Report zu Ausbeutung:Was gegen Kinderarbeit hilft

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Dieser Junge arbeitet in einer Ziegelbrennerei in der Nähe der afghanischen Hauptstadt Kabul. Viele Familien in dem Land sind so arm, dass die Kinder Geld verdienen müssen, um das Überleben zu sichern. (Foto: imago)

Weltweit gibt es 150 Millionen Kinderarbeiter. Eine Studie des Hilfswerks Terre des Hommes zeigt trotz all der Ausbeutung ein paar Hoffnungsschimmer.

Von Ulrike Heidenreich

Zeit zum Spielen haben sie nicht, zur Schule gehen dürfen sie nicht, körperlich und seelisch tragen sie oft Narben davon. Etwa 150 Millionen Kinder weltweit müssen arbeiten. Für die Hälfte von ihnen, etwa 72 Millionen Mädchen und Jungen, sind die Bedingungen zusätzlich extrem hart: Sie schuften im Bergbau, sind Tag und Nacht als Dienstmädchen verfügbar, wurden in die Sklaverei gezwungen. Das Kinderhilfswerk Terre des Hommes (TdH) verfolgt die Entwicklung Jahr für Jahr - und sieht nun zumindest einen kleinen Hoffnungsschimmer. Der neue Kinderarbeitsreport, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, zeigt Methoden gegen die Ausbeutung von Kindern auf. Die Programme haben in Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika messbaren Erfolg.

Schulpflicht

Indien hat im Jahr 2009 die Schulpflicht gesetzlich eingeführt. Die Zahl der Kinder, die nicht zur Schule gehen, ist seitdem von acht Millionen auf sechs Millionen gesunken. Das Problem bei der indischen Gesetzgebung ist allerdings, dass es zu viele Ausnahmen gibt. So dürfen Kinder in Familienbetrieben arbeiten. Gerade Kinder aus armen Familien brechen die Schule früh ab, um bei den Eltern mitzuhelfen. "Es ist bekannt, was getan werden muss, um ausbeuterische Kinderarbeit sofort zu beenden", sagt Albert Recknagel, TdH-Vorstand. Das Hilfswerk fordert sämtliche Regierungen auf, das Ende der Schulpflicht und das Mindestalter für die Zulassung zur Arbeit in ihrer Gesetzgebung so anzugleichen, dass Jugendliche nach der Schule legal arbeiten können - mit allen Absicherungen und Rechten.

Reden und Vernetzen

In Burkina Faso haben Partnerorganisationen des Kinderhilfswerks eine "Skala der Würde" erstellt. Regelmäßig gehen die Sozialarbeiter zu Kindern, die in privaten Haushalten als Dienstmädchen arbeiten, und fragen mehrere Kriterien ab. Bekommt es genug zu essen? Wird es geschlagen? Wird es regelmäßig bezahlt? Kann es sich waschen, ohne dass jemand zusieht? Wenn die Mädchen unwürdig behandelt werden, werden sie an sichere Orte gebracht. Das hat sich herumgesprochen, das Bewusstsein der Dienstmädchen verändert sich seitdem. Sie lernen ihre Rechte kennen, viele treffen sich, helfen sich gegenseitig, besuchen auch Abendschulen.

Aufklärung der Eltern

Extrem arme Eltern ohne jegliche Bildung glauben oft den Versprechungen von Menschenhändlern. Vor allem in sehr abgelegenen und von Krieg betroffenen Regionen haben Kinder darum ein bitteres Schicksal. Weil beim Abbau von Gold in Burkina Faso weder Arbeitsaufsicht noch Polizei eingreifen, hat Terre des Hommes dort eine Informationskampagne gestartet. Gemeindemitglieder überwachen vier Goldminen und schlagen Alarm, wenn sie Kinder bei der Arbeit sehen. Im Laufe eines Jahres meldeten sie 2325 Mädchen und Jungen. Polizei, Jugendbehörde und Sozialarbeiter schritten gegen diese Form von Kinderarbeit ein.

Befragen der Kinder

Tausende Kinder arbeiten in den indischen Städten Kalkutta und Gwalior an Teppichwebstühlen, sie zerkleinern Steine oder tragen schwere Lasten auf Märkten. Ein Projekt des Kinderhilfswerks setzt direkt bei ihnen an: Die Kinder formulierten 80 Forderungen, wie ihr Alltag leichter werden könnte. In den Vierteln muss Trinkwasser zugänglich sein, die Straßen zur Schule sollten mit Fußgängerwegen ausgestattet sein, in allen Schulen muss es Toiletten für Mädchen geben. 35 Vorschläge sind inzwischen umgesetzt. Die Mädchen und Jungen arbeiten zwar weiter zu Hause mit, müssen aber keine schwere oder gefährliche Arbeit mehr verrichten. Die 1800 Kinder im Projekt gehen zur Schule, 500 von ihnen besuchen eine weiterführende Schule.

Stärkung der Behörden

Seit 1996 gibt es in Albanien ein Gesetz zu Kinderarbeit, die Behörden wurden aber weder mit Mitteln noch Macht ausgestattet, um es durchzusetzen. Kinder arbeiteten weiter in der Landwirtschaft, beim Abbau von Chrom, auf den Straßen. In Nachbarländern wurden albanische Kinder von kriminellen Banden zum Betteln eingesetzt. TdH und weitere Hilfsorganisationen gründeten 2010 Netzwerke, in denen sich Polizei, Ärzte, Sozialbehörden und Gemeinden zu gemeinsamen Leitlinien gegen Kinderarbeit verpflichteten. Ein neues Gesetz legt nun Hilfe statt Strafe für die betroffenen Kinder fest. Recknagel: "Noch gibt es keine repräsentative Auswertung, alle Beteiligten berichten jedoch, dass sie Kinder zurückführen und in Schulen integrieren konnten." Auch sei die Zahl bettelnder albanischer Kinder in Griechenland deutlich rückläufig.

Strafen für Arbeitgeber

Besitzer von Steinbrüchen, die Kinder schuften lassen, oder Hausherren, die Dienstmädchen schlagen und vergewaltigen, werden selten dafür zur Rechenschaft gezogen. Viele Hilfsprojekte geben darum Betroffenen gezielt juristische Unterstützung und vermitteln Anwälte. Im südindischen Tamil Nadu konnten so Mädchen und ihre Familien auf Entschädigung klagen - weil ihnen bei der Arbeit in Baumwollspinnereien Lohn vorenthalten wurde, sie geschlagen oder gewaltsam festgehalten wurden. Aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit urteilen die Gerichte inzwischen schneller. Früher dauerte ein Verfahren Jahre. Mehrere Arbeitgeber wurden bereits verurteilt. Recknagel dringt auf global verbindliche Regelungen für die Wirtschaft: "Nur so lässt sich erreichen, dass Unternehmen in ihren Lieferketten keine Kinder mehr ausbeuten können und den Familien existenzsichernde Löhne gezahlt und faire Arbeitsbedingungen zugestanden werden."

© SZ vom 11.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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