Am Tag danach sprechen die Menschen im kalifornischen Monterey Park über dieses Geräusch, das für sie nun eine völlig andere Bedeutung bekommen hat: Pap-pap-pap-pap-pap-pap-pap. Das ist das Geräusch, wenn man einen Knallfrosch auf die Straße wirft: kleine Explosionen nacheinander, gerne in Verbindung mit Feuerwerk als Zeichen dafür, dass laut und leuchtend gefeiert wird. Genau das sollte der Samstagabend sein für die Gemeinde im Los Angeles County, östlich von Downtown L.A.: eine riesige Party aus Freude über das erste Lunar New Year Festival ohne Einschränkungen seit Beginn der Covid-Pandemie; das ganze Wochenende über wollten sie das asiatische Mond-Neujahrsfest zelebrieren in dieser Stadt, in der zwei Drittel der Bewohner asiatischer Herkunft sind. Unter anderem mit Knallfröschen und Feuerwerk.
Pap-pap-pap-pap-pap-pap-pap ist aber auch der Sound, den eine halbautomatische Waffe erzeugt, wenn jemand den Abzug betätigt. Das tat der 72 Jahre alte Huu Can T. Im Tanzlokal Star Dance Studio tötete er zehn Menschen, zehn weitere wurden verletzt, einige von ihnen lebensgefährlich. Er fuhr weiter ins benachbarte Alhambra, auch dort wollte er offenbar in einem Tanzlokal um sich schießen. "Zwei mutige Besucher haben ihm die Waffe abgenommen, der Verdächtige ist danach geflüchtet", sagt Robert Luna, Sheriff des Bezirks Los Angeles. Der Täter sei in einem weißen Lieferwagen ins mehr als 40 Kilometer südlich gelegene Torrance gefahren, dort habe er sich auf dem Fahrersitz erschossen. "Wir sind noch immer nicht sicher, was das Motiv gewesen ist. Wir ermitteln weiter, weil wir wissen wollen, wie so etwas Schreckliches passieren kann."
In Monterey Park erzählt am Sonntag der 20 Jahre alte Bill, der seinen Nachnamen nicht nennen will, der SZ davon, wie er den Vorabend erlebt hat. Er habe am Geldautomaten am Gebäude direkt neben dem Tanzlokal gestanden. Da habe er das Geräusch gehört: Pap-pap-pap-pap-pap-pap-pap . Er sei Soldat bei den Marines und kenne das Geräusch deshalb. "Aber nicht in diesem Umfeld. Ich dachte, es seien Knallfrösche." Kurz darauf seien Leute panisch aus dem Star Dance Studio geflüchtet, sieben von ihnen über den Parkplatz zu seinem Truck: "Sie sind auf die Ladefläche gesprungen und haben gebrüllt: 'Fahr! Fahr! Fahr!' Also bin ich eingestiegen und habe aufs Gas gedrückt." Beim Wegfahren wieder das Geräusch: Pap-pap-pap-pap-pap-pap-pap. Der mutmaßliche Täter schoss nochmals.
Das schlimmste Attentat in Kalifornien seit fast fünf Jahren
Zwei Straßenecken weiter habe er angehalten und die Leute abgesetzt, dann sei er zum Haus seiner Freundin keine 500 Meter vom Tatort entfernt gefahren. Erst dort habe er über Polizeifunk erfahren, was passiert ist: das schlimmste Attentat im US-Bundesstaat Kalifornien seit November 2018, als ein Amokläufer in einer Kneipe in Thousand Oaks zwölf Menschen erschoss.
Zum Zeitpunkt der Tat waren laut Polizei etwa 100 Gäste im Tanzlokal, aus den Lautsprechern dröhnte Musik für Guangchang Wu, einen traditionellen chinesischen Tanz, dessen Name mit "Square Dance in der Öffentlichkeit" übersetzt werden kann. Er gilt als Freizeitsport für Ältere, die meisten der Besucher am Samstagabend waren zwischen 50 und 70 Jahre alt. Über die Opfer ist bislang lediglich bekannt, dass es fünf Frauen und fünf Männer sind. Auch das erzeugte Unruhe am Tag danach.
Juno Blees zum Beispiel erzählt, dass ihre Eltern im Lokal gewesen seien, um Lunar New Year zu feiern. Ihr Vater habe in der Nähe des Eingangs gestanden, als der Täter das Feuer eröffnet und ihn in die Schulter getroffen habe; er habe danach gesehen, wie seine Frau auf der Tanzfläche kollabiert sei. In der ausbrechenden Panik habe er sie aus den Augen verloren, dann sei er aus dem Lokal zu einem Krankenwagen gebracht worden. Er ist mittlerweile aus dem Krankenhaus entlassen worden, sieben der zehn Verletzten sind noch dort, einige schwer verletzt. Blees sagt, sie habe keine Informationen, was mit ihrer 63-jährigen Mutter passiert sei: "Wir hoffen aufs Beste, bereiten uns aber auf Schlimmste vor."
Aus Polizeikreisen ist zu hören, dass es um häusliche Gewalt ging: Der mutmaßliche Täter sei erbost gewesen darüber, dass seine Ehefrau diese Tanzlokale besuche. Unabhängig vom möglichen Motiv wird über diese Tat aber in anderen, größeren Zusammenhängen debattiert. "Wir müssen über rassistisch motovierte Gewalt gegenüber Asiaten reden", sagt die asiatischstämmige Kongressabgeordnete Judy Chu zur SZ. Sie war einst Bürgermeisterin von Monterey Park und lebt heute noch dort: "Das ist ein beschaulicher Ort. Touristen kommen, weil es hier die besten asiatischen Restaurants gibt. Es sollte ein Wochenende der Freude sein, Tausende Besucher waren am Samstagnachmittag in Monterey Park. Warum passiert so was ausgerechnet jetzt, ausgerechnet hier?"
Chu fürchtet neue Vorurteile bei der Schlagzeile: "Asiate erschießt zehn Asiaten." Nach so einer Tat kochen Erinnerungen an die Rassenunruhen 1992 hoch. Es ging vordergründig um Polizeigewalt und Rassismus von Weißen gegenüber People of Color; ein unvergessenes Bild jedoch: Asiaten auf den Hausdächern, die auf alles schießen, was sich auf den Straßen bewegt. Einige Ressentiments sind geblieben, und die wurden während der Pandemie befeuert vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump, der immer wieder vom "China-Virus" oder "Wuhan-Virus" sprach. "Seit Beginn der Pandemie hat es in den Vereinigten Staaten 11 500 rassistisch motivierte Gewaltverbrechen gegen Asiaten gegeben", sagt Chu. Es gibt nationalistisch motivierte Gewalt von Asiaten gegen andere Asiaten, deshalb gilt Monterey Park mit seinen 61 000 Bewohnern als vorbildliche Gemeinde für Vielfalt. An Gebäuden sieht man japanische, chinesische, koreanische Schriftzeichen. Und jetzt dieses Attentat. Es kann vieles kaputt machen.
Es geht, wie immer nach solchen Taten, auch um die Waffen in den USA. "Es muss sich dringend was ändern", sagt Chu. "Es braucht Gesetze, die nicht politisch motiviert sind, sondern von gesundem Menschenverstand geleitet." Wer die gesellschaftspolitische Spaltung in diesem Land kennt, der fragt: Wie soll das gehen? Zumal die Befürworter lockerer Waffengesetze den Vorfall als Grund für mehr Waffen anführen.
Bill zum Beispiel, der Soldat, der neben dem Tanzlokal Geld abgehoben hat, als die Schüsse fielen. Die Polizei reagierte schnell, war drei Minuten nach dem ersten Notruf am Tatort - dennoch wurden zehn Menschen getötet. "Das dauert zu lang; darauf kann ich mich nicht verlassen. Ich muss mich selbst verteidigen", sagt er. Er hatte eine Waffe in seinem Truck. Wenn es drauf ankomme in diesem Land, wenn das Pap-pap-pap-pap-pap-pap-pap kein Knallfrosch ist, dann sei man auf sich gestellt und brauche eine Waffe.
Statt Tausender Touristen, wie sonst üblich, sind am Sonntag ein paar Einwohner zur Straßenecke gekommen, an der das Tanzlokal steht. Sie gedenken der Opfer, umarmen einander. Sie wollen nicht erklären und nicht debattieren. Was sie wollen, ist das Gegenteil von Pap-pap-pap-pap-pap-pap-pap. Sie wollen Stille.