Kriminalität - Essen:Gegen Clankriminalität: "Siko Ruhr" ein "wichtiger Baustein"

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Essen (dpa/lnw) - Die nordrhein-westfälische Landesregierung setzt große Hoffnung in eine neue Dienststelle zur Bekämpfung von Clankriminalität im Ruhrgebiet. In der "Siko Ruhr" genannten "Sicherheitskooperation Ruhr" wollen Landes- und Bundespolizei, Kommunen, Zollbehörden und Finanzverwaltung zusammenarbeiten. "Sie wird ein ganz wichtiger Baustein in der Bekämpfung dieses Kriminalitätsphänomens", sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am Dienstag bei der Vorstellung der Dienststelle in Essen. Die "Siko" soll Mitte nächsten Jahres ihre Arbeit aufnehmen. "Wir wollen den kriminellen Clans ans Leder", sagte Reul. "Das Weggucken ist definitiv vorbei. Der Staat macht deutlich, dass er rechtsfreie Räume nicht hinnimmt."

In der behördenübergreifenden Dienststelle sollen Experten Informationen sammeln sowie Maßnahmen gegen Clankriminalität bündeln und koordinieren. Die "Siko" werde aus einem festen Mitarbeiterstab von etwa zehn Personen bestehen, hieß es. Je nach Bedarf sollen auch andere Institutionen Vertreter entsenden, etwa die Staatsanwaltschaften. Die "Siko" wird auf einer Etage eines neuen Bürogebäudes im Essener Süden untergebracht. Das laut Reul "deutschlandweit einmalige" Projekt wird im Rahmen der Ruhr-Konferenz umgesetzt.

Dass die neue Dienststelle in Essen ihren Sitz haben wird, ist kein Zufall: Essen ist neben Berlin und Bremen besonders betroffen von Clankriminalität. Jede fünfte Straftat geht dabei auf das Konto von Mitgliedern aus nur zwei Clans. Seit Dezember 2018 kümmert sich daher eine eigene Abteilung bei der Polizei Essen/Mülheim darum. Von 2016 bis 2018 verzeichneten die Ermittler allein in Essen und Mülheim 2439 Straftaten im Bereich Clankriminalität, vor allem Bedrohung und Nötigung, gefährliche Körperverletzung und Raub. Im Fokus stehen dabei kriminelle Mitgliedern von Großfamilien mit libanesischer Zuwanderungsgeschichte.

Bei der Einrichtung der "Siko" greifen die Behörden auf Erfahrungen aus einem "Innerbehördlichen Koordinierungskreis" zurück, den es für Essen und Mülheim bereits seit Anfang 2017 gibt. Bei dieser Zusammenarbeit habe man festgestellt, "wie stark ein Rechtsstaat sein kann, wenn alle Partner ihre Möglichkeiten im Sinne eines gemeinsamen Ziels einbringen", sagte Essens Polizeipräsident Frank Richter. Er erwarte durch die "Siko" einen "Quantensprung bei der Bekämpfung der Clankriminalität im Ruhrgebiet".

Jede Woche gebe es in Essen und Mülheim bis zu vier Aktionen gegen Clankriminalität, sagte Richter weiter. Auch am Dienstag gab eine Aktion. Polizei, Zoll und kommunale Behörden durchsuchten dabei Wohnungen, Geschäftsräume und ein Bankschließfach in Essen und Duisburg. Es ging um den Verdacht der Insolvenzverschleppung, des Sozialleistungsbetruges und der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei. Verdächtig sind drei 20, 42 und 45 Jahre alte Personen. Die Beamten stellten unter anderem eine fünfstellige Summe Bargeld, ein Auto, zwei Dolche, Schmuck sowie 13 Kilogramm unversteuerter Tabak sicher.

Reul sprach von einer "Politik der Nadelstiche" gegen Clankriminalität und verwies auf die bisherigen Bemühungen: "Seit Sommer 2018 haben wir mehr als 2500 Objekte durchsucht, mehr als 25 000 Personen kontrolliert, mehr als 10 000 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten festgestellt." Der Innenminister rechnet allerdings mit einer längeren Dauer der Maßnahmen: "Man darf nicht erwarten, dass eine Geschichte, die sich über 30 Jahre aufgebaut hat, so eben mal dann weg ist." Er versprach: "Es wird besser werden. Punkt. Je schneller, je besser. Es kann aber auch sein, dass es zehn Jahre und mehr dauert, bis wir das gelöst haben."

Das Landeskriminalamt hatte Mitte Mai das erste Lagebild zur Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen vorgestellt. Demnach sieht die Polizei in NRW 104 Clans mit kriminellen Mitgliedern am Werk. Allein in den Jahren 2016 bis 2018 sollen rund 6500 Verdächtige aus der Szene für mehr als 14 000 Straftaten verantwortlich gewesen sein. "Wir haben es hier eben nicht mit Eierdieben und Tabakschmugglern zu tun", hatte Reul bei der Vorstellung des Lagebilds Mitte Mai gesagt. Clankriminalität sei keine Kleinkriminalität. "Wir reden von schweren Verbrechen bis hin zu Tötungsdelikten", so Reul damals.

Die Dienststelle soll sich auch um Vorbeugung kümmern. Gemeinsam mit Pädagogen, Sozialarbeitern und Wissenschaftlern sollen Aussteigerprogramme und Modelle entwickelt werden, die Kindern und Jugendlichen Wege aus dem Clanmilieu aufzeigen. "Wir erwarten hier keine schnellen Erfolge. Das ist komplettes Neuland und Grundlagenforschung in einem sehr schwierigen Umfeld. Aber immerhin: Wir säen. Und wir hoffen, irgendwann auch zu ernten", sagte Reul.

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