Österreich:Vater unter Verdacht

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St. Johann in Tirol: An der Kitzbüheler Ache wurde der sechsjährige Leon im August 2022 tot aufgefunden. (Foto: Georg Köchler; Zoom Tirol/dpa)

In Tirol wurde ein Mann angeblich bewusstlos geschlagen, sein sechsjähriger Sohn ertrank im Fluss. Nun zweifeln die Ermittler an der bisherigen Darstellung - und verdächtigen den Vater.

Von Marcel Laskus

Am ersten Weihnachtsfeiertag richteten sich Florian und Sandra A., die Eltern von Leon, zum vorerst letzten Mal an ihre 7000 Follower bei Facebook. Auf einem Foto ist der blonde Leon im Weihnachtspullover vor einem Tannenbaum mit verpackten Geschenken zu sehen, dazu die Worte: "Du fehlst sooo sehr." Hunderte drückten unter dem Beitrag ihr Beileid aus, hinterließen aufmunternde Worte, Herzen, Tränen, Trauer. Zu diesem Zeitpunkt war der Junge seit vier Monaten nicht mehr am Leben.

Inzwischen hat sich die Stimmung gedreht. Heute kommen kaum weitere Herzen unter dem Beitrag hinzu, heute stehen da vor allem Vorwürfe. "Mir wird einfach nur schlecht", schreibt einer. "Dafür gibt es keine Entschuldigung." Viele, die hier einst Mitgefühl zeigten, fühlen sich nun getäuscht.

Grund dafür ist die mögliche Wendung in einem Fall, in dem es um Mitleid geht, das gerechtfertigt ist, und um Mitleid, das möglicherweise missbraucht wurde, um einen Mord zu vertuschen. Sollten die Vorwürfe stimmen, die die Staatsanwaltschaft Innsbruck seit dieser Woche erhebt, wäre der 38-jährige Florian A. nicht das Opfer einer Gewalttat, sondern der Täter, der Mörder des eigenen Sohnes. Wegen des Verdachts des Mordes und der Vortäuschung einer Straftat wurde A. am Montag festgenommen und befindet sich seit Donnerstag in der Justizanstalt Innsbruck in Untersuchungshaft, wie das Landesgericht mitteilte.

Die Uhrzeit für den Spaziergang war nicht ungewöhnlich, Leon litt an einer Krankheit

Die Version, von der die Öffentlichkeit bislang ausging, war die Geschichte eines gewalttätigen Überfalls. Florian A., der aus Deutschland stammt und in Österreich lebt, war demnach am 28. August 2022 gegen vier Uhr morgens in St. Johann in Tirol mit seinem sechsjährigen Sohn im Kinderwagen unterwegs. Die Uhrzeit war nicht ungewöhnlich, denn Leon litt seit seiner Geburt am seltenen Syngap-Syndrom, das ihn motorisch stark einschränkte und nachts mehrfach wach werden ließ. Die Krankheit war auch der Grund dafür, warum seine Eltern vor viereinhalb Jahren die Facebook-Seite "Leon and Friends" anlegten und dort Spenden für seine Therapie sammelten. 330 065 Euro von 2950 Unterstützern weist die zugehörige Website heute aus, "um Leon und anderen Syngap-Patienten" zu helfen. Doch die Krankheit blieb eine Belastung, für Leon und für die Eltern, die darüber auch Medien Auskunft gaben.

Gegen 5.30 Uhr an jenem Morgen im August fand dann ein Spaziergänger den bewusstlosen Vater am Boden liegen, neben ihm Splitter einer Flasche, die mögliche Tatwaffe. Handy und Geldbörse fehlten, auch sein Sohn war weg. Leon wurde später tot aufgefunden, auf einer Sandbank im Fluss, der Kitzbüheler Ache. Offenbar war er aus dem Kinderwagen gekrabbelt und ins Wasser gefallen.

In den Tagen und Wochen nach Leons Tod suchten die Ermittler nach dem unbekannten Täter. Und auch die Eltern brachten sich ein. Sie wandten sich an die Öffentlichkeit, sprachen abermals mit österreichischen Medien und lobten eine Belohnung in Höhe von 30 000 Euro "zur Aufklärung des Todes von Leon" aus. Doch kamen weder Eltern noch Ermittler zu einem Ergebnis. Bis jetzt.

Denn nun, ein halbes Jahr nach Leons Tod, gehen die Ermittler von einem völlig anderen Tathergang aus. "Es besteht ein dringender Mordverdacht gegen Florian A.", sagt Hansjörg Mayr von der Staatsanwaltschaft Innsbruck der SZ. Und: "Es gibt derzeit keine Hinweise auf weitere Beteiligte." Medienberichten zufolge sollen etwa Aufnahmen von einer Überwachungskamera belegen, dass Florian A. die Flasche, mit der er angegriffen worden sein soll, selbst im Kinderwagen mit sich führte. Außerdem habe A. der Nachrichtenagentur APA zufolge den angeblichen Räuber erst bei der zweiten Vernehmung genauer beschreiben können. Staatsanwalt Mayr will die Ermittlungsergebnisse nicht kommentieren.

Hubert Stanglechner, der Verteidiger von Florian A., sagte indes dem Portal OE24, sein Mandant weise die Vorwürfe "entschieden und als völlig absurd" zurück. Fest steht, dass Florian A. für mindestens zwölf weitere Tage in Untersuchungshaft bleiben wird, so hat es das Innsbrucker Landesgericht entschieden. Es bestünde Verdunklungsgefahr und die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten.

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