Südafrika:Oscar Pistorius kommt auf Bewährung frei

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Oscar Pistorius, hier 2016 bei einer Anhörung vor Gericht, kommt im Januar aus dem Gefängnis frei. (Foto: Alon Skuy/dpa)

Als "Blade Runner" war der Sprinter mit den Prothesen berühmt geworden, dann erschoss er 2013 seine Freundin. Nun endet die Haft vorzeitig - doch die Mutter seines Opfers glaubt nicht an seine Läuterung.

Von Paul Munzinger, Kapstadt

Für ein Weihnachten zu Hause wird es für Oscar Pistorius noch nicht reichen. Und auch das neue Jahr wird der heute 37-jährige Südafrikaner im Gefängnis begrüßen, so wie die vergangenen Jahre auch. Doch wenige Tage später, am 5. Januar 2024, ist es so weit: Pistorius, der als "schnellster Mann ohne Beine" berühmt und als Mörder noch berühmter geworden war, kommt frei. Ein Bewährungsausschuss im Atteridgeville Prison nahe Pretoria bewilligte am Freitag seinen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung. Pistorius sei ein "Ersttäter", der in seinem Umfeld ein "positives Unterstützungssystem" vorfinde, hieß es zur Begründung.

Der beinamputierte Pistorius, der es mit Karbonprothesen zum international bewunderten Weltklassesprinter gebracht hatte, hatte in der Nacht auf den 14. Februar 2013 seine Freundin Reeva Steenkamp durch eine geschlossene Toilettentür in seinem Haus in Pretoria erschossen. Das oberste Berufungsgericht Südafrikas hatte ihn 2017 nach mehreren Prozessen wegen Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt.

June Steenkamp, Reevas Mutter, nahm am Freitag nicht an der Anhörung teil. Sie ließ von einem Anwalt eine Stellungnahme verlesen. Dort schreibt sie, dass sie Pistorius schon vor langer Zeit vergeben habe, weil sie anders nicht hätte überleben können. Doch seine Behauptung, er habe Reeva Steenkamp für einen Einbrecher gehalten, glaube sie nicht. Pistorius hatte in der Nacht vier Schüsse aus einer Pistole abgegeben, von denen drei das damals 29-jährige Model trafen.

June Steenkamp zitierte in ihrem Statement Nachrichten ihrer Tochter an Pistorius, die aus ihrer Sicht dessen "gewaltiges Aggressionsproblem" belegten. Die Nachrichten waren auch vor Gericht verlesen worden. "Manchmal habe ich Angst vor dir", hatte Reeva Steenkamp in einer davon geschrieben, in anderen geht es um Pistorius' Wutausbrüche. Sollte er in der Haft nicht an diesem Verhalten gearbeitet haben, so June Steenkamp, dann sei sie in Sorge um die Sicherheit jeder Frau. Von Pistorius' Läuterung sei sie nicht überzeugt. "Jemand, der keine Reue zeigt, kann nicht als geläutert angesehen werden."

Dass sie nicht zur Bewährungsanhörung kam, begründete Steenkamp mit dem Tod ihres Mannes Barry Mitte September. Derzeit könne sie die Kraft nicht aufbringen, Pistorius gegenüberzutreten. Der Verlust habe die Wunden wieder geöffnet, die der Tod ihrer Tochter verursacht habe. "Ich habe keine Zweifel", heißt es in Steenkamps Erklärung, "dass Barry an gebrochenem Herzen gestorben ist." Barry Steenkamp hatte Pistorius 2022 im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs getroffen und hinterher von "verschwendeter Zeit" gesprochen. Bei einer Bewährungsanhörung im März war er bereits zu krank gewesen, um teilzunehmen.

Der Ausschuss hatte Pistorius' Antrag auf Haftentlassung damals noch abgelehnt. Die Begründung: Er habe noch nicht die Hälfte seiner Strafe abgesessen. Das aber ist die Voraussetzung, um in Südafrika für eine Bewährung infrage zu kommen. Das Verfassungsgericht kassierte diese Entscheidung im Oktober, weil es einen früheren Termin für den Haftantritt zugrunde legte. Deshalb kam es nun zu einer neuen Anhörung.

Mehrmals geht die Staatsanwaltschaft gegen Urteile vor

Offenbar ist es selbst für die Behörden nicht ganz leicht, in diesem Fall den Überblick zu behalten. Nach einem aufsehenerregenden Prozess, über den Medien aus der ganzen Welt berichteten, wurde Pistorius 2014 zunächst zu einer Haftstrafe von fünf Jahren wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Probleme in der Beziehung wurden dabei ebenso ausgebreitet wie Pistorius' innige Beziehung zu Schusswaffen. Doch anders als June Steenkamp glaubte das Gericht ihm, dass er Reeva Steenkamp für einen Einbrecher gehalten habe. Pistorius verbrachte ein Jahr im Gefängnis, dann wurde ihm ein Wechsel in den Hausarrest gewährt.

Die Staatsanwaltschaft ging gegen das Urteil in Berufung. In einem neuen Prozess wurde Pistorius 2016 wegen Mordes verurteilt, allerdings in einer minder schweren Form, die in etwa dem deutschen Totschlag entspricht. Seine Strafe wurde aber nur um ein Jahr auf sechs Jahre erhöht - unter anderem, weil er sich bei Steenkamps Familie entschuldigt hatte und weil das Gericht ihm abnahm, dass er seine Freundin nicht töten, sondern in Wahrheit vor einem Einbrecher habe beschützen wollen. Viele Menschen in Südafrika kritisierten das Strafmaß als viel zu milde.

Wieder ging die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil vor. Und wieder hatte sie Erfolg. Das oberste Berufungsgericht erhöhte die Haftstrafe auf 15 Jahre. Das Gericht entschied, dass sich die Frage, ob Pistorius Reeva Steenkamp absichtlich oder unabsichtlich tötete, nicht abschließend klären lasse. Doch in jedem Fall hätte er wissen müssen, dass die Person hinter der Toilettentür sterben würde, wenn er vier Kugeln auf sie abfeuerte - während er selbst nicht in Lebensgefahr gewesen sei. Allerdings rechnete das Gericht Pistorius ein Jahr und sieben Monate Haft an, die er bereits verbüßt hatte. Übrig blieben 13 Jahre und fünf Monate.

Oscar Pistorius und Reeva Steenkamp 2012 bei einer Preisverleihung in Johannesburg. (Foto: Lucky Nxumalo/AP)

Der Mord an Reeva Steenkamp bedeutete das jähe Ende einer steilen Karriere, die Pistorius zum südafrikanischen Nationalhelden und bis heute berühmtesten Sportler mit Handicap gemacht hatte: zum "Blade Runner", so wurde er wegen seiner Prothesen genannt. Als Pistorius elf Monate alt war, nahmen Ärzte ihm infolge einer Fehlbildung bei der Geburt beide Beine unterhalb der Knie ab. Als Kind spielte er dennoch Fußball, Tennis und Rugby und wandte sich 2004 - nach einer Verletzung - dem Laufen zu.

Der Welterfolg kam fast umgehend: Zwischen 2004 und 2012 gewann Pistorius zwölf Goldmedaillen bei Paralympischen Spielen. 2008 wählte das Time-Magazin ihn unter die 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres. 2012 in London trat er als erster Athlet mit Prothesen bei Olympischen Spielen an - und löste damit neben viel Bewunderung auch eine Debatte darüber aus, ob er aufgrund seiner Prothesen einen Nachteil oder womöglich doch eher einen Vorteil habe.

Wenige Monate nach den Olympischen Spielen traten Oscar Pistorius und Reeva Steenkamp bei einer Sportgala in Johannesburg erstmals als Paar in der Öffentlichkeit auf. Drei Monate später war sie tot.

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