Homo-Ehe:"Wir sind Aktivisten"

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Die erste Schwulen-Hochzeit Südamerikas wird von den Bräutigamen auch als politischer Akt verstanden.

Peter Burghardt

Hochzeiten sind vermutlich meistens anstrengend, dieses Paar ist selig vor Glück und erschöpft wie vor einer Filmpremiere. Ein schwülwarmer Frühlingstag in Buenos Aires, Alex Freyre und José María di Bello wechseln in einem Hotel namens Axel von Interview zu Interview. Anderntags ist obendrein eine Pressekonferenz angesetzt. Sie setzen sich für Fotos an Bar und Pool in Pose. Noch eine Umarmung, noch ein Kuss. Wie Schauspieler vor dem Kinostart. Eine Helferin platzt dazwischen und fragt aufgeregt, ob das mit dem Auto klappt. Ein Fernsehsender will mit den beiden durch die Stadt fahren und die Reaktionen der Passanten aufnehmen. "Wir können da jetzt keine Reality Show machen", sagt Alex Freyre genervt. Andererseits: "Wir sind Aktivisten, alle Medien zählen." Also werden sie wohl auch die Auto-Nummer mitmachen, es steht immerhin eine Revolution bevor.

Alejandro Freyre und José María di Bello wollen am Dienstag in Buenos Aires heiraten. Zum Zeichen der Solidarität mit HIV-Infizierten tragen sie die rote Aids-Schleife. (Foto: Foto: AFP)

Denn am Mittwoch heiraten nicht nur die Lebenspartner Alex Freyre und José María di Bello, es heiraten zum ersten Mal zwei lateinamerikanische Männer. In einigen europäischen Ländern gibt es gleichgeschlechtliche Ehen schon länger, aber nicht in der Hochburg von Machos und Doppelmoral, dem Gebiet zwischen Rio Grande und Feuerland. Die zwei Argentinier sind die ersten, deshalb ist alles sehr bedeutungsschwer. Schon bei diesen PR-Terminen tragen sie weiße Hemden und um den Hals rote Schleifen, das Symbol für Solidarität mit HIV-Infizierten und Aids-Kranken.

Der Sozialarbeiter Freyre, 39, und der Soziologe Bello, 41, sind HIV-positiv, auch darum geht es. Deshalb haben sie das Standesamt für den 1. Dezember reserviert, den Aids-Gedenktag. Es soll eine Welle der Solidarität werden, bis hinauf nach Mexiko. Alex sagt: "Wir zeigen, dass man HIV-positiv sein kann und ein Lebensprojekt haben kann, dass man schwul sein kann und dieselben Rechte wie andere Familien hat."

Rio de Janeiro und Buenos Aires sind beliebte Schwulenziele

Das mag in Holland Routine sein. Aber nicht in Argentinien. Als die beiden Vorkämpfer sich vor fast 25 Jahren bei Eltern und Freunden outeten, da war gerade die rechte Militärdiktatur zu Ende gegangen. Viele Mörder und Folterknechte stehen erst jetzt vor Gericht. Längst ist das weltoffene Buenos Aires zwar auch eine sexuell liberale Kulturmetropole. Die örtliche Parade Orgullo Gay (Schwuler Stolz) wächst. Bei Homosexuellen gilt die Stadt als ähnlich anziehend wie Rio de Janeiro, das zum beliebtesten Schwulenziel gewählt wurde.

Die Szene trifft sich zum Beispiel im alten Tango-Viertel San Telmo, in dem gestylten Hotel Axel, das Filialen in Berlin und Barcelona hat. Freyre ist Direktor der Aids-Stiftung von Buenos Aires, di Bello Aids-Vize des argentinischen Roten Kreuzes, beide gehören zur Vereinigung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen. Sie lernten sich 2005 als Funktionäre kennen. Doch erklärt schwule Bürgermeister oder Außenminister gibt es hier nicht. Dieser Vermählung ging ein Kampf voraus.

Klage vor dem Verwaltungsgericht für die Liebe

Im April wurden Freyre und di Bello beim Standesbeamten vorstellig: Sie würden gerne heiraten. Das ginge nicht, war die Antwort, dasselbe hatten zuvor andere Schwule und Lesben zu hören bekommen. Sie klagten beim progressiven Verwaltungsgericht von Buenos Aires. In der vergangenen Woche gab ihnen eine Richterin recht, ein historisches Urteil für die Region. "Wir haben juristische Barrikaden niedergerissen, das ist ein Systemwandel", sagt Alex Freye, draußen fällt schwerer Gewitterregen.

Der konservative Bürgermeister von Buenos Aires hätte den Gerichtsentscheid anfechten können, aber er tat es nicht. "In diesem Fall sollen die Leute frei entscheiden", teilte Mauricio Macri im Internet mit. Das hat sicher nichts damit zu tun hat, dass Macri früher Präsident des Fußballklubs Boca Juniors war, dem Lieblingsverein von Alex Freyre. Im Boca-Stadion Bombonera, Pralinenschachtel, würde er sich immer noch nicht als Schwuler zeigen, sagt Alex Freyre. Macris Plazet sei politischer Opportunismus, ihnen ist's nur recht.

Bloß Reaktionäre schimpfen. Bürgermeister Macri habe gegen seine Pflichten verstoßen, wettert der Kardinal Jorge Bergoglio. "Dafür hast du Macri gewählt?", steht auf Plakaten mit dem Foto küssender Männer. Der Gouverneur der Provinz Buenos Aires gab bekannt, er verbinde "die Figur der Ehe mit der Familie". Das tun Alex und José María auch, sie wollen irgendwann Kinder adoptieren, und José María findet, "wir bringen frischen Wind in die etwas entwertete Institution Ehe".

Argentinier sind mehrheitlich für Homo-Ehe

Die meisten Argentinier sind auf ihrer Seite, laut Umfragen 68 Prozent. Freyre erzählt, wie sie von einem Rentnerpaar auf der Straße beglückwünscht wurden. Selbst im erzkatholischen Mexiko wird die Homo-Ehe debattiert. Di Bello warb kürzlich in Peru. Er hat gehört, dass sich dort oft Schwule auf dem Land das Leben nehmen, aus Angst, entdeckt zu werden. Nun kürte Argentiniens Parlament eine Transsexuelle zur Frau des Jahres. In Argentinien, glauben Alex Freyre und José María, werde ihre Hochzeit bald Hundertfach nachgeahmt.

Ihr entscheidener Tag ist also der 1. Dezember, der Aids-Tag. 14 Uhr, im Standesamt an der Ecke der Straßen Coronel Díaz und Beruti, Buenos Aires, Stadtteil Palermo. In weißen Hemden mit roter Schleife.

© SZ vom 30.11.2009/abis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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