Frankreich:Total geknickt

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Sind auch ein Sammelobjekt: Tickets aus verschiedenen Jahren. (Foto: Joel Saget/AFP)

Das ikonische Pariser Métro-Ticket aus Karton, ein kleines, aber feines Kulturgut, wird der Moderne geopfert.

Von Oliver Meiler, Paris

Es ist Zeit für etwas vorauseilende Nostalgie. Das rechteckige Pariser Métro-Ticket aus Karton verschwindet. In Etappen, aber definitiv. Es weht davon wie eine verlorene Verheißung.

Jetzt hat der Pariser Transportbetrieb RATP schon mal den Verkauf des mythischen carnet de 10 eingestellt. So hieß der kleine Stapel mit zehn Fahrkarten, der auch unter Besuchern sehr beliebt war, französischen wie ausländischen. Man kam nach Paris, löste am Schalter oder am Automaten in der Métro-Station ein carnet, so war man erst mal versorgt, tauchte ein, schwamm mit im Fluss der Stadt, getragen von ihrer wunderbaren Umtriebigkeit unter dem Boden. Und wenn man nach dem Aufenthalt wieder nach Hause fuhr, hatte man meistens noch ein paar Tickets übrig, ein kleines Kapital. Im besten Fall waren sie das Pfand für eine Rückkehr. Oder wenigstens ein Andenken.

Einzeln kann man die Fahrscheine noch eine Weile kaufen, für 2,10 Euro das Stück. Aber bald nach den Olympischen Spielen von Paris im Sommer 2024 sollen sie ganz weg sein. Die Abschaffung des carnet, schreibt eine Zeitung, ist der "Anfang vom Ende", und wenn das dramatisch klingt, dann ist das auch genau so gemeint. Das Pariser Métro-Ticket ist ein kleines, feines Kulturgut.

Serge Gainsbourg widmete den Fahrkartenknipsern ein Lied

Doch Papier, heißt es bei der RATP, sei nicht mehr zeitgemäß, nun, da man Fahrkarten auch über eine App am Handy haben kann oder auf einer Smartcard mit Chip, dem sogenannten Passe Navigo. Alles kontaktlos. Und wahrscheinlich stimmt das mit der Zeitgemäßheit ja auch. Etwas mehr als eine halbe Milliarde Fahrkarten druckte die RATP jeweils pro Jahr, das ist ein ganzer Haufen Karton. Es gab noch ein Problem: Von zehn "tickets", wie auch die Pariser sagen und dabei dem "ck" alle Härte nehmen und das "t" einfach weghauchen, entmagnetisierte sich im Durchschnitt jeweils mindestens eines, weil es in Berührung gekommen war mit Münzen oder Schlüsseln.

Und doch! Nur schon, wie es in der Hand liegt, das Pariser Métro-Ticket. Genau richtig groß: nur 6,5 auf 3 Zentimeter. Genau richtig fest, dass es in der Hosentasche nicht zerknittert, man muss es da nur von Schlüsseln und Münzen fernhalten.

Als die Métro 1900 in Betrieb genommen wurde, gab es Tickets in zwei Farben, weil es zunächst auch zwei Klassen gab: Rosa für die erste Klasse, Beige für die zweite Klasse. Damals und bis zur Automatisierung der Kontrollen saßen Knipser, poinçoinneuses und poinçonneurs, am Zugang zu den Plattformen und knipsten die Fahrkarten. Sie sollen meist übel gelaunt gewesen sein, kann man lesen. Serge Gainsbourg widmete ihnen ein Lied: "Le poinçonneur des Lilas" war sein erster Hit, er machte ihn bekannt. Mit den Drehkreuzen und den Entwertungsmaschinen wurden die Karten etwas kleiner und die Schwarzfahrer akrobatischer.

Oft wechselte das Ticket seine Farbe, es war auch mal gelb mit braunem Magnetstreifen. Das schönste aber war das jadegrüne, ab 1992. Es trug den Verlauf der Seine auf der Vorderseite. Hielt man die Karte vertikal, wurde aus der Flusslinie das Profil eines Frauengesichts. Die letzte Version, das Auslaufmodell des Pariser Métro-Tickets, ist einfach weiß, ein bisschen lustlos. Als wollte man den Wehmütigen den Abschied leichter machen.

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