Japan:In Rock und Krawatte

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Glück gehabt? Kinder der Taimei-Grundschule werden in Armani eingekleidet. Für manche gibt es aber nur die abgelegten Kleider früherer Jahrgänge. (Foto: Kyodo News/imago)

Für viele Jugendliche in Japan gilt immer noch Uniformpflicht. An einer Grundschule sollen die Kinder Armani tragen. Doch der liberale Zeitgeist ist nicht aufzuhalten.

Von Thomas Hahn, Tokio

Zwischen Tokios Hochhäusern sieht das Gebäude der staatlichen Taimei-Grundschule ziemlich klein aus. Trotzdem fällt es auf mit seinen Säulen und efeubewachsenen Fassaden. Die zeitlose Eleganz passt zur Beharrlichkeit, mit der sich die Schule seit ihrer Gründung 1878 gehalten hat. Nach dem Großen Kanto-Erdbeben 1923 und dem Kriegs-Bombardement 1945 wurde sie jeweils wieder aufgebaut. Und den spektakulären Streit um die Armani-Uniformen von 2018 hat sie auch überstanden. Eltern waren empört, als die Schulleitung damals freiwillige Einheitskleidung der italienischen Luxusmarke für ihre sechs- bis zwölfjährigen Kinder einführte. Heute ist die feine Mode für den Unterricht etabliert, wie das Schulamt des Bezirks Chuo in der Zeitung Asahi bestätigt.

Schuluniformen sind ein wiederkehrendes Thema in Japan. Sie werden hinterfragt, verteidigt - und immer mehr einem liberaleren Zeitgeist angepasst. Die Debatte um die Armani-Uniformen der Taimei-Grundschule war dabei ein kleiner, schräger Höhepunkt. Sie passte zum Standort, denn die Schule liegt im Stadtteil Ginza, der für seine schicken Shopping-Meilen bekannt ist. Aber der Preis von 80 000 Yen, knapp 510 Euro, für eine Winter- und Sommer-Ausstattung in Marineblau war halt auch doppelt so hoch wie sonst.

Ein Vorteil der Uniform: Man muss nicht darüber nachdenken, was man anzieht

Der Einheitslook kam mit dem Beginn der Meiji-Zeit (1868 bis 1912) an Japans Schulen. Der Inselstaat erwachte damals als Industrienation. Die Uniformen nach westlichem Vorbild sollten Disziplin und Gemeinschaftssinn fördern. Bis heute ist die Mehrheit im Inselstaat dafür, dass die Jugend an Mittel- und Oberschulen einheitlich gekleidet sein soll. Eine Umfrage des Schuluniform-Herstellers Kanko unter 3600 Müttern und Vätern ergab 2022 eine Zustimmung von 87,2 Prozent. Als häufigster Vorteil wurde genannt, dass die Jugendlichen sich "nicht jeden Tag Gedanken darüber machen müssen, was sie anziehen sollen".

Jede Schule hat eigene Uniform-Regeln, teilweise sehr strenge, etwa Vorschriften zur Farbe der Unterwäsche. Die Kritik an solchen Extremen ist laut mittlerweile. Und immer mehr Schulen erlauben die freie Kleiderwahl. In der Pandemie fand manche Behörde Schülerinnen und Schüler in Privatkleidung schlicht hygienischer, weil Schul-Anzüge seltener in die Waschmaschine kommen. Das größte Thema des Schul-Dresscodes in Japan ist aber wohl der Wechsel zu geschlechterneutralen Uniformen. Die Rock-Pflicht für Mädchen wackelt. Eine Umfrage der Zeitung Mainnichi unter Schulbehörden bestätigte den Trend. Die Zeitung berichtete über ein Beispiel: Im April führte die Gyoda-Mittelschule in Funabashi eine neue Uniform-Freiheit ein: Der Nachwuchs dort kann jetzt Blazer, Röcke, Krawatten und Fliegen beliebig zusammenstellen.

Die Armani-Politik in der Taimei-Grundschule lenkt den Blick auf eine andere Frage. Kann Luxus sozial verträglich sein? Die Schule ist jedenfalls so beliebt, dass oft das Los über die Aufnahme entscheidet. Die Kleiderkosten? Reduzieren Eltern, indem ihre Kinder Uniformen von Älteren übernehmen. Außerdem habe es ja auch einen Preis, ein Kind privat einzukleiden, sagt eine anonyme Person aus Elternkreisen der Zeitung Asahi: Sechs Jahre lang jeden Tag Armani für 80 000 Yen sei letztlich billiger.

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