aus meinem Kopf kriegen", sagte die 61 Jahre alte Zeugin, die im Jahr 1990 aus der Sekte ausstieg, am Dienstag im Prozess vor dem Hanauer Landgericht.

Kopf der Gruppe ist eine 72-Jährige Frau, die sich seit drei Wochen wegen Mordes verantworten muss. Ihr wird vorgeworfen, dass sie den Vierjährigen - das Kind eines befreundeten Paares und Mitglieder der Gruppe - ermordet habe. Sie soll ihn in einem Leinensack ersticken lassen haben. Die Angeklagte soll den Jungen laut Anklage als "von den Dunklen besessen" angesehen haben. Die Frau bestreitet die Vorwürfe. Die Polizei ging damals davon aus, dass der Junge an Erbrochenem erstickte - ein Unglücksfall ohne Fremdeinwirkung.

Kurz nach der Szene im Badezimmer sei die Zeugin von der nun Angeklagten auf ihre Beobachtungen angesprochen worden. Die Sektenchefin habe ihr gesagt: Der Junge solle genauso daliegen, so sei es richtig. Nach Angaben der Zeugin wurde der Junge gequält und beschimpft. Die Sekten-Chefin habe ihn eine "Reinkarnation Hitlers" genannt. Gott habe sie ermächtigt, mit ihm "umzugehen". Der wiedergeborene Hitler habe bei ihr die Chance bekommen, sich zu ändern, habe die Sekten-Chefin erklärt.

Laut Aussagen der Zeugin am Dienstag wurde der Junge gezwungen, zur Verrichtung seiner Notdurft quälend lange auf dem Töpfchen zu sitzen. Er habe bereits Hornhaut am Gesäß gehabt. Zudem habe er mit dem Gesicht zur Wand sitzen müssen, weil er ein "dreckiger Schauaffe" gewesen sei, wie ihn die Sekten-Chefin genannt habe. Alles, was der Junge gemacht habe, habe er aus Bosheit getan, habe die Anführerin gesagt.

Die Zeugin sagte, sie sei durch eine Freundin in die Gruppe gekommen und habe nach Gotteserfahrungen gesucht. Sie sei fasziniert gewesen von der Idee, dass Gott durch Träume spreche. Zu Beginn sei alles relativ harmlos gewesen, doch nach und nach sei "der Strick" zugezogen worden, beschrieb sie das Klima in der Gruppe. Sie sei bei der Anführerin in Ungnade gefallen und beleidigt und erniedrigt worden; so sehr, dass sie schließlich über Suizid nachgedacht habe.

Die Glaubensgemeinschaft gibt es seit Anfang der 1980er Jahre in Hanau. Im Zentrum steht die nun angeklagte 72-Jährige, eine gelernte Krankenschwester. Ihre Träume, in denen ihr zufolge Gott zu ihr spricht, sind Grundlage für Glauben und Leben innerhalb der Gruppe. Der vierjährige Junge war laut Zeugenaussagen nicht das einzige Kind, dass dort misshandelt wurde.

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