Was ist wirklich passiert in jener Nacht im Juni 2021? Mit dieser Frage hat sich im norditalienischen Brescia jetzt ein Berufungsgericht befasst. Es ist eine Nacht, die beginnt wie viele Sommernächte am Gardasee, mit einem Abendessen am Wasser, einem Bootsausflug und klarem Himmel. Und die damit endet, dass zwei Menschen tot sind. Greta Nedrotti, 25, und Umberto Garzarella, 36.
Sie wurden gerammt, so hielt es das Urteil in erster Instanz vor gut eineinhalb Jahren fest, vom Luxusboot zweier Deutscher. Nach dem Zusammenstoß in der Bucht von Salò waren Videos zirkuliert, die belegen sollten, dass die beiden Männer betrunken waren. Sie wurden damals, im März 2022, zu Haftstrafen verurteilt: Patrick K., Münchner Unternehmer, wegen fahrlässiger Tötung und verschuldeter Havarie zu vier Jahren und sechs Monaten, er saß am Steuer des Bootes. Und der Bootsbesitzer, ebenfalls Münchner, zu zwei Jahren und elf Monaten. Beide haben Berufung eingelegt.
Im ersten Prozess hatten beide ausgesagt, von der Kollision nichts bemerkt zu haben. Sie seien davon ausgegangen, dass sie Treibgut überfahren hätten. K. hatte sich damals auch bei den Hinterbliebenen entschuldigt.
Nun, zum Beginn des Berufungsverfahrens, waren beide Deutsche im Gerichtssaal anwesend, wie Teilnehmende der SZ berichteten. Die Staatsanwältin forderte zunächst eine Bestätigung der Urteile aus der ersten Instanz. Sie sagte dem Giornale di Brescia zufolge, dass das Boot mit dem Vierfachen der erlaubten Geschwindigkeit dahingerast sei, für Nachtfahrten nicht zugelassen gewesen sei und dass der Fahrer betrunken gewesen sei. Zudem führte sie an, dass auch der Mitfahrer als Bootsbesitzer zur Verantwortung zu ziehen sei. Dann hatten die Anwälte der Beschuldigten das Wort. Sie fechten die Haftstrafen an und argumentierten, es gebe keine Beweise, dass K. betrunken gewesen sei. Zudem sei der mitbeschuldigte Bootsbesitzer nicht für Taten von anderen verantwortlich zu machen. Auf Anfrage waren die Anwälte für die SZ nicht erreichbar. Ende November wird ein Urteil erwartet, der Fall dürfte damit aber noch nicht beendet sein: Italiens Rechtssystem kennt drei Instanzen.
Auch die Familie der getöteten Greta Nedrotti war im Gerichtssaal, wie schon im ersten Prozess mit Blumen, die an Greta erinnern sollen. Freunde hängten vor dem Eingang zum Gericht ein Banner auf, darauf die Worte: "Gerechtigkeit für Greta und Umberto". Am Vorabend hatten sie noch eine Messe in ihrem Heimatort gefeiert.
Aus Sicht der Angehörigen ist das Wichtigste bereits im Parlament passiert
Sie hätten keine großen Erwartungen, hieß es aus beiden Familien schon vor Beginn des Berufungsverfahrens. Das Wichtigste war aus ihrer Sicht schon im September dieses Jahres passiert: Das italienische Parlament verabschiedete eine Gesetzesänderung. Nach der neuen Regelung werden Unfälle auf dem Wasser nun behandelt wie Unfälle auf der Straße. Bei fahrlässiger Tötung in der Seeschifffahrt ist eine Höchststrafe von sieben Jahren Haft möglich, bei Fahrerflucht und Trunkenheit am Steuer sogar bis zu 18 Jahren.
Auf die aktuelle Berufungsverhandlung hat das Gesetz keinen Einfluss, doch für die Hinterbliebenen hat es Symbolcharakter. Die Familien und Freunde hatten sich sehr für die Gesetzesinitiative eingesetzt, zur Verabschiedung in der Abgeordnetenkammer waren sie nach Rom gefahren. "Wir sind traurig und glücklich zugleich", schrieb eine Tante Nedrottis der SZ nach der Abstimmung. Die Eltern, Nadia und Raffaele Nedrotti, nannten die Strafen aus dem erstinstanzlichen Urteil in einer Stellungnahme "lächerlich und unangebracht", sie schrieben: "Für unsere Tragödie ist dieses Gesetz ein kleiner Trost." Der Familie Garzarella ergeht es ähnlich, wie ihr Anwalt sagt. Die Angehörigen Umbertos seien sich sicher, so Raimondo Dal Dosso, "dass die beiden Beschuldigten für immer die Last dieser unermesslichen Tragödie auf ihrem Gewissen tragen werden". Das sei die wahre Strafe.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die beiden Beschuldigten seien betrunken gewesen. Das ist strittig; es gibt lediglich Videos, die belegen sollen, dass die Männer betrunken waren. Wir haben den Fehler korrigiert.