Massenpanik in Jemen:Eine weitere Wunde in Sanaa

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Hilfesuchende Hände ragen aus einer Menschenmasse heraus. (Foto: AL MASIRAH TV/Reuters)

Bei einer Massenpanik sind in Jemen mindestens 78 Menschen ums Leben gekommen - und das ausgerechnet während einer Spendenaktion. Über eine Tragödie in einem Land voller Tragödien.

Von Dunja Ramadan

Was die jemenitische Zivilbevölkerung seit nun mehr acht Jahren Krieg ertragen muss, spiegelt sich in der jetzigen Tragödie auf besonders schmerzhafte Weise wider: Bei der Verteilung von Spenden in einer Schule in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa brach am Mittwochabend unter Hunderten Menschen Massenpanik aus, fast 80 Menschen sind dabei getötet worden. Während des islamischen Fastenmonats Ramadan, der an diesem Freitag zu Ende geht, ist es üblich, dass Muslime Essenspakete und Geld an arme Mitbürger spenden - in Sanaa gibt es sehr viele von ihnen. Die Geldspenden, die die Händler verteilen wollten, beliefen sich auf umgerechnet acht Euro pro Person.

Videos der Massenpanik zeigen, wie Menschen ihre Arme nach oben strecken, damit man ihnen aufhilft. Man hört Kinder weinen. Manche Menschen bewegen sich da schon nicht mehr. Noch gibt es verschiedene Berichte, wie die Situation so eskalieren konnte: Manche berichten von Huthi-Rebellen, die die Verteilung der Zakat, also der Almosen, verhindern wollten, sie sollen Kugeln in die Luft gefeuert haben, um die Menge zu zerstreuen. Daraufhin sollen die Menschen zur Schultür geeilt sein. Andere wiederum sagen, dass es durch den Ansturm an der Tür zu einem Kurzschluss kam und Menschen einen elektrischen Schlag erlitten, der ebenfalls die Massenpanik beförderte. Die meisten halten die erstere Version für wahrscheinlicher.

Viele Kaufleute vertrauen der schiitischen Miliz nicht

Es handle sich um ein grundlegendes Problem, sagt der jemenitische Journalist und Menschenrechtsaktivist Basem Ganani der SZ. "Die Menschen in Jemen sind ausgehungert und die Huthi-Verwaltung kümmert das nicht." Hinzu komme, so Ganani, dass die schiitischen Rebellen die Zakat durch eine Behörde einziehen und eigenständig verteilen wollen. Doch viele Kaufleute vertrauen der von Iran unterstützten schiitischen Miliz nicht. Um sicherzustellen, dass die Spenden auch bei den Bedürftigen ankommen, organisieren sie eigene Spendenaktionen, was wiederum die Huthis argwöhnisch beobachten - besonders bei großen Unternehmen. Die Aktion an jenem Mittwochabend hat die jemenitische Firmengruppe Alkbous, ein Tee- und Kaffeeproduzent, organisiert. Zwei verantwortliche Mitarbeiter seien festgenommen, erklärte das Innenministerium. Ihnen wird vorgeworfen, die Massenpanik verursacht zu haben. Die Huthis kündigten Entschädigungspakete an für Verletzte und jede Familie, die einen Verwandten verloren hat.

Schon vor Beginn des Krieges war Jemen das ärmste Land auf der Arabischen Halbinsel. Doch seitdem die Huthi-Rebellen 2014 die Hauptstadt Sanaa einnahmen und nachdem Saudi-Arabien 2015 mit einer Militärkoalition an die Seite des gestürzten Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi eingegriffen hatte, kämpft das Land laut den Vereinten Nationen mit der schlimmsten humanitären Krise der Welt. Rund 24 Millionen Jemeniten - also 80 Prozent der Bevölkerung - sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Etwa 2,2 Millionen Kinder leiden laut Unicef an akuter Unterernährung. Der anhaltende Krieg in der Ukraine verschärft zusätzlich die Ernährungskrise in Jemen, weil das von Konflikten zersplitterte Land den größten Teil seines Weizens aus Russland und der Ukraine importiert.

Sanaa trauert - und das kurz vor dem großen Feiertag

Mittlerweile gibt es vereinzelt Hoffnungen auf eine mögliche Lösung des saudischen Jemenkriegs nach einer von China vermittelten Annäherung zwischen Riad und Teheran, die darauf abzielt, diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Erzrivalen wiederherzustellen. Vor wenigen Tagen erst reiste eine saudische Delegation nach Sanaa, um mit den Huthi-Rebellen zu sprechen. Doch jemenitische Stimmen kritisieren, dass Riad nur mit den Huthis, nicht aber mit anderen Oppositionsparteien verhandelt.

Für die Menschen in Jemen ist nach diesem Mittwoch eine weitere Wunde hinzugekommen: Am Tag danach liegt auf den Stufen vor der Schule ein Meer an schwarzen Pantoletten und vereinzelten Kleidungsstücken. Sanaa trauert. Mal wieder. Und das kurz vor dem großen Feiertag, dem Fest des Fastenbrechens.

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