Japan:Schutzlos bei Bombenalarm

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Häuser ohne Keller stellen die bevorzugte Bauweise in Japan dar, hier eine Siedlung auf der Insel Hokkaido. (Foto: via www.imago-images.de/imago images/Imaginechina-Tuchon)

Japan erlebt unruhige Zeiten. Im Ernstfall sollen die Menschen in den Untergrund flüchten - aber wohin? In dem Land gibt es so gut wie keine Keller. Die Politik sucht nach Lösungen.

Von Thomas Hahn, Tokio

Neulich herrschte wieder Bombenalarm in Nordjapan, an einem Donnerstagmorgen im April. Nur für eine halbe Stunde zwar, weil die Behörden schnell feststellten, dass die gemeldete nordkoreanische Testrakete doch nicht über japanisches Gebiet flog. Aber das reichte, um wieder wichtige Fragen zum Raketenschutz im Inselstaat aufzuwerfen. Erstens: Wie ernst muss man den sogenannten J-Alert nehmen, nachdem es schon im Herbst zwei falsche Warnungen gegeben hatte? Zweitens: Falls er ernst zu nehmen ist und man sich wirklich "in einem vorzugsweise robusten Gebäude oder unter der Erde" unterstellen muss - wo genau soll dieses Unterstellen stattfinden?

Es sind unruhige Zeiten in der Pazifik-Region. Das aufgerüstete China könnte eines Tages Taiwan einnehmen. Nordkoreas Parteidiktator feuert regelmäßig Testraketen ab. Und der friedliebende Nachbar Japan merkt gerade, dass er 78 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg kein richtiges Konzept gegen Luftangriffe hat. Von der Regierung in Tokio ist zu hören, dass Untergeschosse besser vor Bomben schützen als überirdische Bauwerke. Aber diese messerscharfe Erkenntnis passt nicht gut zur japanischen Wirklichkeit.

In Europa kann man sich kaum vorstellen, dass ein Land keine Keller hat. Dort ist der Keller eine Institution, bewährt als Weindepot, Hobbyraum, eheerhaltender Zufluchtsort. Aber in Japan sind Keller tatsächlich selten. Wegen der heißen, feuchten Sommer legt man hier traditionell Wert auf Durchzug. Man baute auf Stelzen oder Steinfundamenten. Keller sah das Baugesetz praktisch nicht vor. Heute ist das anders, trotzdem ist der Kellerbau kein Standard und deshalb teuer.

Großstädter haben oft Einkaufzentren mit Untergeschoss oder U-Bahnhöfe in der Nähe. Auf dem Land hingegen können viele gar nichts anfangen mit der Aufforderung, sich unterirdisch zu verkriechen. Und das liegt nicht nur daran, dass Wohnungskeller fehlen. Im März meldete die Nachrichtenagentur Kyodo nach einer selbst erhobenen Umfrage: "Nur vier Prozent der von den lokalen Regierungen in Japan als Raketenschutzräume ausgewiesenen Evakuierungsorte befinden sich unter der Erde." In der Präfektur Akita waren die Untergrundschutzräume besonders schnell durchgezählt: Es gab keine.

Das Thema drängt. Eine Fachgruppe im Parlament will bald ein Gesetz zur Abhilfe vorlegen. Ihr erster Plan sieht vor, nach dem Beispiel Taiwans und Singapurs bestehende Untergeschosse für den Notfall einzurichten. Wer darauf nicht warten will, hilft sich selbst. Seit Russland Krieg in der Ukraine führt, verzeichnet die Firma Nao Engineering aus Ibaraki steigende Verkaufszahlen ihres Produkts "Crisis-01", eines Bombenschutzraums im praktischen Haushof-Format.

Die Stahlkapsel ist so groß wie ein begehbarer Kleiderschrank, atombombensicher und ausgerüstet mit einer Filteranlage aus Israel, die Giftgas und Radioaktivität abhält. Kostenpunkt: sechs Millionen Yen vor Installation, umgerechnet 40 700 Euro. Dafür ist der Kasten nicht nur im Krieg einsetzbar. Der Hersteller empfiehlt, ihn für entspannte Momente gemütlich einzurichten. Vielleicht wird der Hofbunker für die Japaner eines Tages das, was für die Deutschen der Keller ist.

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