Italienische Justiz:"Zu männlich" und "zu wenig attraktiv"

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Ein Platz unweit des Hafens von Ancona (Foto: Gabriele Croppi/Imago Images)
  • Eine Peruanerin wird in einem Stadtpark in Ancona von zwei Männern vergewaltigt.
  • Das Berufungsgericht spricht die mutmaßlichen Täter frei, weil die Frau "zu männlich" und "zu wenig attraktiv" aussehe.
  • Das Urteil sorgt für wütende Proteste von Bürgerrechtlern und Gewerkschaften, das Justizministerium will den Fall prüfen lassen.

Von Oliver Meiler, Rom

In Ancona, dem Hauptort der mittelitalienischen Region Marken an der Adria, ist das örtliche Berufungsgericht zum Schluss gelangt, dass eine junge Peruanerin nicht vergewaltigt worden sein kann. Die Begründung dafür liest sich, als wäre es das üble Gerede einer vermufften Spelunke. In ihrer Begründung urteilten die Richter, die junge Frau käme als Opfer nicht infrage, da sie "zu männlich" aussehe und "zu wenig attraktiv" sei. Was nach einem schlechten Altherrenwitz klingt, verstört viele Italiener. Zu dieser Verstörung trägt der Umstand bei, dass das Richtergremium aus drei Frauen bestand.

Die Geschichte der mutmaßlichen Vergewaltigung liegt drei Jahre zurück. Die Frau, 22 Jahre alt, hatte Lektionen einer Abendschule besucht, danach ging sie mit zwei gleichaltrigen Landsleuten aus der Klasse auf ein Bier. Es wurden zwei, drei, vier Biere. Einer der Männer soll sich dann in einem Stadtpark sexuell an ihr vergangen haben, während der andere Wache stand. Am Tag darauf ging die junge Frau mit ihrer Mutter in ein Krankenhaus. Bei den Tests kam heraus, dass sie nicht nur viel Alkohol zu sich genommen hatte, sondern auch Drogen. Sie sagte, sie habe nichts davon gewusst, die Männer hätten ihr das Zeug wohl ins Getränk gemischt.

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Von Oliver Meiler

In erster Instanz wurde der mutmaßliche Vergewaltiger zu fünf, der zweite Mann zu drei Jahren Haft verurteilt. Sie gingen in Berufung, und die drei besagten Appellationsrichterinnen hoben das Urteil mit dem Verweis auf das vermeintlich unattraktive Äußere der jungen Frau wieder auf. So ging es weiter zum Kassationshof, Italiens höchstem Gericht. Das kassierte jetzt den Freispruch und beraumte ein neues Verfahren an, das im umbrischen Perugia stattfinden soll. Ein Prozessverlauf, wie es ihn tausendfach gibt, gerade nach Sexualdelikten.

Umstrittene Begründung

Bei der Gelegenheit veröffentlichte der Kassationshof nun erstmals auch jenes Begründungsschreiben der Richterinnern aus zweiter Instanz. Das Opfer wird da als "durchtriebene Peruanerin" beschrieben, die sich die Geschichte womöglich nur ausgedacht habe, um vor ihrer Mutter nicht als Partygängerin und Trinkerin dazustehen. Außerdem, heißt es weiter, habe dem angeblichen Vergewaltiger die Frau "nicht einmal gefallen" - und dafür, so die Richterinnen, gebe es einen Beweis: "In seinem Handy hat er ihre Nummer unter dem Namen 'Wikingermädchen' gespeichert und damit auf ihr alles andere als weibliche Aussehen angespielt." Und weiter: "Das Foto (der Frau; Red.), das diesen Prozessunterlagen beiliegt, scheint das zu bestätigen."

Eine Argumentationslinie, wie man sie vielleicht nicht einmal mehr am Stammtisch hört. Nach Veröffentlichung der Begründung kam es vor dem Appellationsgericht von Ancona zu einen Flashmob protestierender Bürgerrechtler und Gewerkschafter, auf ihren Spruchbändern und Plakaten stand "Schämt euch!" und "Zittert, zittert, die Hexen kehren zurück", ein alter feministischer Kampfslogan. "Die Worte des Gerichts", sagte Claudia Mazzucchelli vom Gewerkschaftsbund UIL, "sind wie ein Steinschlag auf dem Weg der Emanzipation". Man sei wieder zurück am Punkt, wo das Aussehen der Frau eine zentrale Rolle spiele bei der Beurteilung solcher Fälle. "Diesen Rückschritt dürfen wir nicht zulassen."

Auch im italienischen Justizministerium ist man entgeistert. Der Minister ordnete eine Inspektion im Berufungsgericht von Ancona an. Die junge Frau lebt inzwischen wieder in Peru.

© SZ vom 13.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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