Der Musiker und Sänger Gil Ofarim wird sich vom 24. Oktober an wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung vor Gericht verantworten müssen, das teilte das Leipziger Landgericht an diesem Mittwoch mit. Es ist die neueste Entwicklung in einem mutmaßlichen Antisemitismus-Skandal, von dem nach umfangreichen Ermittlungen vor allem Zweifel bleiben.
Gil Ofarim hatte am Abend des 4. Oktober 2021 ein Video von sich mit dem Handy aufgenommen. Darin sitzt er augenscheinlich tief erschüttert vor dem Leipziger Hotel Westin. Er habe beim Check-in warten müssen, berichtet er, andere Gäste seien ihm vorgezogen worden. Irgendwann habe ein Mitarbeiter des Hotels, ein "Herr W.", zu ihm gesagt: "Packen Sie Ihren Stern ein." Gemeint ist der silberne Davidstern, den der Sänger um den Hals trägt, er hält ihn in die Kamera, kämpft mit den Tränen. Hier, in einem der besten Hotels der Stadt, so die Botschaft, hat sich gerade ein gravierender Fall von Antisemitismus zugetragen. Gil Ofarim endet mit den Worten: "Deutschland 2021". Das Video wurde in den sozialen Medien tausendfach geteilt, es folgten eine Demonstration vor der Lobby des Westin und vielfache Solidaritätsbekundungen.
Das Hotel reagierte, beurlaubte den beschuldigten Mitarbeiter zunächst, obwohl dieser die Vorwürfe zurückwies. Ofarim und der Hotelangestellte zeigten sich gegenseitig an. Gleichzeitig beauftragte das Management eine Anwaltskanzlei, die eigene Ermittlungen anstellte, Zeugen befragen ließ und Aufnahmen der Überwachungskameras auswertete. Digitalforensiker sichteten das Videomaterial. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft stellten sie den Ablauf im Hotel nach - ein Vorgehen, das sonst bei Tötungsdelikten zum Einsatz kommt. Ein halbes Jahr später stellte die Leipziger Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein. Ofarims Schilderungen hätten sich nicht bestätigt. Stattdessen bestehe hinreichender Tatverdacht dafür, dass Ofarim das Video mit dem Wissen um die Unwahrheit seiner Aussagen und in Kenntnis der sich daraus für den betroffenen Hotelmitarbeiter ergebenden ehrverletzenden und in der öffentlichen Meinung herabwürdigenden Folgen veröffentlicht habe, so die Staatsanwaltschaft weiter. Das Landgericht Leipzig hat die Anklage nun unverändert zugelassen.
Bereits Wochen vor Eröffnung des Hauptverfahrens hatte Ofarims Verteidigung, darunter der medienerfahrene Rechtsanwalt Alexander Stevens, vor einem "Schauprozess aus politischen Gründen" gewarnt. Das Team aus inzwischen drei Juristen stellte einen Befangenheitsantrag gegen einen Leipziger Richter. Dieser habe in einem Vorabgespräch gesagt, er könne sich den von Ofarim behaupteten Geschehensablauf schwer vorstellen, da es in Leipzig bekanntermaßen kein erhebliches Problem mit Antisemitismus gebe. Stevens beklagte eine "massive mediale Vorverurteilung" seines Mandanten. "Trotz der grundrechtlich geschützten Unschuldsvermutung haben ausgerechnet der Landesvater, Ministerpräsident Kretschmer, aber auch beispielsweise Ex-Justizminister Heiko Maas sich im Vorfeld zur Sache inhaltlich geäußert und ihrer untergebenen Justiz damit Leitlinien einer Verurteilung quasi vorgegeben."
Gil Ofarim hat sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Für den Prozess sind sieben Verhandlungstage angesetzt.