Unwetterwarnungen:Was Bürger und Behörden aus der Ahrtal-Katastrophe gelernt haben

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Blankenheim in der Eifel: Am Freitagnachmittag sollen schwere Gewitter den Westen Deutschlands treffen. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Die für den Westen Deutschlands angekündigten Gewitter rufen Erinnerungen an das Hochwasser im vergangenen Jahr wach. Wie sich die Lage unterscheidet und wie die Menschen in den betroffenen Regionen gewarnt werden.

Von Joshua Beer und Oliver Klasen

Der Satz, den Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul am Freitag sagt, klingt ein bisschen wie die Warnungen von Gouverneuren oder dem Präsidenten, wenn in den USA wieder einmal ein Hurrikan übers Land fegt. "Bleiben Sie bitte zu Hause. Vermeiden Sie Aufenthalte im Freien", sagt Reul.

Es könnte heftig werden. NRW bereitet sich auf schwere Unwetter vor, die das Bundesland am Freitagnachmittag erfassen sollen. Schulen schließen am Freitag vielerorts schon vor 12 Uhr, Zoos und die Friedhöfe werden wie in Köln vorsorglich zugesperrt. Auf der Warnkarte der Seite unwetterzentrale.de sind gegen 15 Uhr nur Teile des Niederrheins rot gefärbt, der zweithöchsten Kategorie. Doch das wird vermutlich nicht so bleiben.

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Das bisher schwerste Sturmtief des Jahres zieht zurzeit über Deutschland. Meteorologen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) haben insbesondere für den Westen des Landes vor starkem Unwetter gewarnt. Ab Freitagmittag drohten vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz heftige Gewitter und gebietsweise Starkregen mit bis zu 40 Litern pro Quadratmeter. Auch müsse man mit Hagel rechnen sowie Orkanböen um 120 Kilometer in der Stunde, was der Windstärke zwölf entspricht. Es könnten sogar vereinzelte Tornados entstehen. Alles in allem ein "explosives Gemisch", heißt es vom DWD.

Die Lage weckt ungute Erinnerungen an die Flutkatastrophe vor fast einem Jahr, die vor allem in NRW und Rheinland-Pfalz massive Schäden anrichtete und mehr als 180 Menschen das Leben kostete. Das hatte eine Debatte ausgelöst, wie gut oder eben schlecht die Warnsysteme in Deutschland funktionieren. Die Frage, die sich viele stellen: Haben Behörden und Wetterdienste daraus gelernt?

Die Lehren aus der Ahrtal-Katastrophe

"Ja, man hat daraus gelernt", sagt Lothar Kirschbauer. Er ist Professor für Siedlungswasserwirtschaft und Wasserbau an der Hochschule Koblenz und war nach der Hochwasserkatastrophe im Juli als Berater für den Wiederaufbau engagiert. Zum einen seien die Gemeinden inzwischen viel stärker sensibilisiert, die bei einem großen Unwetter zuständigen Behörden stünden im engeren Austausch miteinander. Es werde an landkreisübergreifenden Hochwasser-Vorsorgekonzepten gearbeitet und es gebe Ortstermine, um Probleme zu lokalisieren. "Die Gemeinde Swisttal, in der ich wohne, hat zum Beispiel an kritischen Punkten nachgeguckt, ob die Straßenabflüsse frei sind", sagt Kirschbauer. "Es gibt hier in der Region ein starkes Bewusstsein, dass wir etwas machen müssen, sowohl in der Verwaltung als auch bei den Bürgerinnen und Bürgern. So würden Info-Veranstaltung, auf denen Hausbesitzer erfahren können, was sie selbst zum Hochwasserschutz beitragen können, sehr gut angenommen.

Kirschbauers Kollege Robert Jüpner, der als Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der TH Kaiserslautern lehrt, beobachtet bei den Verantwortlichen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ebenfalls generell eine größere Sensibilisierung. Er weist aber auch darauf hin, dass man Gewitter, wie jene, die am Freitag drohen, nicht mit dem Ahr-Hochwasser vom vergangenen Juli vergleichen könne. "Das sind zwei völlig verschiedene Dinge", sagt Jüpner. Die Ahrtal-Katastrophe werde fälscherweise mit Starkregen in Verbindung gebracht, tatsächlich sei es jedoch ein typisches Flusshochwasser in einer Mittelgebirgsregion gewesen, also ein Ereignis über einen längeren Zeitraum mit großräumiger Ausdehnung, bei dem große Wassermengen ablaufen.

Bei den eng begrenzt auftretenden Gewittern, so Jüpner, seien, anders als im Juli an der Ahr, keine großen, regionsübergreifenden Krisenstäbe nötig. Wichtig sei aber stets, dass die gesamte Warnkette ineinander greife, von der Meteorologie über die Wasserwirtschaft bis zu Rettungskräften und Verwaltungen. "Für Meteorologen ist die Arbeit beendet, wenn der Regen auf den Boden trifft. Dann fängt für uns Hydrologen die Arbeit erst an", sagt Jüpner. Welche Folgen ein Unwetter habe, hänge sehr von den derzeitigen lokalen Rahmenbedingungen ab, etwa davon, wie viel Wasser die Böden aufnehmen können. Dieselbe Regenmenge könne an einem Ort zu einer Katastrophe führen und an einem anderen Ort unproblematisch sein.

Um besser gegen Katastrophen gewappnet zu sein, hat der nordrhein-westfälische Innenminister Reul einen 15-Punkte-Plan erarbeiten lassen. Er sieht die Schaffung neuer koordinierender Stellen vor, an denen die Fäden im Ernstfall zusammenlaufen. Darunter eine "Crisis Response Unit" und ein nicht-polizeilicher Führungsstab. "Gewissermaßen ein landeseigenes Krisenreaktionszentrum", so Reul. Außerdem will die Landesregierung auf Digitalisierung setzen, um ein verlässliches "Landeslagebild" zu ermöglichen. Per Gesetzänderung soll bei Bedarf der direkte Eingriff in den Hörfunk erfolgen können, so wie es etwa in Bayern schon gehandhabt wird, und die Landkreise sollen ihre Katastrophenschutzplanung verbessern. Alles Maßnahmen, die sich auf dem Papier gut anhören, deren Wirksamkeit sich jedoch vermutlich erst zeigen wird, wenn das nächste verheerende Unwetter auf NRW trifft.

Ein Sprecher des Innenministeriums in Düsseldorf betont außerdem, dass sich sein Haus, das Umweltministerium und der DWD in mehreren Video- und Telefonkonferenzen bereits seit Mittwochnachmittag über die Gewitterlage ausgetauscht hätten. Das NRW-Innenministerium habe am Donnerstagnachmittag außerdem per Erlass eine sogenannte Landeslage eingerichtet, mit der die Kreise und kreisfreien Städte für das Sturmtief sensibilisiert wurden. Sie sind zudem aufgefordert, alle witterungsbedingten Einsätze zwischen dem 19. Mai 2022, 14Uhr und dem 21. Mai, 8 Uhr an das Innenministerium zu melden und in regelmäßigen Abständen Bericht zu erstatten.

Schwierige Prognose bei Gewittern

Ist es möglich, die Menschen in den betroffenen Gebieten rechtzeitig vor Gewittern zu warnen? Die grobe Wetterlage ist bereits einige Tage vorher klar. Wo genau es dann jedoch zu einer bestimmten Uhrzeit blitzt und donnert, ist kaum vorauszusagen. Punktgenaue Prognosen von Gewitterzellen gehören zu den schwierigsten Aufgaben für Meteorologen.

"Das müssen Sie sich vorstellen wie bei einem Kochtopf. Da schalten Sie die Herdplatte ein, dann blubbern die Luftblasen. Aber wo genau die hochgehen, das können sie nicht vorhersagen. Die Atmosphäre ist eben ein chaotisches System", erklärt Andreas Friedrich, Pressesprecher und Tornadobeauftragter des DWD.

Kurzfristige Warnungen, die so genau sind, dass sie eine einzelne Gemeinde betreffen, kann der DWD mit einem Vorlauf von höchstens eineinhalb Stunden vornehmen. Den Bereich von fünf bis 90 Minuten vor einem Gewitter, den oft auch die gängigen Regenradar-Apps abdecken, nennt Friedrich "Now-Casting-Bereich".

Der DWD hat in Deutschland Zugriff auf ein flächendeckendes Radarverbund-System. "Unsere Radargeräte erkennen sofort, wenn sich in einer Wolke starker Regen oder Hagel bildet. Wir messen die Stärke der Niederschlagspartikel, die Bewegungsrichtung und ob es eine Tendenz gibt, ob sich also Regen und Hagel verstärken oder nicht". Aus mehreren "Detektionen", wie Friedrich das nennt, also immer dann, wenn das Radar eine Gewitterzelle erkannt hat, lässt sich eine Verlagerungsrichtung errechnen, man hat also eine ungefähre Bahn, auf der das Unwetter weiterzieht. Wobei das Wort Bahn eigentlich nicht korrekt ist, richtiger wäre: ein Kegel. "Dieser Kegel wird, je weiter die Vorhersage in die Zukunft geht, immer breiter. Nach 90 Minuten ist das eben nicht mehr eine Gemeinde, sondern vielleicht ein halber Landkreis. Und dann weiß man nicht, trifft es jetzt den Ort ganz links, in der Mitte oder rechts", sagt Friedrich.

Fast unmöglich zu lokalisieren sei die initiale Stelle, an der Blitz und Donner zum ersten Mal auftreten. "Da haben sie den Hagel schon auf dem Kopf, bevor er bei uns auf dem Radarbild zu sehen ist", so der DWD-Meteorologe. Hinzu komme, dass Gewitterzellen auch Haken schlagen oder plötzlich stehenbleiben können. "Das Vorhersagetool bietet keine hundertprozentige Sicherheit", so Friedrich.

Und so lässt sich nur ein sehr grober Bereich angeben, in dem die Gewitter niedergehen können, aber nicht müssen. Für Ermelinde, so heißt das Tief, dass an diesem Freitag über Deutschland zieht, geht Friedrich von einem potenziell betroffenen Gebiet aus, dass sich in Nord-Süd-Richtung vom Saarland bis hoch nach NRW erstreckt. Das Unwetter dürfte sich dann über die mittleren Bundesländer nach Osten bewegen bis nach Berlin und Brandenburg.

Wie die Warnkette aussieht

Der Deutsche Wetterdienst ist gesetzlich verpflichtet, in kritischen Wetterlagen Warnmeldungen herauszugeben. Dabei sprechen sich die einzelnen Regionalzentralen des DWD untereinander und mit der Zentrale in Offenbach ab. Diese Warnungen gehen zum Beispiel an Städte, Gemeinden und Innenministerien, Feuerwehren, Technisches Hilfswerk und Polizei, Radiosender und Fernsehstationen. Deutschlandweit bekommen Zehntausende Empfänger die Warnungen per E-Mail - eine Art Unwetter-Newsletter. In sozialen Medien informiert der DWD ebenfalls über drohende Wettergefahren.

Außerdem gibt es die Warn-Apps wie etwa die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verantwortete Nina-App. Zehn Millionen Menschen haben sie dem BKK zufolge heruntergeladen. Nina bündelt Warnmeldungen zu diversen Gefahrenlagen wie Unwettern, Bränden, Hochwasser oder Kampfmittelfunden. Nutzer können sich standortbezogen warnen lassen, das heißt: In einem Umkreis von bis zu neun Quadratkilometern können sie Orte frei wählen, also etwa Landkreise oder Gemeinden, zu denen sie dann Warnungen aufs Handy erhalten. Über eine Karte können sie sich alle Gefahren bundesweit anzeigen lassen. Die App erteilt auch Ratschläge zum Verhalten im Notfall.

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Nach welchen Kriterien gewarnt wird

Der DWD führt Skalen, um die Schwere von Unwettern zu beurteilen. Es gibt vier verschiedene Warnstufen: von Gelb für eine einfache Wetterwarnung über Orange (markantes Wetter), bis Rot (Unwetter). Wird die Warnstufe Violett ausgegeben, droht ein extremes Unwetter. Diese höchste Warnstufe wird nach Angaben des DWD nur etwa ein Dutzend Mal im Jahr ausgerufen.

Sowohl für Gewitterereignisse als auch für Sturm und Starkregen gibt es jeweils getrennte Skalen. Für Gewitter hat der DWD die höchste Warnstufe ausgerufen, violett also. Die Kriterien dafür sind Hagelschlag, heftiger Starkregen und orkanartige Böen. Für Wind und Starkregen gilt jeweils die zweithöchste Warnstufe. Hier warnt der Wetterdienst vor "Orkanböen", das heißt: Windböen ab 120 Kilometer pro Stunde. Auf der Skala für Starkregen bestimmt der Niederschlag pro Quadratmeter in der Stunde die Schwere des Ereignisses. Bei dem derzeit angekündigten "heftigen Starkregen" regnet es 25 bis 40 Liter in der Stunde. In der höchsten Warnstufe sind es mehr als 40 Liter.

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