Prozess in Dresden:Wo sind die Juwelen?

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Zwei Mitarbeiter der Spurensicherung stehen im November 2019 vor dem Dresdner Residenzschloss, in dem sich das Grüne Gewölbe befindet. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Sechs Mitglieder eines berüchtigten Berliner Clans stehen in Dresden vor Gericht. Sie sollen vor zwei Jahren wertvolle Juwelen aus dem Grünen Gewölbe gestohlen haben. Zum Prozessauftakt überlassen sie das Wort ihren 14 Anwälten.

Von Verena Mayer, Berlin, und Antonie Rietzschel, Dresden, Berlin, Dresden

Mohamed R. schaut direkt in die Kameras, die auf ihn gerichtet sind. Dass er in einem Gerichtssaal ist, mit Handschellen gefesselt, umringt von Justizbeamten, scheint den 22-Jährigen nicht zu beeindrucken. Dabei ist der Saal mit seiner schussfesten Glaswand durchaus respekteinflößend. Die Große Strafkammer des Landgerichts Dresden tagt aus Sicherheitsgründen im Spezialsaal des Oberlandesgerichts Dresden am Stadtrand. Hier wird sonst über rechtsextremen Terror verhandelt oder gegen mutmaßliche Mitglieder einer linksextremen Gruppierung. Und jetzt geht es unter riesigem Polizeiaufgebot um eine Tat, in der Sachsens Innenminister nicht weniger als einen "Anschlag auf die kulturelle Identität der Sachsen" erkannte.

Mohamed R. und sein Zwillingsbruder Abdul Majed sind wegen schweren Bandendiebstahls und Brandstiftung angeklagt, genau wie ihre Verwandten Wissam R., Rabieh R., Bashir R. und Ahmed R. Die sechs Männer sollen am 25. November 2019 mit Diamanten und Brillanten besetzte Schmuckstücke gestohlen haben. Aus dem Grünen Gewölbe, einem Museum, das so sicher sein sollte wie der amerikanische Militärstützpunkt Fort Knox. Es bräuchte schon die Raffinesse der "Oceans Eleven", um etwas aus einer der reichsten Schatzkammern Europas zu stehlen, so schien es. Tatsächlich reichte rohe Gewalt.

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Erst das Berliner Bode-Museum, dann der Diebstahl von Dresden. Beide aufsehenerregende Coups ähneln sich sehr. Das könnte den Angehörigen eines Berliner Clans zum Verhängnis werden.

Von Verena Mayer, Berlin, und Ulrike Nimz, Leipzig

Laut Anklage sollen die Männer zuerst einen Stromverteilerkasten angezündet haben, wodurch die Straßenbeleuchtung ausfiel, auch rund um das Dresdner Schloss. Um 4.57 Uhr stiegen vier Personen in den verspiegelten und mit Marmor ausgekleideten Preziosensaal ein, darunter sollen auch Mohamed und Wissam R. gewesen sein. Sie interessierten sich aber wohl nicht für die mit Edelsteinen besetzen Becher oder das Marienbild an der Wand, sondern liefen schnurstracks ins Juwelenzimmer. Dort schlugen sie mit einer Axt 56 Mal auf die Vitrine ein und nahmen, was sie zu fassen kriegten: die Brustschleife der Königin Amalie Auguste, einen Degen, eine Hutnadel - 21 Schmuckstücke, besetzt mit tausenden Diamanten und Brillanten.

Das Grüne Gewölbe in Dresden. Das Museum sollte so sicher sein wie der amerikanische Militärstützpunkt Fort Knox. (Foto: imago images/epd)

Die Stücke waren mit einer Anglerschnur befestigt, manche zerrissen, wie etwa die Epaulette. Mohamed R. soll den Inhalt eines Feuerlöschers versprüht haben, um Spuren zu verwischen. Nach wenigen Minuten war alles vorbei, das Fluchtauto der Diebe wurde später in einer Tiefgarage angezündet, 61 Autos wurden dabei beschädigt. Die bewaffneten Täter hätten Gefahr für Leib und Leben in Kauf genommen, so sieht es die Staatsanwaltschaft. Nach der am Freitag verlesenen Anklageschrift hatten sie einen Revolver und eine Pistole mit Schalldämpfer bei sich.

Die Familie R. hat es auf dem Feld spektakulärer Straftaten zu bundesweiter Bekanntheit gebracht

Zum Prozessauftakt überlassen die Angeklagten das Wort ihren Anwälten. Insgesamt 14 sind es, angereist aus ganz Deutschland. Sie verlesen Statements, in denen sie lang und breit die Wahl des Verhandlungsorts und die Sicherheitsvorkehrungen kritisieren. Die Anwälte von Mohamed R. und Abdul Majed R. beantragen die Abtrennung des Verfahrens. Die beiden Männer waren zum Tatzeitpunkt 20 Jahre alt und müssen nach Jugendstrafrecht behandelt werden. Die Anwälte fürchten zudem eine Vorverurteilung ihrer Mandanten, weil sie, ebenso wie alle anderen Angeklagten, einer berühmt berüchtigten Familie aus Berlin angehören.

Die Familie R., beziehungsweise ein krimineller Zweig der Großfamilie, die mehrere Hundert Menschen umfasst, hat es auf dem Feld spektakulärer Straftaten zu bundesweiter Bekanntheit gebracht. 2014 poppte der Name in Zusammenhang mit einem Banküberfall in Berlin auf - damals wurden 300 Schließfächer ausgeräumt, die Bank anschließend gesprengt.

2017 verschwand aus dem Bode-Museum in Berlin die hundert Kilogramm schwere Goldmünze "Big Maple Leaf". Wie im Grünen Gewölbe hatten die Täter eine Vitrine mit einer Axt aufgeschlagen. Spuren vom Goldstaub wurden kurz darauf unter anderem bei Wissam R. gefunden, er und Ahmed R. wurden wegen des Diebstahls später zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Obwohl Wissam R. vorbestraft war, blieb er während des Goldmünzen-Prozesses auf freiem Fuß

Vor dem Berliner Landgericht suchten die Angeklagten noch die große Bühne, sie hielten sich Zeitschriften mit vielsagenden Titeln vors Gesicht, einer lautete: "Wissen und Staunen". Und man staunte tatsächlich über die kriminelle Energie, die die R.s an den Tag legten und wie wenig ihnen die Justiz bisher entgegenzusetzen hatte. Obwohl Wissam R. mehrfach vorbestraft war, blieb er während des gesamten Goldmünzen-Prozesses auf freiem Fuß.

So konnte er 2018 nach Erlangen fahren und dort ein Hydraulikspreizgerät zum Aufbiegen von Metall stehlen, das wahrscheinlich auch beim Einbruch in das Grüne Gewölbe zum Einsatz kam. 2019 nutzte er mutmaßlich eine Prozesspause für einen Ausflug nach Dresden, und wenige Tage nach dem Diebstahl der Schmuckstücke 2019 saß er wieder in einem Berliner Gerichtssaal und hörte mit freundlichem Gesicht den Zeugen und Gutachtern zu, die sich fragten, wo die Goldmünze sein könnte. Bis heute fehlt von ihr jede Spur.

Ahmed R., ebenfalls ein verurteilter Goldmünzen-Dieb, hat eine Kapuze über den Kopf gezogen, als der Prozess mit einer Stunde Verspätung beginnt. (Foto: Jens Schlueter/AFP)

Auch nach seiner Verurteilung durfte er erst einmal auf freiem Fuß bleiben, er ist erst seit 2020 in Haft. In Dresden tritt er nun weniger selbstbewusst auf als Mohamed R., er hält sich eine schlichte schwarze Mappe vors Gesicht. Ahmed R., ebenfalls ein verurteilter Goldmünzen-Dieb, hat eine Kapuze über den Kopf gezogen, als der Prozess mit einer Stunde Verspätung beginnt.

In Dresden schafften es die Diebe, die Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen - mehrere Tage vor dem Einbruch

Der Versicherungswert der Schmuckstücke aus Dresden wird auf 113,8 Millionen Euro geschätzt. Aber es geht in diesem Fall um mehr als nur Geld. 40 Beamte des Landeskriminalamts werteten ein Jahr lang Spuren aus, gingen Hunderten Hinweisen aus der Bevölkerung nach. Der Druck auf die Polizei war groß, die Einbrüche im Bode-Museum und im Grünen Gewölbe zeigten auch, was für ein leichtes Ziel die staatlichen Museen für Kunstdiebe sind.

Im Bode-Museum war ein Fenster kaputt, der Alarm funktionierte nicht. Und der Wachmann, der in jener Nacht Dienst hatte, war das erste Mal dort. Die R.s konnten die Goldmünze also weitgehend unbemerkt mit einem Rollbrett abtransportieren und durch ein Fenster in einen Park werfen.

Das Dresdner Schloss verfügt eigentlich über ein hochmodernes Sicherheitssystem. Spezielle Scanner bilden um das Gebäude eine unsichtbare Barriere, wird sie übertreten, geht ein Alarm los. Selbst wenn im Museum keine Wachen mehr unterwegs sind, die Leitstelle ist 24 Stunden besetzt. Doch die Diebe schafften es, die Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen - und zwar schon mehrere Tage vor dem Einbruch. Da schnitten sie zur Vorbereitung ein Loch in eines der historischen Fenstergitter. Genau an einer Stelle, die die Scanner nicht erfassten.

Hatten die Diebe Glück oder Hilfe? Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch gegen 40 weitere Verdächtige. Darunter sind vier Männer, die, als Touristen getarnt, das Grüne Gewölbe ausgespäht haben sollen. Aber auch das Sicherheitspersonal hat die Staatsanwaltschaft im Visier. In der Tatnacht selbst war der Scanner ausgeschaltet, die Wachen bemerkten die Diebe erst, als sie auf den Überwachungskameras auftauchten.

Bleibt noch die Frage, wo die Juwelen sein könnten. Bei den staatlichen Kunstsammlungen Dresden, denen die gestohlenen Juwelen gehören, gab es bisher wenig Hoffnung, dass das Verfahren Antworten liefern könnte. Wenige Tage vor Prozessbeginn hat man sich entschieden, doch noch als Nebenkläger auftreten zu wollen. Ihr Vertreter ist der Berliner Robert Unger, gleichzeitig Sprecher einer Initiative, die einen Finderlohn auf die Juwelen ausgeschrieben hat: Insgesamt eine Million Euro.

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