Prozess:Wie skrupellos ist Sergej W.?

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Der 28-Jährige soll den Anschlag auf den Bus von Borussia Dortmund verübt und zuvor auf den Absturz der BVB-Aktie gewettet haben. Der Prozess beginnt lebhaft - und die Verteidigung wünscht sich mehr "Entlastendes".

Von Annette Ramelsberger, Dortmund

So spricht ein Mann, der sich seiner Sache sehr sicher ist. Oberstaatsanwalt Carsten Dombert setzt sich in Positur, blickt nur kurz zur Verteidigung, zum Angeklagten, diesem dünnen, bleichen Kerl, eher Hemd als Mann, fast unsichtbar zwischen seinen Verteidigern. Dann legt der Staatsanwalt los. Die Verteidigung habe bemängelt, dass er nur Belastendes gegen den Angeklagten ermittelt habe und nichts Entlastendes. Staatsanwalt Dombert lacht spöttisch auf. "Ich hätte sehr gerne entlastende Umstände ermittelt, aber es gab keine entlastenden Umstände, die wir in der Anklage hätten niederlegen können."

Dombert richtet sich nun an die Zuschauer im Saal. Er verstehe ja, dass die Verteidigung verärgert sei über die dichte Indizienkette gegen den Angeklagten. Aber das, was sie nun aufführe, sei "unsäglich und zynisch". Da geht der Richter erstmals dazwischen und mahnt zur Sachlichkeit. Es wird nicht das letzte Mal sein.

Am ersten Tag geht es gleich recht lebhaft los im Prozess gegen den Mann, der angeklagt ist, am 11. April 2017 den Anschlag auf den Mannschaftsbus des Fußballvereins Borussia Dortmund (BVB) verübt zu haben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 28 Jahre alten Russlanddeutschen aus Schwaben 28-fachen Mordversuch vor: an den Spielern des BVB, die damals im Bus saßen, an Physiotherapeuten und Trainern, und am Busfahrer. Auch ein Polizist, der den Bus auf dem Motorrad eskortierte, erlitt ein Knalltrauma.

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:"Es liegt nahe, dass der Bus gar nicht getroffen werden sollte"

Sergej W. steht wegen des Anschlags auf den BVB-Bus im April vor Gericht. Sein Verteidiger erklärt am Ende des ersten Verhandlungstages, von einem gezielten Attentat könne nicht die Rede sein. Der Angeklagte selbst schweigt.

Dass dieser Prozess nicht still beginnt, war zu erwarten. Was am 11. April geschah, war nicht nur ein Anschlag auf die Borussen, er war ein Anschlag auf das Herz des Ruhrgebiets. Und dass sich dann der Verteidiger ausgerechnet am Vorabend des Prozesses in der Halbzeitpause des Spiels zwischen Borussia und Bayern München im Fernsehen äußert, das ist dann zu viel, zumindest für die Anwälte der BVB-Spieler.

Der Fußballvergleich des Anwalts kommt bei den Nebenklägern gar nicht gut an

Der Verteidiger hatte gesagt, der Angeklagte sei von Zeugen als Perfektionist geschildert worden, als absolut technikversiert. Und da soll er seine Bombe so gebaut haben, dass nur zwei der mindestens 65 Projektile aus dem Sprengsatz den Bus berührten? Das sei doch so, als stehe einer in fünf Metern Entfernung vor dem Tor und schieße nicht rein. So sprach Verteidiger Carl Heydenreich und er traf einen Nerv. Es ist der Spielvergleich, der die Nebenkläger so erzürnt. "Für unsere Spieler war das kein Spiel, sie hatten Todesangst", sagt Anwalt Ulf Haumann.

Und die Nebenklage fordert auch gleich mindestens 15 000 Euro Schmerzensgeld für Marc Bartra, den Spieler, der als einziger verletzt wurde - die Druckwelle brach ihm den Arm. Ein Projektil ist nur drei Zentimeter neben ihm in die Kopfstütze eingeschlagen. "Geschmacklos ist der Vergleich mit einem Fußballspiel", sagt der BVB-Anwalt.

Die Verteidigung legt nach. Sie fordert am ersten Tag auch, dass der Staatsanwalt abgezogen wird - weil er voreingenommen sei. Dombert sei schon vor Prozessbeginn davon ausgegangen, dass nur eine lebenslange Strafe infrage komme. Außerdem habe die Verteidigung die letzten Akten erst drei Tage vor Prozessbeginn bekommen, damit werde ihre Arbeit massiv behindert. Dass ein Staatsanwalt abgelöst wird, ist äußerst selten und auch in Dortmund nicht zu erwarten. Aber der Angriff bringt den Staatsanwalt auf Betriebstemperatur. "Mit meiner Einschätzung der Straferwartung liege ich nicht ganz so falsch", sagt er, auch die Richter bei der Haftprüfung hätten das so gesehen - "falls Sie das durchgelesen haben", ätzt er Richtung Verteidiger. Da greift der Richter zum zweiten Mal ein. "Ist ja okay. Lassen Sie uns versuchen, sachlich zu bleiben." - "Das ist doch sachlich", entgegnet Dombert. "Wenn mir unterstellt wird, dass ich tendenziös ermittle und voreingenommen bin, dann muss ich mich wehren. Ich fühle mich nicht befangen." Als ein Verteidiger antworten will, ruft er: "Nein, jetzt rede ich."

Zwischen all diesen Juristen sitzt Sergej W., der 2003 mit seinen Eltern aus Tscheljabinsk nach Deutschland kam. Eine Dolmetscherin hilft ihm, wenn er etwas nicht versteht. Er verschwindet fast, schmal, mit unbewegtem Gesicht, die blonden Haare gescheitelt, fast mädchenhaft. Er sagt kein Wort. Das soll der eiskalte Attentäter sein, der sein Wissen als Elektronikmeister laut Anklage dazu genutzt hat, um drei Bomben zu bauen und in einer Hecke am Hotel des BVB-Teams zu verstecken? Als der Mannschaftsbus die Stelle passierte, soll er sie ferngezündet haben. Aus Habgier, sagt Dombert. "Der Angeklagte hat gehandelt, um sich zu bereichern."

Die Anklage geht davon aus, dass Sergej W. mit hochriskanten Börsengeschäften auf den Absturz der BVB-Aktie gewettet hat - einen Absturz, den er selbst herbeiführen wollte. Denn, so der Staatsanwalt, wenn mehrere Spieler verletzt oder gar getötet worden wären, hätte der BVB nicht mehr an Spielen teilnehmen können und der Wert der Aktie wäre gesunken. Wenn der Kurs der BVB-Aktie von damals 5,61 Euro auf dann nur noch einen Euro gefallen wäre, hätte Sergej W. genau 506 275 Euro verdient. Mit minimalem Einsatz.

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Allerdings war einem österreichischen Börsenhändler am Tattag aufgefallen, dass in großem Stil gegen den BVB gewettet wird. Der Mann ist ausgerechnet BVB-Fan, und Fans halten zusammen. Sein Hinweis führte direkt zu Sergej W. Im Januar wird der Prozess fortgesetzt.

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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